Der bisher nicht weiter in Erscheinung getretene, im Januar 2014 gegründete „Verein für liberale Netzpolitik“, LOAD e.V., hat mir im Vorfeld der ersten Lesung des VDS-Gesetzesentwurfs der Bundesregierung einen offenen Brief geschrieben, den ich gerne beantwortet habe.

Da wir derzeit ja eine durchaus kontroverse Debatte um die Positionierung verschiedener netzpolitischer Vereine in Sachen Vorratsdatenspeicherung erleben und meine Antwort auf den Seiten des Vereins noch nicht veröffentlicht wurde, könnte ich mir vorstellen, dass sowohl der Brief als auch meine Antwort auf ihn durchaus von Interesse sein könnten.

Lieber Herr Braun, liebe Mitglieder von LOAD e.V.,

haben Sie und habt ihr herzlichen Dank für den Offener Brief zur 1. Lesung des Gesetzes zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und Ihr/Euer Interesse an den Positionen der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Vielen Dank auch für die freundliche Erinnerung, dass ich als Abgeordneter frei in meiner Entscheidung und nur meinem Gewissen verpflichtet bin. Das ist mir bekannt.

Die Sorge, dass ich mich als netzpolitischer Sprecher der grünen BT-Fraktion in Sachen VDS an den Koalitionsvertrag gebunden fühle, ist ebenfalls eher unbegründet.

Auch wenn sie eigentlich hinlänglich bekannt sein dürfte, lege ich im Folgenden gerne noch einmal meine und die Position meiner Fraktion zur Vorratsdatenspeicherung dar.

Die Vorratsdatenspeicherung, also die anlasslose und massenhafte Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürgern auf Vorrat, ist seit Jahren zweifellos die zentrale Frage der Bürgerrechtspolitik.

Nicht ohne Grund hatte bereits das Bundesverfassungsgericht die Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht mit unserer Verfassung für nicht vereinbar erklärt und u.a. vor einem diffusen Gefühl des Beobachtetseins gewarnt, das mit der VDS einhergeht.

Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Urteil deutlich heraus, dass die Streubreite der Maßnahme extrem weit sei und die Vorratsdatenspeicherung tief in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreife.

Das Gericht mahnte zudem soetwas wie eine „Überwachungsgesamtrechnung“ an und gab den Gesetzgeber die Hausaufgabe auf, eine solche auch hinsichtlich ähnlicher Datenspeicherungen zwingend zu berücksichtigen. Damals verwies man u.a. auf ELENA.

Projekte wie ELENA, das es ja heute nicht mehr gibt, sind datenschutzrechtlich natürlich eher bedeutungslos angesichts der seit nunmehr zwei Jahren anhaltenen Enthüllungen Edward Snowdens über eine weitgehende Kompromittierung digitaler Infrastrukturen.

Zwischenzeitlich hat auch der Europäische Gerichtshof die bislang von den Befürwortern für die Notwendigkeit einer Neuauflage in Deutschland stets in´s Feld geführte Richtlinie als nicht vereinbar mit geltendem EU-Grundrecht und damit für nichtig erklärt.

Zurecht, denn die anlasslose Vorratsdatenspeicherung stellt alle Bürgerinnen und Bürger unter einen unseren europäischen Rechtsordnungen unbekannten Generalverdacht.

Seit langem verweisen die Gegner der Vorratsdatenspeicherung darauf, dass durch die Speicherung sämtlicher, sehr aussagekräftiger Kommunkationsverbindungsdaten aller Menschen auf staatliche Anweisung höchst risikobehaftete Datenberge angehäuft werden.

Gerade die derzeitigen, gravierenden IT-Angriffe auf den Deutschen Bundestag, das US-amerikanische Regierungsnetz oder auch auf die IT-Sicherheitsfirma Kaspersky haben noch einmal (schmerzlich) gezeigt, welch Risiken hier bestehen.

Gerade nach Enthüllungen Snowdens steht die Rechtmäßigkeit von Instrumenten der anlasslosen Massenüberwachung derzeit vollkommen zurecht massiv in Frage.

Die Haltung zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung ist somit auch ein Lakmustest für den Umgang mit unseren Bürger- und Grundrechten in der digitalen Welt.

Als grüne Bundestagsfraktion sagen wir klar: Die Vorratsdatenspeicherung war falsch, ist falsch und bleibt falsch. Aus diesem Grund haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder, gegen das Instrument der anlasslosen Massenüberwachung ausgesprochen.

Wiederholt haben wir entsprechende Initiativen in den Bundestag eingebracht. In der letzten Wahlperiode wurden diese übrigens auch von der FDP-Fraktion wiederholt abgelehnt. Anders als viele Piraten weiß ich: So läuft es in Koalitionen nun mal und ich mache Ihnen und Euch da auch gar keinen Vorwurf.

Den Vorwurf, den ich den Liberalen jedoch (nicht erst seit heute) mache ist, dass man es sich viel zu lang in der innerkoalitionären Opposition gegen die VDS bequem gemacht hat, statt, und dazu haben wir Eure Justizministerin mehrfach aufgefordert, sich in Brüssel entschieden für ein endgültiges Ende der VDS auszusprechen. Geschehen ist nichts.

Die Frage, ob wir heute diese Debatte führen müssten, wenn die Europäische Kommission sich nach entsprechender Einflussnahme der Bundesregierung frühzeitig von dem Instrument der VDS verabschiedet hätte, ist eine durchaus spannende. Letztendlich mussten einmal mehr Gerichte entscheiden und als bürgerrechtliches Korrektiv wirken.

Wie dem auch sei, klar ist: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs war zweifellos auch eine Ohrfeige für die deutsche Bundesregierung, die von diesem höchst fragwürdigem Instrument aus der Mottenkiste der Sicherheitspolitik bis heute nicht lassen will.

Dass Union und SPD bis heute an diesem höchst umstrittenen Instrument festhalten, ist vor dem Hintergrund, dass auf diesem Weg letztlich auch den Strafverfolgungsbehörden ein Bärendienst erwiesen wird, unverständlich.

Statt sich für eine verbesserte personelle und technische Ausstattung der Polizeiarbeit und einer zielgerichtetere Arbeit in Zeiten realer terroristischer Bedrohungen einzusetzen, wird den Strafverfolgungsbehörden ein Instrument an die Hand gereicht, dessen sicherheitspolitischer Nutzen – empirisch nachweisbar – hart gegen Null geht. So erhöht man keine Sicherheit, gefährdet jedoch gleichzeitig massiv Grund- und Freiheitsrechte.

In den vergangenen Monaten haben wir die Bundesregierung wiederholt aufgefordert, sich nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen eine etwaige Neuauflage einer entsprechenden Richtlinie in Brüssel einzusetzen.

Bundesjustizminister Maas betonte stets, dass es mit ihm, so lange es keine neue Richtlinie gäbe, auch kein neues Gesetz auf nationaler Ebene geben werde.

Was dieses Versprechen wert war, sehen wir nun: Das von ihm vorgelegten Gesetz ist ein einziges Geschenk an den Koalitionspartner und seine sicherheitspolitischen Wünsche.

Wenige Tage nach entsprechenden Zusagen von Vizekanzlers Gabriel ist Heiko Maas umgekippt. Das von ihm vorgelegte, mit dem Bundesinnenministerium eng abgestimmte Gesetz suggerieren nur eine verfassungskonforme Einhegung.

Auf die eklatanten verfassungsrechtlichen Bedenken, die auch nach Vorlage des neuen Gesetzesentwurfs bestehen, haben mittlerweile zahlreiche Verbände und Organisationen aufmerksam gemacht. Zuletzt wurden diese auch vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages noch einmal klar und deutlich bestätigt.

Selbst die Bundesdatenschutzbeauftragte hat mittlerweile ihre Position in Sachen Vorratsdatenspeicherung revidiert und deutlich gemacht, dass sie sowohl vom Gesetzgebungsverfahren als auch vom Inhalt des vorgelegten Entwurf nur sehr wenig hält und nicht glaubt, dass dieser die hohen grundrechtlichen Hürden nimmt.

Der mehr als durchsichtige Versuch einer Umetikettierung der Vorratsdatenspeicherung in eine Mindest- oder Höchstspeicherfrist ist lächerlich und längst gescheitert, denn auch hier handelt es sich natürlich um nichts anderes als eine anlasslose Massenüberwachung der Telekommunikationsverkehrsdaten aller in Deutschland lebenden Menschen und damit um einen massiven Angriff auf unsere Grund- und Freiheitsrechte.

Ob der nun vorgelegte Gesetzesentwurf die hohen juristischen Hürden nimmt, die sowohl Bundesverfassungsgericht als auch Europäischer Gerichtshof aufgezeigt haben, bleibt auch aus unserer Sicht somit weiterhin mehr als zweifelhaft.

So sollen beispielsweise Berufsgeheimnisträger, Sie haben es angesprochen, weiterhin nicht aus der Speicherung ausgenommen werden. Auch andere gerichtliche Vorgaben, wie zum Beispiel die des EuGH, der eine Eingrenzung der Maßnahme auf einen bestimmten Personenkreis forderte, bleiben unberücksichtigt.

Die vom BVerfG – lange vor den Snowden-Enthüllungen – angemahnte Berücksichtigung anderer Massenspeicherungen in einer „Überwachungsgesamtrechnung“ ignoriert die Bundesregierung auch weiterhin geflissentlich.

Die Bundesregierung berücksichtigt ferner nicht ansatzweise, dass es sich bei der Vorratsdatenspeicherung um einen rechtspolitischen Dammbruch handelt. Die Stimmen derjenigen, die, wohlgemerkt noch vor Verabschiedung des Gesetzes eine Ausweitung der Speicherfristen und des Strafkatalogs fordern, sind ja heute schon zu vernehmen.

Daher ist es auch ein Trugschluss, wenn Bundesinnenminister de Maiziere nun mutmaßt, mit dem vorgelegten Kompromiss sei ein langjähriger Streit beendet. Die Auseinandersetzung um den Rechtsstaat und den Schutz unserer Bürgerrechte in der digitalen Welt ist mitnichten vorbei, sie hat vielmehr gerade erst begonnen.

Als grüne Bundestagsfraktion sagen wir klar: Wir haben, gemeinsam mit vielen Mitstreiterinnen und Mitstreitern, bereits das letzte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall gebracht und behalten uns explizit vor, auch diesmal wieder gegen dieses zutiefst grundrechtsfeindliche Vorhaben der Großen Koalition vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen.

Die Bundesregierung scheint leider nicht im Stande zu sein, aus ihren bisherigen Niederlagen die Lehren zu ziehen und von der Vorratsdatenspeicherung endlich abzusehen. Vielmehr haben die letzten Tage verdeutlicht: Ganz offenkundig sind Union und SPD weder fähig noch willens, aus den grundrechtlichen Realitäten die gebotenen rechtsstaatlichen Konsequenzen zu ziehen. Der von Anfang an von der Großen Koalition verfolgte bürgerrechtsfeindliche Kurs wird vielmehr konsequent fortgesetzt.

Dabei wäre es gerade angesichts der Enthüllungen Edward Snowdens und den anhaltenden Meldungen über IT-Angriffe der letzten Tage an der Zeit, die Ideologie extensiver anlassloser Datenmassenspeicherungen endlich hinter uns lassen und sich tatsächlich effektiven Instrumenten der Kriminalitätsbekämpfung zuzuwenden.

Die Vorratsdatenspeicherung gehört nicht ins Gesetz, sondern ein für alle Mal auf die Müllhalde der Geschichte!

Als Grüne Bundestagsfraktion werden wir uns auch weiterhin für den Erhalt und den Ausbau unserer Bürgerrechte einsetzen. Ich freue mich, Sie und Euch an unserer Seite zu wissen! Wir sehen uns in Karlsruhe!

Herzliche Grüße!
Ihr und Euer Konstantin von Notz

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