Das Magazin „TK spezial der Techniker Krankenkasse hat in seinem Regionalteil für Schleswig-Holstein ein Interview mit mir zu Fragen rund um die Digitalisierung des Gesundheitswesens geführt. An dieser Stelle dokumentieren wir das vollständige Interview, das Ihr auf den Seiten der Techniker Krankenkasse auch noch einmal nachlesen könnt.

„Wir stecken mitten in der digitalen Revolution.“

Im Interview beantwortet der Bundestagsabgeordnete Dr. Konstantin von Notz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, unter anderem, wie digitale Angebote im Gesundheitswesen die Patientensicherheit unterstützen können und warum Patienten in die Entwicklung von E-Health-Angeboten stärker einbezogen werden sollten. Darüber hinaus gibt er einen Einblick, warum er die Chancen der Digitalisierung für groß hält, warum digitale Angebote gerade für Menschen in ländlichen Gebieten neue Türen aufstoßen und welche Grundbedingungen beachtet werden sollten.

TK spezial: Welche Möglichkeiten bietet die Telemedizin und wo sind die Grenzen?

Dr. von Notz: Die Möglichkeiten von Telemedizin und E-Health-Angeboten sind vielfältig. Zunächst bieten neue E-Health-Angebote die Chance, große Distanzen zu überwinden. Das ist in Zeiten, in denen die Versorgung mit Ärzten und Apotheken auf dem Land immer schlechter wird, aber auch vor dem Hintergrund des demographischen Wandels unserer Gesellschaft, von großer Bedeutung. Zukünftig wird es beispielsweise nicht mehr unbedingt zwingend notwendig sein, nach einem Besucht beim Hausarzt zu einem Facharzt nach Kiel, Hamburg oder Berlin fahren zu müssen. Nach einer Überweisung durch den Hausarzt könnte eine Erstbegutachtung durchaus auch per sicherer Videoleitung aus einem extra hierfür eingerichteten Raum beim Hausarzt erfolgen. In absehbarer Zeit wird es sicherlich auch weiterhin hier und da nötig sein, direkt vor Ort vorstellig zu werden, aber eine erste Diagnose und Feststellung, ob weitere, persönliche Besuche notwendig sind, ist auf diesem Wege durchaus denkbar. Räumliche Grenzen spielen hier kaum noch eine Rolle. Insgesamt gilt: Um diese neuen Angebote nutzen zu können, müssen wir Bewährtes hinterfragen und Neues ermöglichen – ohne gewisse Risiken, die sich beispielsweise durch neue Wege der Datenübertragung, -speicherung und -verarbeitung ergeben, außer Acht zu lassen.

TK spezial: Wie kann E-Health dazu beitragen, die Versorgung im ländlichen Raum zu sichern?

Dr. von Notz: Digitale Angebote stoßen in ländlichen Gebieten neue Türen auf: Menschen können Universitätsvorlesungen online besuchen, Behördengänge am Smartphone erledigen und im Krankheitsfalle auch digital unterstützt behandelt werden, ohne in die nächste Stadt fahren oder wegen der schlechten Infrastruktur gar ihren Wohnort wechseln zu müssen. Wenn wir die digitalen Potenziale für die regionale Entwicklung, dies gilt gerade für den Bereich E-Health, voll ausschöpfen und eine breite, gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen wollen, gilt es jedoch einige Grundbedingungen zu beachten: Zunächst müssen wir flächendeckend für einen zukunftsfähigen Breitbandausbau sorgen. Zudem brauchen wir eine größtmögliche Rechtssicherheit sowohl für die Anbieter neuer E-Dienstleistungen als auch die Nutzerinnen und Nutzer. Gerade Patientinnen und Patienten müssen sich sicher sein können, dass ihre Daten tatsächlich sicher sind und eine umfassende IT-Sicherheit gewährleistet ist.

TK spezial: Die Digitalisierung verändert auch das Gesundheitswesen. Wo sehen Sie den größten Nutzen für die Patienten?

Dr. von Notz: Neue Kommunikationswege erleichtern den Austausch zwischen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, Apotheken, Pflegekräften und Krankenhäusern. Patientinnen und Patienten können sich informieren und stärker in die Behandlung einbezogen werden. Auch die Patientensicherheit kann von digitalen Lösungen profitieren, etwa beim Zugang zu Gesundheitsdaten. Wir wollen mit anerkannten Qualitätssiegeln die Patientinnen und Patienten bei der Auswahl von geeigneten Gesundheits-Apps unterstützen. Patientinnen und Patienten müssen in die Entwicklung von E-Health stärker einbezogen werden. Offene, verbindliche und international anerkannte Kommunikationsstandards, Interoperabilität, höchstmögliche Datensouveränität für Patientinnen und Patienten sowie ein innovativer Datenschutz und effektive Datensicherheit sind wichtige Voraussetzungen, damit nutzbringende und sichere Anwendungen im Gesundheitswesen entstehen können.

TK spezial: Immer mehr Menschen vermessen sich mit Fitness-Trackern und teilen ihre Daten. Was sollte getan werden, damit Anwender die Vorteile für sich nutzen können, aber trotzdem Herr ihrer Daten bleiben?

Dr. von Notz: Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es sehr zu begrüßen ist, wenn Menschen sich sportlich betätigen. Auch finde ich absolut nichts Verwerfliches daran, wenn Menschen ihre Lauf-, Schwimm, oder Radstrecken aufzeichnen – sei es, um sie später nachvollziehen zu können oder, um sich mit anderen zu messen. Gleichzeitig finde ich es wichtig, dass man ein gewisses Grundverständnis dafür mitbringt, dass diese Daten immer Begehrlichkeiten wecken. So sollte man sich genau überlegen, ob es wirklich eine gute Idee ist, seine regelmäßige Lauftour automatisch in den sozialen Netzwerken zu posten. So mancher Dieb hat sich über die leichtfertig gepostete Information, wann jemand grundsätzlich nicht zu Hause ist, schon gefreut.

Begehrlichkeiten entstehen aber auch an anderer Stelle, zum Beispiel bei datensammelnden Unternehmen, die ihre Werbung für den neuen Laufschuh gerne noch gezielter an den Läufer bringen würden. Auch hier sollte man sich überlegen, mit wem ich meine gesammelten Daten teile. Dass auch die Versicherungswirtschaft Interesse an diesen – für individuelle und nichtindividuelle Gesundheitsprognosen hoch relevante – Daten und Informationen hat, ist selbstverständlich. Problematisch wird es dort, wo nicht nur überindividuelle Daten ausgewertet werden, sondern höchst aussagekräftige, persönliche Daten verarbeitet und an Dritte weitergegeben werden oder dort, wo Belohnungen für gesundheitsbewusstes Verhalten zu Lasten von anderen Versicherten geht. Insgesamt müssen wir aufpassen, dass es durch die Digitalisierung, das trifft aber auf sehr viele Politikbereiche zu, nicht zu einer schleichenden Absage an bestehende, gesellschaftliche Solidarsysteme und Nachteile für Schwächere oder weniger gesunde Menschen kommt.

TK spezial: Ständig online oder öfter auch mal offline? Wie stark prägt das Digitale Ihre Freizeit?

Dr. von Notz: Wir stecken mitten in der digitalen Revolution. Die Geschwindigkeit der Veränderungsprozesse ist atemberaubend und stellt jede und jeden Einzelnen sowie die Gesellschaft als Ganzes vor große Herausforderungen. Vieles, was noch vor 30 Jahren utopisch schien, ist längst Wirklichkeit geworden: Online-Shopping, neue Sharingmodelle und Gesundheits-Apps erhöhen heute die Lebensqualität vieler Menschen. Onlinebasierte Bürgerbeteiligung, Open Data oder vernetzte Flüchtlingshilfe vergrößern den Radius politischer Beteiligung. Eine smart gesteuerte Energie- und Stromversorgung, intelligente Verkehrsführung und Autos, die vernetzt mit dem Öffentlichen Nahverkehr fahren, ermöglichen zukunftsweisende Steuerungsprozesse. Künstliche Intelligenz, eigenständig arbeitende Roboter und 3D-Drucker sind keine Zukunftsvisionen mehr, sondern verändern bereits jetzt die Produktionsweisen.

Die Chancen der Digitalisierung sind zweifellos groß. Gleichzeitig stellen uns diese Veränderungsprozesse als Gesellschaft vor große Herausforderungen. Der Umgang mit E-Health-Angeboten ist hierfür ein gutes Beispiel. Genauso die ständige Erreichbarkeit. Einerseits ermöglicht sie neue Formen des ortsunabhängigen Arbeitens und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, andererseits bringen die Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit und eine entsprechende Erwartungshaltung von Vorgesetzen auch Probleme mit sich. In gesamtgesellschaftlichen Aushandlungsprozessen müssen wir neue Grenzziehungen diskutieren. Wir müssen politisch die Weichen richtig stellen, den digitalen Wandel aktiv gestalten und dabei die Menschen in den Mittelpunkt rücken.

Beim Thema ständige Erreichbarkeit geht es mir übrigens wie sehr vielen Menschen: Auch ich muss darauf achten, im wahrsten Sinne des Wortes auch mal abzuschalten.

TK spezial: Herr Dr. von Notz, vielen Dank.

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