Die Digitalisierung bringt große Umbrüche für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit sich. Diesen tiefgreifenden Wandel scheint die Bundesregierung verschlafen zu haben. Obwohl dringend politisches Handeln im Bereich der Netzpolitik geboten wäre, gelingt es der Großen Koalition nicht einmal, eine kohärente Strategie erkennen zu lassen. Klare Zuständigkeiten wurden nicht bestimmt, jedes Ministerium kocht sein eigenes netzpolitisches Süppchen. Und statt dringend notwendige Gesetzesänderungen beispielsweise in den Bereichen Datenschutz, IT-Sicherheit oder Open Data zu beschließen, stellt die Bundesregierung längst mühsam erkämpfte Standards wie das Prinzip der Datensparsamkeit wieder in Frage. Von dieser rückschrittlichen Netzpolitik profitieren weder die Bürgerinnen und Bürger, noch Unternehmen.

In einem Interview im Tagesspiegel-Magazin „Politikmonitoring“ zum Thema Netzpolitik hatte ich die Gelegenheit, auf die drängenden netzpolitischen Probleme hinzuweisen und Bundesregierung erneut zum Handeln aufzufordern. Der Artikel ist auch online verfügbar und kann an dieser Stelle nachgelesen werden.

„Netzpolitisch ist diese Große Koalition leider ganz klein“

Welche Bilanz ziehen Sie mit Blick auf die Netzpolitik der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode?

Netzpolitisch waren die letzten Jahre leider weitgehend verschenkte Jahre. Innerhalb der Bundesregierung kocht weiterhin jeder Minister sein eigenes netzpolitisches Süppchen. Die einzelnen Ministerien gönnen sich gegenseitig nicht das Schwarze unter den Fingernägeln. Eine Koordinierung dieser für unsere digitale Gesellschaft so essentiellen Fragen findet bis heute nicht statt. Eine hierfür notwendige, dringend benötigte Kompetenzbündelung hat man am Anfang der Wahlperiode trotz klarer Aufforderungen bewusst nicht vorgenommen. Den neuen ständigen Internet-Ausschuss des Bundestags hat man bewusst parlamentarisch kleingehalten. Er hat bis heute keinerlei Federführung bei netzpolitischen Fragestellungen. Alle wesentlichen Entscheidungen werden in anderen Ausschüssen gefällt. Auch auf der exekutiven Seite sieht es leider nicht besser aus: Durch die zusätzliche Zuständigkeit des Verkehrsministeriums hat man das Kompetenzwirrwar sogar noch weiter chaotisiert. Ob Breitbandausbau, Datenschutz oder Urheberrechtsreform – zentrale netzpolitische Großbaustellen harren daher seit Jahren einer angemessenen inhaltlichen Bearbeitung. Die Netzpolitik der Bundesregierung bleibt insgesamt extrem widersprüchlich. Das wurde nicht zuletzt im Zuge der Vorlage der „Digitalen Agenda“ der Bundesregierung deutlich. Netzpolitisch ist diese Große Koalition leider ganz klein.

Welche netzpolitischen Themen sollten aus Ihrer Sicht in dieser Legislaturperiode noch angegangen werden?

Angefangen beim weiterhin schleppenden Breitbandausbau, über die seit mehreren Jahre versprochene Urheberrechtsreform, die gesetzliche Wahrung der Netzneutralität, die effektive Durchsetzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bis hin zur proaktiven Veröffentlichung von offenen Daten und die Schaffung neuer, innovativer E-Government-Angebote – die Liste der unbearbeiteten netzpolitischen Großbaustellen ist lang. Zentrale Weichenstellungen werden dieser Tage auf EU-Ebene vorgenommen. Zumindest an diesen Diskussionen müsste sich die Bundesregierung aktiv beteiligen und ihren Teil dazu leisten, den digitalen Wandel unserer Gesellschaft aktiv politisch zu begleiten. Zudem müssen sich als völlig ineffektiv bis netzpolitisch höchst kontraproduktiv erwiesene Maßnahmen wie beispielsweise das völlig verkorkste Leistungsschutzrecht für Presseverlage, das bis heute niemanden nützt, zurückgenommen werden. Doch all dies scheut die Große Koalition. So verlieren wir derzeit netzpolitisch im internationalen Vergleich weiter den Anschluss. Das ist bitter mit anzusehen.

Worin sehen Sie die zentralen Aufgaben der Netzpolitik nach der Bundestagswahl 2017?

Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat am Ende der vergangenen Wahlperiode – übrigens interfraktionell – mehrere hundert Handlungsempfehlungen vorgelegt, die man morgen hätte umsetzen können. Die Bundesregierung hat diese Kärrnerarbeit des Parlaments leider in der Schublade verschwinden lassen. Sie hat es vorgezogen, eine eigene, mehr als schmalspurige Agenda vorzulegen. Durch den Umstand, dass innerhalb der Bundesregierung zahlreiche Ministerien sich als netzpolitisch zuständig fühlen, alle irgendwie mitspielen wollen, aber niemand wirklich zuständig ist, erleben wir eine anhaltende digitalpolitische Lähmung. Diese muss am Anfang der kommenden Legislaturperiode zwingend behoben werden. Wir brauchen endlich klare Zuständigkeiten. Auch dies war übrigens ein Vorschlag der Kommission. Wäre zumindest dieser am Anfang dieser Wahlperiode umgesetzt worden, hätten wir nicht den lähmenden Zustand der innerhalb der Großen Koalition digitalpolitisch bis heute vorherrscht.

Welche Stellung sollte der „oberste Netzpolitiker“ der nächsten Bundesregierung haben und wo sollte er angesiedelt sein?

Die Projektgruppe „Demokratie und Staat“ der Enquete-Kommission hat sich sehr intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Gemeinsam haben alle Fraktionen des 17. Deutschen Bundestags klargestellt, dass das Thema Internet und digitale Gesellschaft nicht nur im Bundestag angemessen abgebildet werden, sondern auch im Bereich der Exekutive zwingend einen höheren Stellenwert bekommen muss. Die Bundesregierung wurde angehalten, auch in ihrem Verantwortungsbereich eine entsprechende Kompetenzbündelung vorzunehmen, die eine bessere Koordinierung zu ermöglichen. Zum damaligen Zeitpunkt wurde die Schaffung eines eigenen Digitalministeriums als illusorisch angesehen. Stattdessen wurde wiederholt der Vorschlag unterbreitet, eine Person zu benennen, die mit am Kabinettstisch sitzt, mit ausreichend Personal ausgestattet ist und digitalpolitische Vorhaben der einzelnen Ministerien koordiniert. Die Frage, ob es sinnvoller ist, ein eigenes Digitalministerium und Kompetenzen aus den einzelnen Häusern zu bündeln, oder durch einen zentralen Ansprechpartner mit politischer Durchschlagskraft die digitalpolitischen Vorhaben der einzelnen Ministerien zu koordinieren, ist also keinesfalls neu. Ich halte nichts davon, an dieser Stelle einer neuen Koalition konkrete Vorgaben bezüglich des zukünftigen Zuschnitts von Ministerien zu machen. Klar ist aber: Wir brauchen dringend eine Struktur, die endlich ein sehr viel kohärenteres digitalpolitisches Vorgehen ermöglicht.

Wenn das Ziel einer flächendeckenden Breitbandversorgung mit 50 Mbit/s bis 2018 erreicht ist – ab welchem Jahr sind Ihrer Meinung nach höhere Ziele notwendig? Wird staatliche Förderung nötig sein, um den Breitbandausbau hin zur Gigabit-Gesellschaft zu ermöglichen? Und wenn ja in welcher Form?

Es ist schon bezeichnend, dass man diese Zielvorgabe für ein Jahr nach der Wahl ausgibt. Dies geschieht aus gutem Grund: Kaum ein Thema steht heute so exemplarisch für eine völlig verfehlte Digitalpolitik wie der Breitbandausbau. Selbst im EU-weiten Vergleich sind wir als viertgrößte Industrienation der Welt weit abgeschlagen. Trotz aller Sonntagreden von den „Datenautobanen als Infrastruktur des 21. Jahrhunderts“ hat es die Bundesregierung über Jahre versäumt, die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen, die notwendigen finanziellen Mittel in die Hand zu nehmen und diejenigen, die sich vertraglich verpflichtet haben, auch den ländlichen Raum mit breitbandigem Internet zu versorgen, an ihre Zusagen zu erinnern. Über Jahre hat man lieber blind auf die von den Unternehmen übermittelten Daten vertraut und auf mehreren IT-Gipfeln verkündet, dass es keine weißen Flecken mehr gäbe. Das grenzte teilweise schon an Realitätsverweigerung. Statt endlich umzusteuern und konsequent den Ausbau von Glasfasernetzen zu forcieren, setzt man nun auf das hochumstrittene Vectoring und alte Kupferkabel. Eine zukunftsfähige digitale Infrastruktur sieht wahrlich anders aus. Durch ihr Vorgehen stärkt die Bundesregierung Anbieter mit ohnehin großer Marktmacht weiter und gefährdet den Wettbewerb. Parallel verhökert sie die Netzneutralität als grundlegendes Prinzip eines freien und offenen Internets auf EU-Ebene und schafft es bis heute nicht, Rechtssicherheit für die Betreiber von WLANs sicherzustellen. Als Grüne Bundestagsfraktion haben wir den Vorschlag gemacht, die im Bundesbesitz befindliche Anteile an der deutschen Telekom im Wert von rund 10 Milliarden Euro für den Ausbau des schnellen Internets zu nutzen. Der Bund könnte seine Anteile an der Deutschen Telekom verkaufen, die Einnahmen über ein Betreibermodell in den Infrastrukturausbau investieren und eine Bundesbreitbandgesellschaft gründen.

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