Die letzten vier Wochen waren durchaus intensiv. In der Nacht von Sonntag auf Montag hat die FDP die Sondierungen für eine Jamaika-Koalition nun also platzen lassen. Es gab große Bemühungen von Union und Grünen, die Dinge trotz großer inhaltlicher Unterschiede zueinander zu bringen. Die FDP hat diese Koalition nun einseitig und ohne sachliche Begründung unmöglich gemacht, obwohl auf vielen Gebieten bereits Einigungen erzielt wurden.

An dieser Stelle will ich das Verhandlungsergebnis der Sondierungsgruppe Innen und Recht aus grüner Sicht beleuchten. Klar ist, dass es sich bei der Einigung zwischen insgesamt vier Parteien nicht um die Festschreibung des Grünen Wahlprogrammes gehandelt hätte – gleichzeitig hätten durchaus wichtige Weichen für einen echten Kurswechsel in der Sicherheitspolitik gestellt werden können. Dies betrifft vor allem ein Thema.

Zentraler Punkt der Sondierungen im Bereich Innen und Recht und bis zuletzt auch strittigstes Thema war das Ende der Anlasslosigkeit der Speicherung von Daten von Bürgerinnen und Bürgern und ein vereinbarter Kurswechsel zu einer zielgerichteten, anlassbezogenen Sicherheitspolitik und Abwehr konkreter Gefahren. Dies hätte auch und insbesondere das Ende der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung bedeutet, aber beispielsweise auch die weiterhin hochumstrittene Sammlung von Fluggastdaten offen in Frage gestellt.

Auch hier hat man sich letztlich einigen können – umso bedauerlicher ist es, dass ein solch wichtiger Schritt für die Bürgerrechte in Deutschland nun durch den einseitigen und inhaltlich nicht näher begründeten Abbruch der Verhandlungen durch die FDP nach dem Motto „Lindner first – Bürgerrechte second“ verhindert wurde.

Auch konnten wir nach langem Ringen die Wichtigkeit einer unverzüglichen Pflicht von staatlichen Stellen festschreiben, Sicherheitslücken beim BSI zu melden und diese zukünftig nicht mehr zur Nutzung von Staatstrojanern offengehalten werden dürften. Auch wenn wir natürlich hinsichtlich der Quellen-TKÜ und der Online-Durchsuchung mit einer härteren Position in die Verhandlungen gegangen sind, so konnten wir uns zumindest auf eine Stärkung der gesetzlichen Schutzschwellen unter Berücksichtigung der sehr hohen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts einigen. Auch dies wäre zweifellos eine bürgerrechtliche Verbesserung des Status Quo.

Geeinigt hatten wir uns in den Sondierungen auch auf einen verbindlichen „Pakt für den Rechtsstaat“ von Bund und Ländern, der durch erhebliche Stellenaufstockungen im Bereich der Justiz, der Polizei und beim BSI den Rechtsstaat qualitativ stärken und die Digitalisierung der Justiz auf höchstem Datenschutzniveau voranbringen sollte. Auch die Polizei sollte eine bessere IT unter voller Wahrung der Belange des Datenschutzes bekommen und damit auch Konsequenzen aus den Skandalen um die entzogenen Akkreditierungen von Journalisten bei G20 gezogen werden.

Auch wurde die wichtigen Forderung nach einem periodischen Sicherheitsbericht verankert, der regelmäßig wissenschaftlich Ursachen und Entwicklungen von Kriminalitätsphänomenen aufzeigen sollte. Ein besonderes Anliegen war mir die Entwicklung einer neuen, echten E-Government und Open-Data-Strategie, die ihren Namen auch tatsächlich verdient. Auch sie war vereinbart. Zudem wäre die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste wesentlich gestärkt und die Geheimhaltungsfristen zur Aufarbeitung historisch bedeutsamer Ereignisse erheblich verkürzt worden. Dies waren und sind zentrale Forderungen aus den Erfahrungen des NSA-Untersuchungsausschusses und dem Umgang mit Informationen, beispielweise zum Oktoberfestattentat.

Nicht zuletzt hatte sich die Sondierungsgruppe auf die Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters, eines Mittels zum kollektiven Rechtsschutz und die Vorlage eines Whistleblowerschutzgesetzes geeinigt.

Dass die Sondierungen  und damit auch ein echter Kurswechsel in der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik, die Abschaffung der anlasslosen Massenüberwachung von Bürgerinnen und Bürgern und die bürgerrechtliche Einhegung der Nachrichtendienste nun gerade an der vermeintlichen Bürgerrechtspartei FDP gescheitert sind, ist extrem bedauerlich und insgesamt bezeichnend für das Scheitern der „Bedenken second“-Strategie.

Der plötzliche Abbruch der Gespräche stellt uns vor dramatische Herausforderungen. Das Land muss zuverlässig regiert werden. Wir Grüne sind weiterhin dazu bereit, unseren Teil dazu beizutragen. Wir wollen, dass Deutschland pro europäisch, verantwortungsvoll und rechtsstaatlich bleibt und nicht nach rechts abrutscht.

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