Im Rahmen des G20-Gipfels wurden mehreren Journalisten unter höchst fragwürdigen Umstände nachträglich die eigentlich schon ausgestellten Presse-Akkreditierungen von Polizeibeamten wieder entzogen. Auf einer Liste wurden rund 80 Personen, darunter laut Bundesregierung 32 Medienvertreter aber auch andere ursprünglich Zugangsberechtigte wie Servicepersonal plötzlich als sicherheitsbedenklich eingestuft. So verloren sie wieder ihre Gipfelzulassung, die sie nach fristgerechter Anmeldung und umfangreicher Sicherheitsüberprüfung durch deutsche Stellen bekommen hatten. Dieser Vorgang wirft zahlreiche gravierende Fragen auf, weil offenkundig auch unbescholtene Journalisten von anerkannten Medien, denen an den ersten Gipfeltagen noch Zugang zu so sicherheitsrelevanten Anlässen wie Fototerminen mit US-Präsident Trump gewährt wurde, auf einmal an den Zu- und Ausgängen durch die Polizei ohne Angabe näherer Gründe zu Persona non grata erklärt wurden.

Zudem gingen die Polizeibeamte mit diesen sensiblen personenbezogenen Informationen in aller Öffentlichkeit höchst nachlässig um: So konnte ein ARD-Team die offensichtlich zigfach zusammenkopierten und ausgeteilten Listen ungehindert und offen abfilmen – als handelte es sich um beliebige Handzettel und nicht um grundrechtlich geschützte Informationen in einer so sensiblen Frage. Der Landesdatenschutzbeauftragte Caspar wies bereits auf die drohende Diskriminierungswirkung der international tätigen Journalisten hin – ganz abgesehen von der Behinderung bei ihrer konkreten Berichterstattung.

Das willkürliche und völlig intransparente Vorgehen wäre für sich genommen schon ein sehr kritischer Eingriff in die Presse- und Berufsfreiheit der betroffenen Journalisten und Medien aber auch in die Grundrechte der weiteren Betroffenen – zumal anlässlich eines so wichtigen und entsprechend von langer Hand durch die Bundesregierung und deutsche Sicherheitsbehörden vorbereiteten Großereignisses wie dem G20-Gipfel. Doch insbesondere der Fall der betroffenen Fotoreporter Chris Grodotzki („Spiegel Online“) und Björn Kietzmann (Agentur ActionPress) stellt einen noch schwerwiegenderen Verdacht in den Raum: Denn beide konnten jahrelang mit offiziellen Presseakkreditierungen problemlos arbeiten, waren aber 2014 kurzzeitig an der türkisch-syrischen Grenze bei Aufnahmen der Kämpfe in der syrischen Stadt Kobane von türkischen Behörden festgesetzt worden. Wie die Süddeutsche recherchierte, hatten offenbar zumindest vier der 32 erfassten Journalisten zuvor auch in den kurdischen Konfliktgebieten in der Türkei gearbeitet. Zudem würde die sehr spontane Wiederausladung für eine kurzfristige Sicherheitswarnung sprechen – einige bereits eingelassenen Journalisten wurden so hastig herauskomplimentiert, dass sie nicht einmal mehr ihr Gepäck mitnehmen durften. Die Frage ist nun: Wie sah diese Warnung aus, wer veranlasste sie und worauf beruhte sie?

Womöglich haben hier Angaben türkischer Dienste, die die deutsche Seite ohne gründliche Prüfung übernommen hätten, den Ausschlag gegeben. Zwar hat Regierungssprecher Seibert mittlerweile klar gestellt, dass allein Erkenntnisse deutscher Dienste berücksichtigt wurden. Doch welche Informationen dies sind und vor allem, woher und auf welcher Rechtsgrundlage die deutschen Behörden diese haben, wurde bisher von der Bundesregierung trotz verschiedener Nachfragen nicht beantwortet. Das könnte wieder einmal ein Schlaglicht auf die hochproblematische Zusammenarbeit internationaler Geheimdienste und Sicherheitsbehörden werfen: Denn jenseits jeder legitimen Sicherheitskooperation und Rechtsgrundlage kam es wiederholt zur dubiosen Zusammenarbeit mit Diensten repressiver Staaten. So versucht auch der türkische MIT im Zuge der immer repressiveren Verfolgung von Regimekritikern und Pressevertretern auf allen möglichen Wegen in beiden Ländern tätige Journalisten, Aktivisten aber auch geflohene Asylsuchende in Deutschland und Europa Erkenntnisse zu gewinnen.

Die Bundesregierung und allen voran der für das zuständige Bundespresseamt verantwortliche Regierungssprecher müssen nun umgehend und umfassend der versprochenen Aufklärung nachkommen. Wir werden hier nachhaken und über die Antworten fortlaufend berichten.

Korrektur: In einer ersten Version dieses Artikels hatten wir fälschlicherweise von einem Arbeitsbezug zur Türkei sämtlicher erfasster Journalisten berichtet. Tatsächlich ist dies nach bisherigen SZ-Erkenntnissen von zumindest vier der 32 erfassten Journalisten bekannt. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen. 

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