Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich seit mehreren Jahren sehr intensiv mit der Netzneutralität. Das Thema war immer wieder Gegenstand von intensiven parlamentarischen Beratungen – sowohl in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft, die eine eigene Arbeitsgruppe zur Netzneutralität installierte, aber zum Beispiel auch im Zuge der im Parlament in der letzten Legislaturperiode stattgefundenen Debatten um die Reform des Telekommunikationsgesetztes (TKG).

Alle Oppositionsfraktionen, also auch die nun mitregierende SPD, hatten in der vergangenen Wahlperiode Gesetzesentwürfe und Anträge vorgelegt, die das Ziel einte, die schwarz-gelbe Bundesregierung, die sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Schutz der Netzneutralität verpflichtete, auch angesichts einer zunehmenden Bedrohung der Netzneutralität dazu zu bewegen, eine gesetzliche Regelung vorzulegen, die Verstöße gegen das Prinzip der Neutralität der Netze effektiv zu unterbinden im Stande ist.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte lediglich mehrere Verordnungsentwürfe vorgelegt, die nach Ansicht aller Experten kaum im Stande sind, Verstöße gegen das Prinzip der Netzneutralität effektiv zu unterbinden. So sah die Regelung explizit die Möglichkeit der Einführung sogenannter „managed services“ vor, mit denen ein „Zwei-Klassen-Internet“ entstehen würfe, in dem die Daten desjenigen, der für deren Transport mehr zahlen kann, bevorzugt werden. Die Gretchenfrage, wie eine Priorisierung von bestimmten Daten nicht automatisch mit einer Diskriminierung anderer Daten einhergehen soll, konnte die schwarz-gelbe Bundesregierung nie beantworten. Doch das fichte sie nicht an. Auch eine entsprechende Petition konnte die Regierungsfraktionen nicht dazu bewegen, gesetzgeberisch nachzubessern.

War es zunächst still geworden um die Netzneutralität, legte die Europäische Kommission zwischenzeitlich einen Entwurf vor, der sich, als hätte man die Diskussion der letzten Jahre nicht geführt, beinahe an dem der schwarz-gelben Bundesregierung zu orientieren schien. Auch er sah die Einführung von speziellen „Services“ vor. Einmal mehr musste das Europäische Parlament im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer eingreifen und klarstellen, dass die entsprechende Vorlage keine geeignete Grundlage für den tatsächlichen Schutz der Netzneutralität darstellt. Die Kommission wurde aufgefordert, hier dringend nachzubessern. Einmal mehr hatte das Parlament der Kommission die rote Karte für eine Politik gezeigt, die die Interessen einiger großer Unternehmen vor die der Bürgerinnen und Bürger Europas stellt. Doch wer glaubte, die deutsche Bundesregierung würde nun endlich nachziehen, der irrte – leider.

Durch entsprechende Vorstöße mehrere Unternehmen und eine ebenfalls halbherzige Reaktion der US-amerikanischen Politik dagegen, gewann die Debatte um die gesetzliche Absicherung der Netzneutralität in den vergangenen Wochen erneut an Fahrt. Auch der Bundestag beschäftigte sich erneut mit dem Thema. So fragte ich im Rahmen einer Sitzung des Ausschusses „Digitale Agenda“ die Staatssekretärin des federführend zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums, Brigitte Zypries (SPD), nach der Position der Bundesregierung. Konkret wollte ich wissen, ob die Bundesregierung, der ja bekanntlich auch die SPD angehört, die vor Kurzem noch eine gesetzliche Initiative forderte, nunmehr tätig werden und die Netzneutralität endlich gesetzlich absichern wird. Die mir nunmehr, im Nachklapp der Sitzung, schriftlich zugesandte Antwort der Staatssekretärin hat mich dann doch verwundert.

So antwortet mir die Staatssekretärin, dass meine Frage zwischenzeitlich der Bundesnetzagentur zur Stellungnahme vorgelegt wurde und die Agentur mitgeteilt habe, dass es in den letzten Jahren zwar „eine Reihe von Beschwerden wegen vermeintlicher Verstöße gegen das Prinzip der Netzneutralität“ gegeben habe, sich die Zahl dieser Beschwerden aber in engen Grenzen halte. Aufgrund der „übersichtlichen Anzahl von Beschwerden“ und der Tatsache, dass einige Beschwerden auch ausgeräumt werden konnten und oftmals auch kein Anlass für Maßnahmen bestand, wird momentan, so die Staatssekretärin „kein unmittelbarer Handlungsbedarf“ gesehen. Ob dies die Meinung der Bundsnetzagentur oder die der Bundesregierung ist bleibt – wohl bewusst – offen. Bei der Entscheidung über etwaige Maßnahmen oder Modifizierung des geltenden Rechtsrahmens müsse, so die Vertreterin des Bundeswirtschaftsministeriums, die weitere Entwicklung der Diskussion zur Netzneutralität auf europäischer Ebene einbezogen werden.

Man fragt sich an dieser Stelle schon, warum die SPD am Ende der vergangenen Legislaturperiode noch einen Antrag (pdf) vorgelegt hat, in dem es hieß, dass die Sicherung der Netzneutralität auch nach der umfassenden Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) von 2012 „nicht klar genug geregelt“ sei. Weiter mahnte die SPD, es bedürfe „gesetzlicher und regulatorischer Rahmenbedingungen, um Fehlentwicklungen von vornherein zu verhindern“, wobei die grundlegenden Prinzipien der Netzneutralität „verbindlich festzulegen“ und Verstöße „wirksam zu sanktionieren“ seien. Man monierte, dass, obwohl dies der „Planungssicherheit aller Beteiligten“ diene, die Netzneutralität nach wie vor nicht gesetzgeberisch als Regulierungsziel verankert sei. Die im neugeschaffenen § 41a vorgesehenen Handlungsoptionen blieben bislang leider ungenutzt, so dass „die Bestimmungen ins Leere laufen“ würden, so dass „zur nachhaltigen Sicherung der Netzneutralität“, so die SPD in ihrem Antrag, „klare gesetzliche Vorgaben notwendig“ seien.

Deutlicher geht es ja eigentlich nicht, sollte man meinen. Dennoch will die SPD heute scheinbar nichts mehr von ihren, vor kurzem noch in Antragsform gegossenen Absichten, die Netzneutralität gesetzlich zu sichern, wissen. Während sie in der Initiative noch darauf hinwies, dass der neu geschaffene § 41a TKG ins Leere laufen würde und zudem kritisierte, dass das – nunmehr SPD geführte – Bundesministerium für Wirtschaft zwar ermächtigt sei, Schritte zur Wahrung der Netzneutralität einzuleiten, diese aber leider nicht nutze, vollzieht man nun, kaum selbst in der Regierung, offenbar eine 180 Grad Kehrtwende.

So will man von der in § 41a TKG festgehaltene gemeinsamen Verantwortung von Bundesnetzagentur und Bundesministerium für Wirtschaft für die Sicherung der Netzneutralität plötzlich scheinbar nichts mehr wissen. Man versucht, indem man die Verantwortung allein auf die Bundesnetzagentur abwälzt, von der eigenen Verantwortung abzulenken. Zudem verweist man, auch das ist kein unbekanntes Muster, auf die EU-Ebene, die ja in Kürze eine Regelung vorlegen werde. Genauso hatte die letzte Bundesregierung, trotz intensiver Diskussionen und der Erkenntnis, dass die Netzneutralität massiv gefährdet ist, stets auf die Europäische Ebene verwiesen, um sich so vor einer effektiven gesetzlichen Regelung auf Bundesebene zu drücken. Zu den lautstärksten Kritikern dieses Vorgehens zählte bis vor kurzem noch die SPD.

Von einer tatsächlichen, vor kurzem als Oppositionsfraktion von ihr noch geforderten gesetzlichen Regelung will die Regierungsfraktion SPD nun scheinbar nichts mehr wissen. Die SPD scheint mit dieser Neu-Positionierung in Sachen Netzneutralität gleich zu Beginn der Legislatur bei einem netzpolitischen Schlüsselhema umgekippt zu sein. Es bleibt zu hoffen, dass dies die progressiven Kräfte in der SPD schnellstmöglich erkennen und intervenieren. Die SPD, die ja seit kurzem ganz offiziell Netzpartei sein will, muss sich schleunigst darauf besinnen, dass eine Vogelstrauß-Politik, wie sie die letzte schwarz-gelbe Bundesregierung in Sachen Netzneutralität verfolgt hat, wirklich niemandem hilft. Gelegenheit, die SPD hierauf aufmerksam zu machen, bietet das zweite Fachgespräch des Ausschusses „Digitale Agenda“ zum Thema Netzneutralität, das am 2. Juni 2014, stattfinden wird.

Hier findet Ihr alles Wissenswerte zum Fachgespräch. Hier findet Ihr eine Übersicht unserer Aktivitäten in Sachen Netzneutralität der letzten Jahre.

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