Vor kurzem haben sich die ersten Veröffentlichungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowdens zum ersten Mal gejährt. Seit nunmehr einem Jahr diskutieren wir über die durch den Whistleblower aufgedeckten – verfassungsrechtlich zumindest hoch umstrittenen – Praktiken verschiedener westlicher Geheimdienste. Angesichts der anhaltenden Untätigkeit der Bundesregierung und ihren Versuchen, die Aufklärung im Rahmen eines Untersuchungsausschusses des Parlaments zu sabotieren, haben am Jahrestag der Proteste verschiedene Aktionen stattgefunden, an denen auch ich mich beteiligt habe. In einem kurzen Gastbeitrag, den ich für die Frankfurter Rundschau verfasst habe, fordere ich die Bundesregierung auf, endlich die notwendigen Schritte zum Schutz unserer Grundrechte zu unternehmen und Edward Snwoden in einem ersten Schritt einen sicheren Aufenthalt in Deutschland zu gewähren. Hier findet Ihr den Originalbeitrag auf den Seiten der Frankfurter Rundschau

Verteidiger der Freiheit

Von KONSTANTIN VON NOTZ

Damit Edward Snowden in Deutschland aussagen kann, braucht es zivilen Ungehorsam und politischen Druck. Ein Gastbeitrag.

Edward Snowden hat uns vor mehr als einem Jahr bezüglich einer geheimdienstlichen Realität die Augen geöffnet, die mit der Freiheitlichkeit und Rechtsstaatlichkeit westlicher Verfassungen schlicht nicht in Einklang zu bringen ist. In der spektakulärsten Whistleblowingaktion, die es je gab, hat er eine bittere Janusköpfigkeit unserer Demokratien offengelegt: deren Einbettung in überwachungsstaatliche Strukturen. Die Dokumente weisen darauf hin, dass es ein weltumspannendes und auf Totalüberwachung der Kommunikation angelegtes Überwachungsnetz der westlichen Geheimdienste gibt, in das aller Wahrscheinlichkeit nach auch deutsche Dienste verstrickt sind.

Keineswegs beschränken sich die Hinweise von Snowden auf Überwachungsmaßnahmen der NSA. Offenbar haben sich die verbündeten Dienste die Welt aufgeteilt und reichen ihre Ergebnisse untereinander weiter. Damit hebeln sie die in Rechtsstaaten verfassungsrechtlich garantierten Rechte der Menschen auf Privatsphäre und Vertraulichkeit der Kommunikation unter Umgehung einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle aus. Diese Kooperation beruht statt auf rechtlichen Maßstäben auf dem archaischen „do ut des“, also „Ich gebe, damit du gibst.“ Wer was zu tauschen hat, dem wird gegeben. Auch der deutsche Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz scheinen viel weitergehender in diesen Ringtausch verfassungswidrig erlangter Daten involviert zu sein als sie und die Bundesregierung es heute zugeben wollen: Millionen von Informationen darüber, wer mit wem wann und wie lange spricht, werden offenbar laufend an Partnerdienste wie die NSA weitergereicht. Jüngst wurde aufgedeckt, dass sich die Anzahl der Datensätze, die das Bundesamt für Verfassungsschutz an US-Dienste geschickt hat, sich in den letzten vier Jahren fast verfünffacht hat.

Bislang galt als selbstverständlich, dass die dauerhafte und massenhafte Überwachung der Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger Kennzeichen totalitärer Staaten ist. Mit unserem Grundgesetz jedenfalls sind keine Formen der Totalüberwachung zu vereinbaren. Im Gegenteil hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass Kommunikationsinfrastrukturen eines besonders hohen Schutzes durch Staat und Gesetzgeber bedürfen. Und es zählt die Freiheit vor übermäßiger Überwachung zum unverbrüchlichen Kernbestand unserer Demokratie, zur Identität unseres Verfassungsstaates, der auch nicht über EU-Regelungen aufgehoben werden kann.

Und doch ist trotz der spektakulären Enthüllungen in den vergangenen zwölf Monaten nahezu nichts passiert. Insbesondere die Bundesregierung unter Angela Merkel hat den Bundesbürgern und ihren Rechten bis heute die nötige Unterstützung verweigert. Stattdessen hat sie verzögert, verschleiert und getäuscht wo es nur ging. Der peinliche Versuch von Merkels Kanzleramtsminister Pofalla, den weltgrößten Spionageskandal einfach für beendet zu erklären, belegt dieses jämmerliche Vorgehen aufs Eindrucksvollste.

Rechtsstaatlichkeit, Schutz vor staatlicher Willkür, Meinungs- und Pressefreiheit – wenn man in die Geschichtsbücher oder einmal über den Globus schaut, stellt man fest: Alles eher die Ausnahme als eine Selbstverständlichkeit. Auch in Europa und gerade in Deutschland sind diese Errungenschaften nicht gottgegeben. Man kann sie auch wieder verlieren.

Edward Snowden hat seine bürgerliche Existenz aufs Spiel gesetzt, um zu offenbaren, dass ein Prozess im Gange ist, der unsere Freiheit existentiell bedroht. Erst durch Snowden wurde der Vorhang staatlicher Vertuschung des Umstandes zurückgezogen, dass man die Bürgerinnen und Bürger auf Kosten ihrer Privatsphäre und unter Verwendung von Milliarden an Steuergeldern systematisch ihrer Privatsphäre beraubt. Snowden hat den freiheitlichen Staaten der Welt damit eine Möglichkeit zur Korrektur, zur Selbstheilung verschafft. Seine Veröffentlichungen sind erst die Grundlage, die eine Diskussion in der demokratischen Öffentlichkeit und Konsequenzen daraus ermöglicht.

Der erste Untersuchungsausschuss in der 18. Wahlperiode, nach monatelangem Nichtstun der Regierung Merkel, fraktionsübergreifend vom Parlament beschlossen, ist einer der Orte, an dem eine solche demokratische Korrektur dieser massiven Fehlentwicklungen vorgenommen werden kann. Hier kann aufgeklärt, hier können Konsequenzen aufgezeigt werden. Dafür muss einer der Schlüsselzeugen gehört werden. Und zwar unmittelbar in Person, in Berlin vor dem Ausschuss, wie es gesetzlich für einen Untersuchungsausschuss aus gutem Grund vorgesehen ist. Die Bundesregierung unter Angela Merkel versucht das zu verhindern. Genannt werden diplomatische Gründe, aber es scheint nicht zu verwegen anzunehmen, dass auch die deutschen Verantwortlichkeiten für dieses Überwachungsregime weiter vertuscht werden sollen.

Gegen diese undemokratische, ja zynische Haltung hilft nur ziviler Ungehorsam und anhaltender politischer Druck. Den bedeutendsten Beitrag an zivilem Ungehorsam hat Edward Snowden für uns alle bereits geleistet. Jetzt ist es an uns, gemeinsam die Rückkehr zu verfassungsmäßigen Verhältnissen zu erstreiten. Angesichts des massiven Widerstandes des Sicherheitsapparates und der tatkräftigen Unterstützung einer aufklärungsunwilligen Regierung werden wir hierfür einen sehr langen Atem brauchen.

Konstantin von Notz, Vizefraktionschef der Grünen im Bundestag, ist netzpolitischer Sprecher seiner Fraktion und Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss.

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