„Die Einschläge kommen immer näher und näher und unterlaufen das Vertrauen in unsere Demokratie.“ In seiner Begrüßung zur gut besuchten IV. Netzpolitischen Soirée skizzierte Konstantin die unterschiedlichen Phänomene, die im Laufe des Abends diskutiert wurden. Mehrere IT-Angriffe auf den Bundestag und die Bundesregierung in den letzten Jahren, intransparente Beeinflussung und gezielte Manipulation von Wahlen und öffentlicher Debatten in den USA, Deutschland und Großbritannien. Und soziale Netzwerke, die Öffentlichkeit herstellen, ohne dass die zugrunde liegenden Mechanismen und Werbeschaltungen mit Millionenetats transparent sind. An dieser Stelle dokumentieren wir die VI. netzpolitische Soirée „Hacked Democracy? Demokratie schützen!“.

https://www.youtube.com/watch?time_continue=2&v=jtmFg5iu15w

ZENTRALE ROLLE DER SOCIALEN MEDIEN BEI ÖFFENTLICHEN DEBATTEN

Wir sind mitten im Strukturwandel der Öffentlichkeit. Dabei spielen soziale Medien eine zentrale Rolle, so dass es immer schwieriger werde, sich gesellschaftlich auf eine geteilte Faktenlage als Grundlage für öffentliche Debatten zu einigen. Diese und andere Phänomene würden in dem Bericht „Democracy hacked“ für den Europarat aufgearbeitet, erklärte Frithjof Schmidt, MdB und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, in seinem kurzen Schlaglicht. So gehe es auch um die Frage, ob wir eine neue Form der „hybriden Kriegsführung“ erleben, bei der die klassischen Unterscheidungen zwischen zivilen und militärischen Räumen und Angriff und Verteidigung im Netz mehr und mehr verschwimmen und letztlich verschwinden. Nötig sei ein internationales Verständnis darüber, wie Angreifer möglichst eindeutig zugeordnet werden können. Frithjof Schmidt lud ein, über den dann veröffentlichten Bericht im kommenden Jahr online zu diskutieren.

VERLUST VON VERTRAUEN IN DIE FAKTENBASIERTE JOURNALISTISCHE ARBEIT

Ben Scott, Vorstand der Stiftung neue Verantwortung, zeigte in seiner Keynote deutlich auf, dass es in westlichen Demokratien einen gravierenden Vertrauensverlust in die faktenbasierte journalistische Arbeit gibt. Erschwerend komme hinzu, dass die Medienkompetenz („Quellenkritik“) stark abnehme und gleichzeitig die gezielt ausgespielte politische Werbung auf sozialen Netzwerken ein lukratives Geschäftsmodell geworden sei, zum Beispiel mit einem Etat im dreistelligen Millionenbereich allein bei einer Plattform bei den diesjährigen Kongress-Wahlen in den USA. All das laufe heute weitgehend intransparent ab. Ben Scott bot ein Panorama an regulativen Lösungsansätzen an.

Die Sicherheit der IT-Landschaft bei Wahlen müsse ebenso sichergestellt wie illegale Inhalte von sozialen Netzwerken nach klaren rechtsstaatlichen Vorgaben runter genommen und Transparenz für politische Werbung auf sozialen Netzwerken hergestellt werden. Weitergehende Forderungen beinhalteten etwa, den Zugriff auf persönliche Daten für politische Werbung einzuschränken, eine stärkere Verantwortlichkeit für algorithmische Entscheidungssysteme herzustellen, den Wettbewerb auf digitalen Märkten zu stärken, die Medienkompetenz der Nutzerinnen und Nutzer zu stärken, öffentlich finanzierten Journalismus fit für die heutige Aufmerksamkeitsökonomie auf Plattformen zu machen und schließlich einen Gesellschaftsvertrag zur digitalen Demokratie mit konkreten Maßnahmen zu vereinbaren.

MEDIENREGULIERUNG IN DEN SOZIALEN NETZWERKEN EUROPAWEIT EINFÜHREN

Einig waren sich die Diskutantinnen und Diskutanten, dass es einer gemeinsamen, auch europäischen Anstrengung bedürfe, um das Erstarken populistischer, politischer Ränder einzudämmen und dass nicht nur technologische Entwicklungen als Erklärung herhalten könnten. So waren sich Tabea alsnetzpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion und Helge Braun, Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben, in einer Sache einig: Sie sehen in der Übertragung von einzelnen Elementen der bewährten Medienregulierung auf soziale Netzwerke einen gewinnbringenden Regulierungsansatz. So führte Tabea Rößner unter anderem das Prinzip „must be found“ an, nach dem öffentlich-rechtliche Inhalte auf Plattformen auffindbar sein müssen. Helge Braun betonte, dass die Betreiber sozialer Netzwerke selber ein Interesse haben sollten, beispielsweise hinsichtlich der Europawahlen 2019 den missbräuchlichen Einsatz von „Social Bots“ zu verhindern. Der Staat müsse seine IT-Systeme vor Angriffen deutlich schützen, aber ansonsten nur dort regulieren, wo es zu klaren Rechtsverstößen komme. Tabea Rößner erläuterte, dass sie eine Gesamtstrategie der Bundesregierung vermisse, die anerkenne, dass der Staat eine Pflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürger zur Wahrung der IT-Sicherheit habe, dass man nicht gleichzeitig Verschlüsselung fordern und sie staatlicherseits aufbrechen und andererseits mit Sicherheitslücken handeln könne. Auch dass die Bundesregierung verfassungsrechtlich hochumstrittene digitale Gegenschläge, sogenannte „Hack Backs“, nicht ausschließe, sei ein schwerer Fehler und Gift für die IT-Sicherheit.

PLATTFORMBETREIBERINNEN SOLLEN FÜR MEHR TRANSPARENZ & KONTROLLE SORGEN

Renate Nikolay, Kabinettschefin der EU-Justizkommissarin Vĕra Jourová, plädierte im Sinne des von der EU-Kommission aufgestellten „Actionplan against disinformation“ dafür, unter der Schwelle der Regulierung die Plattformbetreiber mit Selbstverpflichtungen dazu zu bewegen, in Europa selbst erste Schritte hin zu mehr Inhaltskontrolle und Transparenz zu unternehmen. Es könne kein staatliches „Wahrheitsministerium“ geben. Das deutsche Netzdurchsuchungsgesetz (NetzDG), so die Kabinettschef der EU-Justizkommissarin, sehe man kritisch. Insgesamt sei man auf EU-Ebene eher noch am Anfang der Debatte. Man werde sich aber als nächstes das Wettbewerbsrecht in Hinblick auf die digitalen Märkte vornehmen. Ben Scott hob hervor. dass die EU-Datenschutzgrundverordnung zeige, dass erstens kein Unternehmen zu groß sei, um sich an geltendes Recht zu halten und zweitens ein europäisches Voranschreiten globale Auswirkungen und Vorbildcharakter haben könne. Große Einigkeit herrschte darüber, dass Wahlbeeinflussung durch zugeschnittene politische Werbung auf sozialen Netzwerken, sogenannte „dark ads“, noch vor der Europawahl im Mai 2019 transparenter gestaltet werden müsse.

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