Zur Ankündigung des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, social media in der Türkei nach einem erfolgreichen Abschneiden seiner Partei bei den anstehenden Kommunalwahlen verbieten zu wollen, hat Claudia Roth, grüne Vizepräsidentin des Bundestags, heute das Vorgehen des Ministerpräsidenten, dessen Ansinnen mittlerweile von Präsident Gül abgelehnt wurde, scharf kritisiert. Da wir die Einschätzung von Claudia Roth und ihre Kritik am Vorgehen des türkischen Ministerpräsidenten voll teilen, dokumentieren wir die Kritik der Bundestagsvizepräsidentin auch an dieser Stelle noch einmal.

Ein Ministerpräsident, der sozialen Medien im Zeitalter der Globalisierung nationalstaatliche Grenzen setzen will, muss wohl jedes politische Gespür und Gefühl für Augenmaß verloren haben. Offenbar greift in der Regierung Erdoğan nach all den unappetitlichen Enthüllungen langsam nackte Panik um sich. Erdoğan scheint sich für die Türkei chinesische Verhältnisse herbei zu träumen.

Es ist unbestritten, dass die Türkei angesichts innenpolitischer Altlasten und zahlreicher Krisen in der unmittelbaren Nachbarschaft derzeit in einer extrem schwierigen Lage ist. Die politischen, ideologischen und teilweise persönlichen Grabenkämpfe in der türkischen Politik rechtfertigen es jedoch nicht, demokratische Instanzen, Gewaltenteilung, eine freie Justiz und die demokratische Kontrolle von Staatsorganen auszuhebeln.

Ministerpräsident Erdoğan hat es versäumt, die Enthüllungen über die alltägliche Korruption gerade innerhalb der Staatsführung zum Anlass zu nehmen, um mehr Transparenz, klare Gewaltenteilung und die Etablierung von rechtsstaatlichen Kriterien zu schaffen. Stattdessen hat er es zu verantworten, dass die Justiz des Landes mittlerweile völlig arbeitsunfähig geworden ist.

Seit geraumer Zeit beobachten wir mit großer Sorge, wie Ministerpräsident Erdoğan mit seiner zunehmend autokratischen Politik substanzielle Elemente des Rechtsstaates gegen die Wand fährt. Es ist nicht nur beängstigend, sondern einer Demokratie wesensfremd, wenn ein Staatsmann gebetsmühlenartig behauptet, selbst der alleinige Retter einer Nation zu sein.

Nicht das Verbot sozialer Medien und die Einschränkungen von Bürger- und Freiheitsrechten sind der Ausweg aus der Krise in der Türkei, sondern nur eine schonungslose und rasche Aufklärung aller Korruptionsfälle, eine institutionelle Stärkung von demokratischen Prinzipien und Verfahren und die Errichtung einer konsequenten Gewaltenteilung sowie einer unabhängigen Justiz.

Die Bundesregierung sollte gemeinsam mit ihren EU-Partnern aktiv werden und nicht zulassen, dass die rechtsstaatlichen Strukturen in einem EU-Mitgliedskandidatenland im Schatten der Krisen in Syrien und in der Ukraine weiter erodieren. Es braucht eine klare und unmissverständliche Unterstützung für die Bemühungen der türkischen Zivilgesellschaft um Gewaltenteilung und um einen funktionierenden Rechtsstaat. Gleichzeitig müssen endlich glaubwürdige Signale zur Einbindung der Türkei in die europäische Wertegemeinschaft gesendet werden, um einen neuen innerstaatlichen Konflikt in der unmittelbaren Nachbarschaft der EU zu verhindern.

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