Am vergangenen Wochenende, genauer am Samstag, dem 30.11.2013, fand in Kiel der Kleine Parteitag der Grünen in Schleswig-Holstein statt. Neben zahlreichen anderen Initiativen, verabschiedete der Parteitag auch einen von mir inititierten Antrag mit dem Titel „Gegen massenhafte Überwachung: Grundrechte schützen – Rechtsstaatlichkeit bewahren“. Intention der Initiative war es, die Entwicklungen und Versäumnisse der Bundesregierung der letzten sechs Monate aufzuzeigen und die von uns Grünen auf Bundes- und Landesebene, sowohl als Partei als auch als Fraktion, in verschiedenen Initiativen gemachten Vorschläge noch einmal zusammenzufassen. Zudem haben wir in unserem Antrag auch noch einmal auf die im schleswig-holsteinischen Koalitionsvertrag sehr klar verankerte Absage an eine Vorratsdatenspeicherung, auf die sich die Große Koaltion gerade auf Bundesebene verständigt hat. Dass dies richtig war, hatten die jüngsten Äußerungen des schleswig-holsteinischen Innenministers, Andreas Breitner, gezeigt. Ich habe mich sehr gefreut, dass unser Antrag einstimmig beschlossen wurde.

AntragstellerInnen:

Konstantin von Notz (KV Hrzgt. Lauenburg)
Jörn Pohl (KV Kiel)
Eka von Kalben (KV Pinneberg)
Rasmus Andresen (KV Flensburg)
Ruth Kastner (KV Stormarn)
Burkhard Peters (KV Hrzgt. Lauenburg)
Oliver Pohl (KV Kiel)
Luise Amtsberg (KV Kiel)
Jan Philipp Albrecht (KV Wolfenbüttel)
Markus Stiegler (KV Kiel)
Valerie Wilms (KV Pinneberg)
Uta Röpcke (KV Hrzgt. Lauenburg)
Nina Schneider (KV Kiel)
Peter Stoltenberg (KV Segeberg)
Sabine Rautenberg (KV Stormarn)

Gegen massenhafte Überwachung: Grundrechte schützen – Rechtsstaatlichkeit bewahren

Seit Anfang Juni 2013, also nunmehr über fünf Monaten, werden insbesondere aufgrund der Veröffentlichungen des Whistleblowers Edward Snowden immer neue Einzelheiten zum Ausmaß der Überwachung des weltweiten Internetverkehrs durch verschiedene Geheimdienste bekannt. So ist heute belegt, dass unter dem Deckmantel der Terrorismusabwehr nicht nur Bürgerinnen und Bürger, sondern auch Politik, Verwaltung und Wirtschaft offenbar anlasslos und flächendeckend überwacht und ausspioniert werden. Die Ausspähung setzt nicht nur an zentralen Internet-Knotenpunkten an. Sie wird auch, teilweise zumindest gedeckt durch Beschlüsse US-amerikanischer Geheimgerichte, bei großen IT-Unternehmen durchgeführt.

Zudem wurde bekannt, dass auch direkt aus Botschaften in Berlin heraus eine intensive – offensichtlich völkerrechtswidrige – Spionage betrieben wurde. Derzeit verdichtet sich der Verdacht eines systematischen Zusammenspiels verschiedener westlicher Geheimdienste, die auf zumindest fragwürdigem Wege erlangte Daten austauschen und gemeinsam Anstrengungen unternehmen, rechtliche Einschränkungen in ihren Ländern zu umgehen und zu „flexibilisieren“. In diesem „Ringtausch-System“ kommt auch deutschen Geheimdiensten nach heutigem Kenntnisstand eine wichtige Rolle zu.

Der in den letzten Wochen und Monaten offenbar gewordene Überwachungs- und Geheimdienstskandal geht direkt an die Wurzeln unseres Rechtsstaates. Er ist der größte Skandal dieser Art, den die westlichen Demokratien jemals erlebt haben. Ihn umfassend aufzuklären und die notwendigen Konsequenzen für den Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger, aber auch den Schutz von Politik, Verwaltung und Wirtschaft vor Spionage durch befreundete und nicht befreundete Staaten zu ziehen, ist alternativlos. Durch ihr Agieren in den letzten Wochen und Monaten hat die Bundesregierung jedoch mehrfach unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie an der Aufklärung und dem Abstellen der systematischen Grundrechtsverletzungen kein Interesse hat.

Der bisherige Umgang der Bundesregierung mit den bekannt gewordenen Enthüllungen und ihre Weigerung, den Schutz unserer Bürger- und Menschenrechte sowie unserer Demokratie durchzusetzen, ist skandalös. Zunächst verweigerte die Bundesregierung im Wahlkampf jede öffentliche Diskussion, eine Überprüfung der durch verschiedene Medien ausgewerteten Unterlagen Edward Snowdens wurde verweigert, anschließend erklärte sie die Affäre für „beendet“, allein unter Berufung auf Beteuerungen der Geheimdienste, sich „auf deutschem Boden an deutsches Recht zu halten“. Erst Monate später, nachdem die Kommunikation der Kanzlerin selbst betroffen war, zog man erste, zaghafte Konsequenzen, bestellte den US-Botschafter ein und führte Gespräche auf höchster politischer Ebene. Diese haben bis heute keinerlei Ergebnisse gebracht. Dabei gebe es zahlreiche Handlungsoptionen, die wir als Grüne seit Beginn des Skandals aufzeigen und stetig aktualisieren. Sie setzen auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene an und würden zum effektiven Schutz unseres Rechtsstaates und unserer Demokratie beitragen.

Im Zuge des jetzigen Skandals werden auch die massiven Versäumnisse der Bundesregierung im Bereich des Daten- und Verbraucherschutzes, der Datensicherheit und der Abwehr sogenannter Cyberspionage offensichtlich. In den genannten Bereichen gibt es aufgrund einer schwarz-gelben Arbeitsverweigerung in den letzten vier Jahren und dem Unwillen zur politischen Gestaltung des digitalen Wandels einen erheblichen Nachholbedarf. So hat es die Bundesregierung im Bereich des Daten- und Verbraucherschutzes nicht nur verpasst, die von uns Grünen immer wieder angemahnten Reformen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor staatlicher und unternehmerischer Ausspähung auf nationaler und europäischer Ebene endlich anzugehen, sie hat diese teilweise bewusst verhindert.

Mit ihrem im Bereich des privatwirtschaftlichen Datenschutzes verfolgten Laissez-Faire-Ansatz, der allein auf Selbstverpflichtungen setzte, ist sie krachend gescheitert. Ihr einziges Leuchtturmprojekt, die Stiftung Datenschutz, ist eine Lachnummer. Im Bereich der Datensicherheit hat sie es aufgrund einer völlig falsch verstandenen Wirtschaftsnähe verpasst, unsere Vorschläge, zum Beispiel bezüglich einer durchgehenden Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bei IT-Großprojekten, umzusetzen. Ihr Hals über Kopf eingerichtetes Cyber-Abwehrzentrum ist nicht ansatzweise im Stande, die ihm zugedachten Aufgaben adäquat gerecht zu werden. Zahlreiche, nun durch das Europäische Parlament im Zuge der Debatte um den NSA-Skandal teilweise ausgesetzte Datenaustausch-Abkommen mit den USA, hat sie, trotz massiver Bedenken, wiederholt durchgewunken. Von uns Grünen unterbreitete Vorschläge zur Erhöhung der Datensicherheit, zum Beispiel zur Unterstützung von Techniken zur Anonymisierung von über das Internet laufender Kommunikation oder zur Verschlüsselung von E-Mails, hat sie abgelehnt und gleichzeitig den Export von Überwachungstechnologie deutscher Firmen – auch an autoritäre Staaten – unterstützt.

Insgesamt hat die mit allem Digitalen noch immer fremdelnde, derzeit geschäftsführende Bundesregierung in den vergangenen Jahren deutlich gezeigt, dass sie mit den Herausforderungen des digitalen Wandels unserer Gesellschaft völlig überfordert ist. Dieses Bild setzt sich nun im Zuge ihrer Suche nach adäquaten Antworten und angemessenen Reaktionen auf den derzeitigen Überwachungs- und Geheimdienstskandal fort. Sämtliche von Seiten der Bundesregierung in den letzten Wochen ergriffene Maßnahmen sind von größter Konzeptlosigkeit geprägt. Sie gehen entweder am Kern des Problems vorbei oder würden die sich für den Grundrechtsschutz ergebenden Probleme sogar noch potenzieren. Exemplarisch sei hier das derzeit zwischen führenden Geheimdienstlern beider Länder in Verhandlung befindliche No-Spy-Abkommen erwähnt. Statt die Problematik grundsätzlich anzugehen und effektive Mechanismen zum Schutz unserer Menschen-, Grund- und Bürgerrechte zu etablieren, plant man ein bilaterales Abkommen mit den USA, welches allein auf Spionage gegenüber Politik und Unternehmen abzielt. Die 80 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger würden somit im Regen stehen gelassen. Die Frage, ob es nicht auch weiterer bilateraler Abkommen bedürfe, zum Beispiel mit Großbritannien,  beantwortet die Bundesregierung nicht.

Ähnlich verhält es sich mit einer nun verabschiedeten UN-Resolution, die zwar die Ausspähung kritisiert, darüber hinaus jedoch keinerlei völkerrechtliche Wirkung entfaltet. Auch die Realisierung des jüngsten Vorschlags Innenminister Friedrichs, als Antwort auf den jetzigen Ausspähskandal ein eigene europäische IT-Infrastruktur zu schaffen, würde nicht nur aufgrund einer technisch extrem anspruchsvollen Umsetzung Jahre in Anspruch nehmen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, was der Sinn einer solchen Infrastruktur ist, so lange auch europäische Geheimdienste an ihrer jetzigen Praxis festhalten.

Dies alles macht deutlich: Statt endlich die notwendigen Konsequenzen aus den letzten Wochen und Monaten zu ziehen und dem Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger und dem Schutz von Politik, Verwaltung  und Wirtschaft vor einer systematischen Ausspähung Geltung zu verschaffen, hält die Bundesregierung unbeirrt an ihrer alten Law & Order-Politik und dem Instrumentarien aus der Mottenkiste konservativer Sicherheitspolitik fest. Statt die jüngsten Entwicklungen zum Anlass zu nehmen, die eigene sicherheitspolitische Agenda grundlegend zu überdenken und die seit Jahren notwendigen Korrekturen, wie etwa einen Verzicht auf die anlasslose, alle Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht stellende Vorratsdatenspeichnerung endlich vorzunehmen, nimmt sich die Bundesregierung nun scheinbar sogar ein Beispiel an den offenbar gewordenen, maßlosen Überwachungs- und Ausspähpraktiken. So wurden im Zuge der derzeit stattfindenden Koalitionsgespräche u.a. Überlegungen bekannt, über das Internet laufende Kommunikation zukünftig ebenfalls direkt an den Knotenpunkten abzugreifen und den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Ländern bereitzustellen.

Es wird deutlich, auch von Seiten einer neuen Bundesregierung ist hinsichtlich notwendiger Korrekturen der bisherigen sicherheitspolitischen Agenda sehr wenig zu erwarten. Vielmehr steht, auch und gerade angesichts einer übermächtigen Großen Koalition aus Union und SPD auf Bundesebene, in der aller Voraussicht nach auch die Sozialdemokraten nicht die Funktion eines bürgerrechtlichen Korrektivs übernehmen werden, zu befürchten, dass der Druck auf Verfassung und Rechtsstaat weiter zunehmen wird.

Als Grüne in Schleswig-Holstein sind wir uns unserer Verantwortung für Demokratie und Rechtsstaat bewusst und werden alles in unserer Macht stehenden tun, unseren Anteil zu leisten, der Herrschaft des Rechts wieder Geltung zu verschaffen und unsere Menschen- und Bürgerrechte zu wahren und zu stärken.

Der Kleine Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen fordert die Landesregierung auf:

sich gegenüber der Bundesregierung dafür einzusetzen,

• die im Raum stehenden Vorwürfe der massenhaften Überwachung aller Kommunikation durch diverse Geheimdienste umfassend und unter größtmöglicher Transparenz aufzuklären und alle rechtsstaatlichen Mittel auszuschöpfen, um Straftaten effektiv zu verfolgen, den Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen und auf einen sofortigen Stopp des Ausspionierens von Politik, Verwaltung und Wirtschaft zu drängen,

• rechtliche Schritte auf internationaler Ebene zu unternehmen, um die nun bekannt gewordene Ausspähung effektiv zu unterbinden, z.B. durch ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien, eine Anrufung des Internationalen Gerichtshofes, ein Verfahren vor dem UN-Menschenrechtsausschuss nach Art. 41 des UN-Zivilpaktes, eine Überprüfung der Einhaltung von Art. 8 der Europäischen Menschenrechtscharta und ähnliche Maßnahmen,

• auch über die Rolle der deutschen Geheimdienste, insbesondere bezüglich der Zusammenarbeit und des Datenaustausches mit anderen Diensten aufzuklären,

• intensiv zu prüfen, inwieweit auch die Parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste grundlegend überarbeitet und effektiviert werden muss,

• bis zur vollständigen Klärung der bekannt gewordenen Praktiken durch die National Security Agency (NSA) auf die vorübergehende Aussetzung und Neuverhandlung des SWIFT-Abkommens, des PNR-Abkommens und des Safe-Harbour-Abkommens, sowie eine zumindest vorübergehende Aussetzung des derzeit in Verhandlung befindlichen transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP) zu drängen,

• sogenannte No-Spy-Abkommen nur dann abzuschließen, wenn diese zumindest auch ein Verbot des Ausspionierens der Kommunikation von Bundesbürgern beinhaltet,

• intensiv zu prüfen, inwieweit dem Whistleblower Edward Snowden, der mit seinen Hinweisen und Aussagen den Menschenrechten weltweit und in Deutschland einen großen Dienst erwiesen hat, aus humanitären Gründen und zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland hierzulande einen gesicherten Aufenthaltstatus nach §22 Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) zugebilligt und ihm Schutz gewährt werden kann, um damit auch Befragungen Edward Snowdens zu ermöglichen,

• Techniken, die Schutz vor Ausspähung bieten (Anonymisierungsdienste, TOR-Netzwerke, Techniken zu Email-Verschlüsselung) politisch stärker zu unterstützen und zu fördern,

• den gesetzlichen Schutz von Hinweisgebern („Whistleblowern“) auszubauen,

• endlich und endgültig von der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung Abstand zu nehmen und als Landesregierung – dem zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und SSW geschlossenen Koalitionsvertrag folgend – möglichst umgehend eine entsprechende Bundesratsinitiative vorzulegen.

Hier findet Ihr eine Übersicht unserer bisherigen Initiativen gegen PRISM, Tempora und Co.

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