Vorratsdatenspeicherung, gute Polizeiarbeit vor Ort und Ermittlungsmethoden abseits von Überwachung und Generalverdacht – darum drehten sich die Debatten beim 4. Grünen Polizeikongress am 21. März 2015 in Hamburg. Auf meine Position zu alternativer Polizeiarbeit mache ich im gestern auch online erschienenen Gastbeitrag im Hamburger Abendblatt aufmerksam. Wie immer gilt: Über Eure Kritik und Anregungen freue ich mich.

Die Polizei stärken statt Daten speichern

Ein Gastbeitrag von Jan Philipp Albrecht

Wenige Tage nach den Anschlägen von Paris waren sich alle Innenminister der Europäischen Union einig: Die EU-weite massenhafte Speicherung aller Fluggastdaten muss her. Etwas leiser, aber ebenso bestimmt wurde hinterhergeschickt, dass natürlich auch überall in der EU anlasslos die Telekommunikationsdaten gespeichert werden müssen. Leiser, weil es in Frankreich bereits seit Jahren die zwölfmonatige Vorratsdatenspeicherung gibt, die Anschläge aber trotzdem nicht verhindert wurden. Und leiser auch, weil der Europäische Gerichtshof erst vor weniger als einem Jahr mit einem Paukenschlag festgestellt hatte, dass die anlasslose Datenspeicherung mit den EU-Grundrechten auf Datenschutz und Privatsphäre nicht vereinbar ist.

Doch jetzt wird auch in Deutschland laut nach der Vorratsdatenspeicherung gerufen. Vollkommen außer Acht bleibt dabei, ob die anlasslose Datenspeicherung überhaupt den Erfolg gebracht hat, den die EU-Regierungen sich spätestens seit den Bombenanschlägen von Madrid und London erhofft hatten. Und ob es nicht günstigere, grundrechtsschonendere und vor allem effektivere Mittel gäbe.

Wer sich die verübten wie vereitelten Anschläge der jüngsten Zeit genauer ansieht, erkennt: Die Attentäter von Kopenhagen, Paris, Brüssel, Ottawa, Toulouse und Boston sowie der Kofferbomber im Flug von Amsterdam nach Detroit waren allesamt den Sicherheitsbehörden als Verdächtige oder Gefährder bekannt. In allen Fällen hätte es die Möglichkeit gegeben, vorhandenen Informationen nachzugehen und die Personen zu überwachen.

In den betroffenen Ländern werden Vorratsdaten gespeichert und Fluggäste überwacht. Aber die vermeintlich Heil bringenden anlasslosen Datenspeicherungen haben die Taten nicht verhindert oder den Behörden frühzeitig zusätzliche Verdachtsmomente geliefert. Ganz im Gegenteil: Die Behörden müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie in den Datenbergen die Informationen über bekannte Verdächtige und Gefährder schlicht nicht frühzeitig gesehen, ausgetauscht und ausgewertet haben.

Wer im Lichte dieser Erkenntnisse noch nach dem schlichten Modell der anlasslosen Datenspeicherung ruft, ignoriert nicht bloß die höchstrichterliche Rechtsprechung, die für jede Datensammlung einen zumindest groben Bezug zu einem Verdacht oder Risiko einfordert, sondern läuft auch Gefahr, effektive Sicherheit auf Kosten teurer Placebo-Maßnahmen zu opfern. Der unreflektierte Ruf nach der Speicherung aller Telekommunikations- und Fluggastdaten auf Vorrat zeigt, dass sich die Sicherheitspolitiker – insbesondere von CDU und CSU – nicht mit der Frage nach Effektivität und Verhältnismäßigkeit befasst haben.

Angesichts der Tatsache, dass die EU-Staaten seit dem 11. September 2001 mit etwa 240 Sicherheitsmaßnahmen in die Grundrechte der Menschen eingegriffen und dazu Milliardenbeträge aus den Steuerkassen geholt haben, wäre eine solche Analyse allerdings das oberste Gebot, bevor auch nur eine weitere Maßnahme beschlossen würde.

Dabei gibt es Alternativen zur massenhaften und anlasslosen Überwachung aller Menschen. Naheliegend wäre, die Polizeiarbeit zu verbessern, die sich an konkreten Verdachts- und Risikoanlässen orientiert. Mehrfach haben Polizei und Sicherheitsbehörden in der Vergangenheit moniert, dass ihnen Personal und Ausstattung fehlen, um Verdachtsmomenten angemessen nachzugehen. Die Brandenburger Polizei musste jüngst eingestehen, dass sie die große Masse an digital vorhandenen Informationen gar nicht auswerten könne. Statt also mehrere Hundert Millionen Euro in neue Datensammlungen zu stecken, wird das Geld an anderer Stelle gebraucht, nämlich für die Polizeiarbeit vor Ort. Zudem ist doch klar: Wenn sich ein Verdacht oder ein Risiko realisiert, muss ein Richter in der Lage sein, aus eben diesem Anlass Daten – auch zu einem frühen Moment – sammeln zu lassen. Das kann der Server sein, der regelmäßig von organisierten Kriminellen besucht wird und das kann die Fluglinie sein, auf der dschihadistische Kämpfer nach Europa zurückkehren könnten. Doch das wäre etwas vollkommen anderes als die geplante Kompletterfassung unserer aller Leben zum Zwecke der Überwachung.

 

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