Eben hatten wir bereits ausführlich über den derzeitigen Stand der Debatte zur Netzneutralität auf deutscher und europäischer Ebene berichtet: Die Bundesregierung weigert sich nicht nur seit Jahren trotzt anderslautender Lippenbekenntnisse, eine gesetzliche Regelung zur effektiven Sicherung der Netzneutralität auf Bundesebene vorzulegen, derzeit verramscht sie die Netzneutralität auf EU-Ebene. Damit sägt sie am Grundpfeiler des offenen Internet, zum Leiden der Nutzer und der digitalen Wirtschaft. Da nun auch auf EU-Ebene das Aus in Sachen Netzneutralität droht, legen wir erneut einen Antrag im Bundestag vor, in dem wir die Bundesregierung auffordern, sich endlich für eine effektive gesetzliche Absicherung der Netzneutralität einzusetzen. An dieser Stelle dokumentieren wir unseren Antrag.

Deutscher Bundestag                                                      18. Wahlperiode 01.07.2015

Antrag

der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rössner, Renate Künast, Nicole Maisch, Dieter Janecek, Katharina Dröge, Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Luise Amtsberg, Katja Dörner, Kai Gehring, Katja Keul, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Claudia Roth (Augsburg), Hans-Christian Ströbele, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Netzneutralität als Voraussetzung für eine gerechte und innovative digitale Gesellschaft effektiv gesetzlich sichern

Der Bundestag wolle beschließen:

  1. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die grundsätzlich diskriminierungsfreie Gleichbehandlung aller Datenpakete bei der Übertragung im Internet gewährt allen Bürgerinnen und Bürgern Internetzugang auf Basis der gleichen technologischen Grundlage. Netzneutralität ist das konstituierende Grundprinzip eines offenen und freien Netzes und damit essentiell für die gerechte Teilhabe in der digitalen Gesellschaft. Die neutrale Datenübermittlung „von Ende zu Ende“ hat den gesellschaftlichen und ökonomischen Erfolg des Internets überhaupt erst ermöglicht und es ist zugleich auch von entscheidender Bedeutung für dessen zukünftige demokratische, aber auch wirtschaftliche Innovationskraft. Die so entstandene Architektur des Internets beruht auf der gleichberechtigten und technisch und ökonomisch diskriminierungsfreien Übertragung von Datenpaketen.

Im Verhältnis zu den grundgesetzlichen Kommunikationsfreiheiten nimmt die Netzneutralität eine besondere Rolle ein. Unter Netzneutralität verstehen wir, keine Einflussnahme auf Verfügbarkeit, Priorisierung oder Bandbreite weitergeleiteter Daten, die sich nach den Inhalten der Datenpakete, Absender- und Empfängeradresse oder der Art bzw. Klassen der Anwendungen richtet. Weitreichende Möglichkeiten der Beeinflussung des traditionell neutralen Transports von Datenpaketen im Internet durch Private oder den Staat erfordert einen besonders sensiblen Umgang mit der Thematik. Das Internet in seiner bisherigen Konstruktion nach dem sogenannten „best-effort“-Prinzip erlaubt den kommunikativen Austausch , ermöglicht demokratischen Diskurs und wirtschaftliche Innovation. Dem Staat obliegt hier die sich – auch aus der Verfassung abzuleitende Aufgabe- die kommunikative und wirtschaftliche Chancengleichheit und Grundversorgung sicherzustellen.

Die Frage, wie die Netzneutralität effektiv gesetzlich abgesichert werden kann, ist eine Schlüsselfrage im digitalen Zeitalter. Der Deutsche Bundestag hat sich daher in den letzten Jahren äußerst intensiv mit der Thematik beschäftigt, u.a. in einer eigenen Projektgruppe der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“.

In den vergangenen Jahren war die Netzneutralität und die Frage, wie diese effektiv gesetzlich abgesichert werden kann, immer wieder Gegenstand parlamentarischer Debatten im Deutschen Bundestag. Verschiedene Fraktionen legten parlamentarische Initiativen vor, die ein Ziel einte: Die gesetzliche Sicherung der Netzneutralität. So legte die antragstelllende Fraktion u.a. den Antrag „Gegen das Zwei­Klassen-Internet – Netzneutralität in Europa dauerhaft gewährleisten“ (BT-Drs. 17/ 3688) vor. Im Zuge der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) wurden zudem konkrete Vorschläge einer gesetzlichen Regelung vorgelegt (BT-Drs. 17/ 7528).

Unter anderem in einer Initiative aus der 17. Wahlperiode mit dem Titel „Netzneutralität und Diskriminierungsfreiheit gesetzlich regeln, Mindestqualitäten bei Breitbandverträgen sichern und schnelles Internet für alle verwirklichen“ (BT-Drs._Nr. 17/13892) hat sich auch die Fraktion der SPD für eine gesetzliche Regelung der Netzneutralität ausgesprochen. Darin heißt es „1. Netzneutralität und Diskriminierungsfreiheit gesetzlich regeln – Zur Erreichung dieser Ziele ist die Gewährleistung von Netzneutralität von zentraler Bedeutung, also die grundsätzliche Gleichbehandlung aller Datenpakete im Internet, die nicht wegen Inhalt, Dienst, Anwendung, Herkunft oder Ziel diskriminiert werden dürfen.“.

Der Druck, die Netzneutralität und die bislang geltende Datenübertragung nach dem sogenannten „best­effort“-Prinzip zugunsten der Einführung sogenannter „managed services“, „specialised services“ oder sogenannter „Diensteklassen“ aufzugeben, nimmt seit Jahren kontinuierlich zu. Verstöße gegen die Netzneutralität, die im Mobilfunkbereich seit langem an der Tagesordnung sind, wurden zunehmend auch im Internetbereich wiederholt festgestellt. Laut vorgelegter Studien ist die vollständige Blockade und das bewusste Verlangsamen von Peer-to-Peer-Verkehr sowie von Internet-Telefonie heute bereits weit verbreitet. Hierbei kamen unter anderem auch – vor allem aus datenschutzrechtlicher Perspektive – umstrittene Techniken wie die „Deep Packet Inspection“ zum Einsatz. Große Telekommunikationsanbieter haben Versuche, die Netzneutralität durch neue Vertragsmodalitäten offen in Frage zu stellen, nach erheblichem öffentlichen Druck, wieder eingestellt.

Auch vor diesem Hintergrund fanden wiederholt Anhörungen und Fachgespräche zur Thematik im Deutschen Bundestag statt. Hierbei wurde von Sachverständigenseite immer wieder die Notwendigkeit einer effektiven gesetzlichen Absicherung der Netzneutralität betont. Von den Befürwortern einer Abkehr vom bisherigen Prinzip des „best-effort“-Prinzips immer wieder ins Feld geführte Kapazitäts-Engpässe konnten nicht festgestellt werden.

Umgekehrt steht zu befürchten, dass bei Aufhebung des Grundprinzips der Netzneutralität und damit die Ermöglichung von Geschäftsmodellen auf Basis künstlicher Verknappung von Bandbreiten, der dringend notwendige Breitbandausbau für das „best-effort-Netz“ nicht weiter vorangetrieben wird und stattdessen eine verstärkte und Konzentration und Monetarisierung von Providern auf eingeführte Spezialdiensten zu befürchten ist. Vielmehr wird der weiterhin erforderliche Breitbandausbau nur dann effektiv umgesetzt, wenn eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität vorgenommen wird, die für Provider den bestehenden Anreiz, mit den leistungsstärksten Leitungen zu werben, sicherstellt.

Kürzlich stattgefundene Fachgespräche des Ausschuss Digitale Agenda zu „Ökonomischen Aspekten der Digitalisierung“ und zur „Gesetzgebung zur Netzneutralität – aktuelle Entwicklungen“, die umfangreiche Studie zur Netzneutralitätsentscheidung der us-amerikanischen Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC) oder Studien im Auftrag des niederländischen Wirtschaftsministeriums und der Technischen Universität Berlin haben deutlich gezeigt, dass der Großteil der Innovationen aus der onlinebasierten Digitalwirtschaft, insbesondere aus Start-ups und nicht – kommerziellen Anbietern entstehen und nicht durch Provider. Käme es zu einer Abkehr vom bislang geltenden „best-effort“-Prinzip und einer Aufkündigung der Netzneutralität stünde zu befürchten, dass die oligopole Marktstruktur in der Digitalwirtschaft weiter festgeschrieben und ohnehin oftmals bestehende Markteintrittshürden für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zusätzlich erhöht werden würde. KMU müssten im Wettbewerb mit finanzstarken Unternehmen den Zugang zum (Kunden)Markt durch finanzintensive Spezialdienste erwerben. Innovation würde auf diesem Wege gewissermaßen gebührenpflichtig, was nicht im Sinne einer deutschen und europäischen Strategie zur Stärkung der Digitalwirtschaft sein kann.

Neben der Monetariserung von „Überholspuren im Internet“ sind vermehrt Versuche der ökonomische Diskriminierung durch sogenanntes „Zero-Rating“ zu beobachten. So bieten lokale Telekommunikationsanbieter und Internetdienstleister einen unentgeltlichen Internetzugang an, bei dem technisch nur gewünschte Dienste zugänglich sind oder Volumenverbrauch bestimmter Services nicht möglich sind. Diese dem Grundsatz des offenen Netzes entgegenstehenden Entwicklungen der ökonomischen Diskriminierung, müssen in der gesetzlichen Absicherung der Netzneutralität zwingend berücksichtigt werden.

Obwohl wiederholt – auch in Koalitionsverträgen – angekündigt, lehnte die Bundesregierung eine effektive gesetzliche Regelung zur Netzneutralität, wie sie mittlerweile in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten vorgelegt wurde, bis heute ab und verwies in den vergangenen Monaten wiederholt auf die derzeit laufenden Verhandlungen auf EU-Ebene. Ob es im Zuge der aktuellen europäischen Trilog-Verhandlungen zur Verordnung zur Schaffung eines „europäischen Binnenmarkts der elektronischen Kommunikation“ zu einer effektiven gesetzlichen Absicherung der Netzneutralität kommt, ist aus heutiger Perspektive jedoch mehr als fraglich. So sehen bisherige Vorschläge explizit die Einführung von „managed services“, „specialised services“ oder sogenannter „Diensteklassen“ zur Umgehung der Netzneutralität vor. Zudem legitimierten bisherige Vorschläge seit Jahren umstrittene Praktiken wie die „Deep Packet Inspection“ und Netzsperren.

Die bisherige Positionierung der Bundesregierung auf EU-Ebene lassen den Schluss zu, dass die Bundesregierung die Einführung von „managed services“, „specialised services“ oder sogenannter „Diensteklassen“ und weitreichender Möglichkeiten zur Umgehung der Netzneutralität befürwortet. Die Frage, wie eine Priorisierung bestimmter Daten nicht automatisch mit einer Diskriminierung anderer Daten einhergehen soll und wie durch die Einführung eines „Zwei-Klassen-Internet“, in dem die Daten desjenigen, der mehr bezahlen kann, begünstigt befördert werden, kann die Bundesregierung bis heute nicht beantworten – zumal eine solche Regelung eben nicht nur kritische Dienste, sondern beispielsweise kommerzielle Streamingdienste von heute bereits marktmächtigen Anbietern einschließen würde.

Die us-amerikanische Regulierungsbehörde FCC hat erst im Februar dieses Jahres für strengere Regeln und ihre Durchsetzung zum Schutz der Netzneutralität gestimmt. Für eine solche, weitreichende Absicherung wurde jüngst gegen eine einstweilige Verfügung großer US-Telekommunikationsanbieter bestätigt. Die der Netzneutralität hatte sich Präsident Obama wiederholt persönlich ausgesprochen. Die Absicherung regulatorische Praxis in Kanada, Chile, den Niederlanden und Slowenien bestätigt den positiven Nutzen der dortigen Regelungen zur Netzneutralität. Im April 2014 hat sich auch das Europäische Parlament mit großer Mehrheit für eine Stärkung der Netzneutralität ausgesprochen.1617 Auch vor diesem Hintergrund scheint es dringend geboten, dass sich die deutsche Bundesregierung – sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene – für eine tatsächlich effektive gesetzliche Absicherung der Netzneutralität einsetzt. Die Bundesregierung wurde auch durch verschiedene Petitionen mit mehreren 10.000 Petenten, zur Stärkung der Netzneutralität wiederholt aufgefordert (Pet 1 -18-09-2263-002148, Pet. 41922, Pet. 41906).

Datenpakete müssen auch in Zukunft grundsätzlich diskriminierungsfrei und gleichberechtigt übermittelt werden. Nutzerinnen und Nutzer haben das Recht auf einen diskriminierungsfreien Internetzugang, der sie Inhalte ihrer Wahl senden und empfangen, Dienste und Anwendungen sowie Hard- und Software ihrer Wahl nutzen lässt.

Internetprovidern muss dabei die Rolle eines neutralen Mittlers zukommen, der nicht in die Kommunikationen seiner Nutzerinnen und Nutzer eingreifen darf. Eine Einflussnahme auf Verfügbarkeit, Priorisierung oder Bandbreite weitergeleiteter Daten darf sich nicht nach den Inhalten der Datenpakete, Absender- und Empfängeradresse oder der Art bzw. Klassen der Anwendungen richten. Ein notwendiges Netzwerkmanagement kann auch bei dauerhafter Gewährleistung der Netzneutralität betrieben werden. Es darf jedoch lediglich temporäres und ausschließlich zur akuten Behebung von Datenengpässen, also anwendungsagnostisches, Netzwerkmanagment möglich sein, dass allein der Qualitätssicherung dient und keine Nutzerinnen, Nutzer, Applikationenanbieter, Dienste, Geräte, Arten und Klassen von Anwendungen, Anschlüsse oder Regionen benachteiligen oder bevorzugen. Maßnahmen der Provider zum Netzwerkmanagement bedürfen zudem zwingend der Transparenz gegenüber Nutzerinnen, Nutzern und Regulatoren. Eine Überwachung der Inhalte des Datenverkehrs ohne gegebenen Anlass, z. B. durch „Deep Packet Inspection“, verstößt u.a. gegen die Netzneutralität. Sie ist als massiver Grundrechtseingriff abzulehnen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

  1. sich für die dauerhafte Gewährleistung der Netzneutralität durch eine effektive und technologieneutrale gesetzliche Festschreibung auf nationaler und europäischer Ebene, insbesondere in den aktuellen Trilog-Verhandlungen sowie auf Europarats und internationaler Ebene einzusetzen;
  2. einen bevorzugten Transport bestimmter Inhalte, Arten oder Klassen von Anwendungen gegen Aufpreis aufgrund („specialised services“, „managed services“, „Diensteklassen“) von negativen Auswirkungen für die Teilhabe an der Netzkommunikation und die Wettbewerbsgleichheit abzulehnen;
  3. eine gesetzliche Absicherung der Netzneutralität zu garantieren, die über die bisherigen Regelungen und Vorschläge der Bundesregierung deutlich hinausgeht und den neutralen Charakter des Internets dauerhaft wahrt;
  4. die Netzneutralität als Regulierungsgrundsatz und –ziel direkt in das Telekommunikationsgesetz aufzunehmen und wie folgt zu definieren: „Gleichwertige Übertragung und Verrechnung von Daten im Internet, ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Zieles, ihres Inhalts, verwendeter Arten und Klassen von Anwendungen oder verwendeter Geräte. Unter ,gleichwertiger Übertragung‘ ist der Transport von Daten über die Übertragungswege des Internet ohne sachlich ungerechtfertigten Eingriff zu verstehen.“;
  5. Anforderungen für ein Internet mit neutraler, technisch und ökonomisch diskriminierungsfreier Datenübermittlung in den Gesetzestext explizit mit aufzunehmen und hierbei sowohl die Belange der Nutzerinnen und Nutzer zu berücksichtigen als auch die faire Wettbewerbsgrundlage in der Netz und Digitalökonomie zu sichern;
  6. Verstöße gegen die Netzneutralität und Sperren, Blockaden, Verlangsamungen und ökonomischen Ungleichbehandlungen von Datenübertragungen, die ökonomische Diskriminerung durch sogenanntes „Zero-Rating“ einschließt, gesetzlich auszuschließen;
  7. Ausnahmeregelungen für sachlich gerechtfertigte Eingriffe für spezifisch dringend nötiges Netzwerkmanagement müssen eng ausgelegt und kontrolliert werden und sind lediglich für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Integrität eines Telekommunikationsnetzes gerechtfertigt;
  8. Eingriffe von Providern in die neutrale Übertragung von Daten, die per anwendungsagnostischen Netzwerkwerkmanagement erfolgen, müssen gegenüber den Nutzerinnen und Nutzern und Regulatoren von vornherein zwingend, klar und deutlich transparent gemacht werden;
  9. Kundinnen und Kunden ein Sonderkündigungsrecht bei festgestellten Verstößen gegen die Netzneutralität einzuräumen;
  10. zu prüfen, inwieweit bestehende Regulierungsrahmen tatsächlich ausreichen oder dringend ausgebaut werden und Regulatoren mit zusätzlichen Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet werden müssen.

Berlin, den 30. Juni 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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