Soeben berichtete die Bild-Zeitung, dass Günther Oettinger (60, CDU) in der neuen EU-Kommission unter Präsident Jean-Claude Juncker (59) neuer „Internet-Kommissar“ werden wird. In einem ausführlichem Interview, das ich UdL-Digital vor kurzem zu einigen netzpolitischen Fragen gegeben habe, hatte ich auch auf die bevorstehende Nominierung und deren hohe Bedeutung für die netzpolitischen Diskussionen in Europa, aber auch in Deutschland hingewiesen. Hier findet Ihr das Originalinterview. Hier die entsprechenden Passagen zur Benennung eines neuen Kommissars:

Viele politische Weichenstellungen werden in Brüssel vorgenommen. Was erwarten Sie mit Blick auf die Netzpolitik von der nächsten Kommission?

Konstantin von Notz: Ob die anlasslose Vorratsdatenspeicherung, die zwischenzeitlich jährlich wiederkehrenden Vorstöße zur Einführung von Netzsperren, in Hinterzimmern verhandelte Abkommen wie ACTA, TTIP, TISA und Co. oder auch sicherheitspolitische Grusel-Vorhaben wie INDECT – in den letzten Jahren gab es immer wieder Vorstöße aus Brüssel, die leider oftmals sehr kontraproduktiv für den verfassungs- und mittlerweile auch EU-grundrechtlich gebotenen Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor unternehmerischer und staatlicher Ausspähung waren. Trotz anders lautender Lippenbekenntnisse hat sich die Kommission in den letzten Jahren leider nur sehr bedingt als Verbündeter derjenigen erwiesen, die gemeinsam für einen effektiven EU-Datenschutz, ein freies und offenes Internet und eine progressive digitale Bürgerrechtspolitik streiten. Ob sich das zukünftig ändert, wird sich bald zeigen: Nach der Wahl von Jean-Claude Juncker als neuen Kommissionspräsidenten steht derzeit u.a. die Frage im Raum, welchen Stellenwert netzpolitische Fragestellungen innerhalb der nächsten Europäischen Kommission haben werden. Herr Juncker hat ja angekündigt, dieses Thema zum Schwerpunkt der nächsten fünf Jahre machen und einen eigenen Digital-Kommissar benennen zu wollen. Diesen Prozess beobachten wir, auch vor dem Hintergrund ganz ähnlicher gelagerten Diskussionen auf nationaler Ebene im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen, mit großem Interesse. Denn selbstverständlich hängt von der etwaigen Benennung viel ab: Wird jemand den Posten übernehmen, dessen Schwerpunkt eher auf der Durchsetzung der Interessen weniger großer Konzerne liegt, oder geht es der Kommission zukünftig darum, tatsächlich Akzente für eine progressive Netzpolitik zu setzen, die vor allen den 500 Millionen Europäerinnen und Europäern und dem Netz als wichtigste Kommunikationsinfrastruktur unserer Zeit zu Gute kommen. Klar ist doch: In den letzten Monaten war die EU-Kommission viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Auch sie hat es leider verpasst, angesichts der Snowden-Enthüllungen mit einer Sprache zu sprechen und beispielsweise den Briten unmissverständlich zu verdeutlichen, dass man das Treiben ihres Geheimdienstes GCHQ so nicht dulden kann. Noch sind wir bedingt zuversichtlich und hoffen, dass sich die Kommission an der deutschen Bundesregierung, die es am Anfang der Legislaturperiode – übrigens obwohl es eine interfraktionelle Einigung hierüber gab – verpasst hat, Kompetenzen zu bündeln und nun vor einem ziemlichen Scherbenhaufen steht, ein mahnendes Beispiel nimmt und die Relevanz von netzpolitischen Fragestellungen und die Notwendigkeit einer gesetzgeberischen Begleitung im Sinne der Bürgerinnen und Bürger erkennt.

Bewertung der Benennung Günter Oettingers:
Heute sehe sich diejenigen bestätigt, die befürchtet haben, dass die EU-Kommission jemanden als neuen „Internetkommissar“ benennt, der sich, statt sich für eine progressive EU-Netzpolitik einzusetzen, vor allem der Durchsetzung der Interessen weniger großer Konzerne widmen wird. Doch auch Günter Oettinger hat eine 100 Tage-Frist verdient. Günter Oettinger wird beweisen müssen, dass er diesen Herausforderungen, vor die Internet und Digitalisierung den Gesetzgeber stellen, gewachsen ist. Wir erwarten, dass sich der neue EU-Internetkommissar Oettinger ab sofort für eine progressive Netzpolitik einsetzt, die nicht allein die Interessen weniger großer Konzerne bedient, sondern vor allen den mehr als 500 Millionen Europäerinnen und Europäern und dem Netz als wichtigste Kommunikationsinfrastruktur unserer Zeit zu Gute kommt. Hierzu gehört es auch, die bisherige EU-Netzpolitik, die sich in den vergangenen Jahren leider oftmals durch Vorstöße aus der Mottenkiste der Sicherheitspolitik ausgezeichnet hat, auf den Prüfstand zu stellen und im Zusammenspiel mit den anderen Kommissarinnen neu zu justieren. Für die vor ihm liegenden, zweifellos großen Herausforderungen wünschen wir Günter Oettinger zunächst viel Erfolg.

UPDATE 4.09.2014, 10:30

Gestern Abend kamen vermehrt Zweifel an der bisherigen Ressortaufteilung innerhalb der neuen Kommission auf. Heute Morgen leakte die in der Regel sehr gut informierte Plattform euractiv dann eine Übersicht, nach der @GOettingerEU nicht neuer EU-Digital-Kommissar, sondern für Handel inkl. TTIP zuständig wäre! Nach dieser gäbe es einen eigenen Kommissar für „Internet und Kultur“, der durch den Zyprioten Christos Stylianides aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) besetzt werden soll. Es bleibt also spannend.

UPDATE II 4.09.2014, 11:00

Für einige Verwirrung sorgt bislang noch der Umstand, dass in der geleakten Übersicht explizit erwähnt wird, dass Stylianides als Kommissar für „Internet und Kultur“ als Vizechef der Kommission auch den Bereich der „Digitalen Agenda“ von Neelie Kroes übernehmen soll. Gleichzeitig soll mit der Slowenin Alenka Bratusek eine Kommissarin für „Internet und Innovation“ berufen werden. Wie genau die Abgrenzung hier ausgestaltet werden soll, ist bislang noch unklar.

UPDATE III 10:09.2014:

Und wieder gibt es Neuigkeiten: Rund zwei Monate nach seiner Wahl hat der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker heute sein Kabinett vorgestellt. Nach den bisherigen Verlautbarungen wurde Günther Oettinger, dessen zwischenzeitliche Nominierung u.a. für einige lustige Fotos auf Twitter sorgte, heute als neuer Kommissar für die Digitale Wirtschaft vorgestellt. Eine genauere Ressortaufteilung ist noch nicht bekannt. Bezüglich der Nominierung Oettingers verweisen wir auf unsere oben geschriebenen Worte und Erwartungen an den neuen, deutschen Internet-Kommissar.

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