Die Verbreitung von öffentlichen WLAN ist durch eine erhebliche Rechtsunsicherheit und die sogenannte Störerhaftung über Jahre behindert worden. Umso spannender wurde das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Störerhaftung erwartet. Die Bewertungen des Urteils gehen durchaus weit auseinander. Aus unserer Sicht hat das Urteil Licht und Schatten. Vor allem wirft es aber zahlreiche neue Fragen auf, zum Beispiel die, wie die rechtlichen Vorgaben des Gerichts konkret umgesetzt werden sollen. Aber auch die Frage, wie die Bundesregierung auf das Urteil reagiert, ist offen. Das ist das Ergebnis und die Antwort auf eine schriftliche Frage, die ich der Bundesregierung zum weiteren Vorgehen in Sachen Störerhaftung nach dem Urteil des EuGH gestellt habe.

Was bisher geschah:

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs 2010 kam es zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit für die Betreiber offener Funknetze. Konkret ging es um die Frage, ob jemand als Störer für Rechtsverletzungen Dritter haftbar gemacht werden kann, wenn er diesen gegenüber sein Netz öffnet. Einigkeit bestand darin, dass diese Rechtsunsicherheit beendet und die eigentliche Intention des Gesetzgebers, die vorsah, dass jemand nicht für durch Dritte begangene Rechtsverletzungen haftet. Die sogenannte „Störerhaftung“ sollte also abgeschafft werden. Wie bereits zuvor Schwarz-Gelb versprach auch Schwarz-Rot in ihrem Koalitionsvertrag, die bestehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Erst passierte gar nichts, dann legte die Bundesregierung einen Entwurf vor, der völlig an der Realität vorbei ging. Dann folgte ein monatelanger Streit zwischen den Koalitionspartnern. Irgendwann wurde dann ein reformiertes Telemediengesetz vorgelegt. Die Bundesregierungen unter Angela Merkel haben also sage und schreibe ganze 6 Jahre gebraucht, um eine Neuregelung des Telemediengesetzes (TMG) vorzulegen und diese Kleinstbaustelle im Urheberrecht zu bearbeiten. Wer die Genese des neuen TMG einmal nach nachvollziehen will, findet hier einen Übersichtsartikel.

Gibt es Rechtssicherheit nach der Neuregelung des deutschen TMG? Nein!

Wer nun glaubte, dass die Große Koalition Rechtssicherheit hergestellt hat, der irrt. Zwar sind, darauf habe ich in meiner nun im Plenum gehaltenen Rede auch explizit hingewiesen, die Änderungen am Regierungsentwurf durch die große Koalition durchaus zu honorieren, bspw. der komplette Wegfall des neuen § 10 und des absurden Konstrukts der „besonders gefahrengeeigneten Dienste“, gleichzeitig aber hat die Große Koalition es gescheut, sich der „Störerhaftung“ tatsächlich anzunehmen und Unterlassungsansprüchen eine klare Absage zu erteilen. Während im Entwurf der Bundesregierung die Notwendigkeit erkannt wurde, eine saubere Klarstellung im Gesetzestext selbst vorzunehmen, fehlt diese nun – obwohl der BGH selbst mehrfach darauf hinwies, dass es eben nicht ausreicht, Formulierungen in die Antragsbegründung aufzunehmen.

Statt für Rechtssicherheit zu sorgen, überließ es die GroKo also erneut ohnehin überlasteten Gerichten nach der Gesetzesbegründung, wohlgemerkt der Begründung eines Änderungsantrags zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, zu googeln, um die Intention des Gesetzgebers zu erfassen. Die Regierungsfraktionen haben es somit tatsächlich geschafft, den einzigen guten Punkt aus dem ersten Entwurf der Bundesregierung herauszunehmen, nämlich die Absage an weitreichende Unterlassungsansprüche im Zuge der „Störerhaftung“. Somit wurde auch keine Rechtssicherheit hergestellt, sondern dies erneut an Gerichte delegiert – und auf sie verlassen!

Gibt es Rechtssicherheit nach der Rechtsprechung des EuGH? Nein!

Nachdem die neue TMG-Regelung den Bundestag vor einigen Monaten final passiert hat, lag es also erneut bei den Gerichten, für Rechtssicherheit zu sorgen. Diese gibt es, um es kurz zu machen, auch nach dem Urteil des EuGH nicht – im Gegenteil. Die Bundesregierung hatte es verpasst, selbst eine Klarstellung im TMG vorzunehmen und stattdessen in der Begründung des Gesetzes auf das Plädoyer des Generalanwalts verwiesen. Sie hat sich also darauf verlassen, dass das Gericht der Empfehlung des Generalanwalts folgt. Das tut es zwar häufig, aber eben nicht immer. Nun ist leider exakt das eingetroffen, wovor ich die Große Koalition in meiner Rede zur Verabschiedung der Neuregelung des TMG gewarnt hatte: Das Gericht hat anders entschieden als der Generalanwalt.

Ob es nach dem EuGH-Urteil tatsächlich zu einer, auch von der Europäischen Kommission forcierten, flächendeckenden Abdeckung mit freien Funknetzen kommt, erscheint aus heutiger Perspektive fraglich. Ein gutes Stück Rechtsunsicherheit bleibt also auch nach dem heutigen Urteil bestehen. So ist beispielsweise unklar, wie die vom Gericht explizit offen gelassene Möglichkeit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach festgestellten Rechtsverstößen in der Realität ausgestaltet werden soll. Um es kurz zu machen: Das Gericht hat erneut Möglichkeiten geschaffen, gegen die sich nicht nur der Generalanwalt zuvor deutlich ausgesprochen hatte. Es hat auch Wege offengelassen, gegen die sich die Große Koalition bewusst entschieden hatte.

Wie geht es nun nach dem Urteil des EuGH weiter?

Nach der für alle überraschenden Entscheidung des EuGH stand die Frage im Raum, ob die Große Koalition nun die ganze TMG-Kiste erneut aufmacht, um ihr vor Jahren gegebenes und seitdem immer wieder erneuertes Versprechen, Rechtssicherheit herzustellen, doch noch einzuhalten. Im Zuge der Verabschiedung des Gesetzes hatte man sich auf eine Überprüfung im Jahr 2018 verständigt. Vor diesem Hintergrund steht die Frage im Raum, ob die Rechtsunsicherheit so lange fortbestehen soll. Genau das habe ich die Bundesregierung in einer schriftlichen Frage gefragt:

Wird die Bundesregierung, auch vor dem Hintergrund der Ankündigung, die Auswirkungen der jüngsten Reform des Telemediengesetztes (TMG) erst im Jahr 2018 evaluieren zu wollen, das gerade erlassene Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Anlass nehmen, gesetzgeberisch umgehend nachzubessern und gerichtliche Anordnungen zur Sicherung des Zugangs zu einem Funknetz per nachträglicher Passwort-Sicherung und Nutzeridentifikation vollständig auszuschließen, indem man zivilrechtliche Unterlassungsansprüche, wie es offenbar auch die sich aus der Gesetzesbegründung ergebende Intention des nationalen Gesetzgebers war, im Gesetzestext selbst rechtssicher ausschließt?

Nun hat mich die Antwort der Bundesregierung erreicht. Sie lautet:

Die Auswertung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 15. September 2016 (Rs. C-484/14 Mc Fadden) ist noch nicht abgeschlossen. Sobald dies der Fall ist, wird die Bundesregierung prüfen, ob eine Gesetzesänderung erforderlich ist und wie diese im Einzelnen ausgestaltet werden könnte.

Bewertung der Antwort der Bundesregierung und Ausblick zum weiteren Vorgehen der GroKo:

Die Große Koalition hat sich bei der über Jahre versprochenen Reform der Störerhaftung nicht gerade mit Ruhm bekleckert, im Gegenteil: Sie hat es verpasst, selbst eine Klarstellung im Gesetz vorzunehmen und die bestehende Rechtsunsicherheit für die Anbieter offener Funknetze herzustellen. Das hatte auch der Bundesrat in einer Stellungnahme zum reformierten TMG moniert. Die Weigerung der Großen Koalition, sich selbst klar zu positionieren, hat sich im Zuge des EuGH-Urteils bitter gerächt. Wenn die Vertreterinnen und Vertreter der Große Koalition sich und ihre in den letzten Monaten vollmundig gemachten Versprechen ernst nehmen, wird man nach dem jüngsten Urteil des EuGH nicht umhin kommen, als nationaler Gesetzgeber nachzubessern. Wenn man sich anschaut, wie sich welcher Vertreter der Großen Koalition nach dem EuGH-Urteil versucht hat, dieses schön zu reden, kommen jedoch ernst Zweifel auf, ob dies tatsächlich geschieht. Die Frage ist, auch angesichts der immer näher rückenden Bundestagswahl, ob es noch eine Neuregelung von Seiten der Großen Koalition geben wird, wie diese konkret aussehen könnte oder ob wir erneut sechs Jahre hierauf warten müssen. Das wäre verheerend. Das hat offenbar auch die GroKo erkannt. So hält man sich die Möglichkeit einer Neuregelung des TMG bewusst offen und versucht auf Zeit zu spielen. Zeit, die wir eigentlich nicht haben. Hierauf wird hoffentlich auch die Länderkammer die Große Koalition noch einmal hinweisen und den bisherigen Druck aufrecht erhalten. Im Rahmen der nächsten Sitzung des Ausschusses Digitale Agenda werde ich die Bundesregierung zu den Plänen ihres weiteren Vorgehens in Sachen TMG und Störerhaftung befragen.

 

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