Bis vor Kurzem verhandelten Union und SPD über einen Koalitionsvertrag für die kommende Legislaturperiode. U.a. auch die dort enthaltene Formulierung zur Vorratsdatenspeicherung hat für große Verwunderung gesorgt. Auch wenn es ein Leichtes gewesen wäre, sich bei dem entsprechenden Passus zur Vorratsdatenspeicherung auf eine Formulierung zu einigen, die es ermöglicht, das im Frühjahr nächsten Jahres anstehende Urteil zur Vorratsdatenspeicherung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) abzuwarten, hat man sich vorschnell auf die rasche Wiedereinführung verständigt. Darüber hinaus will man sich dafür einsetzen, die Frist zur Speicherung von 6 Monate auf 3 Monate auf EU-Ebene abzusenken. Der Kompromiss ist keiner. Die SPD, die im Wahlkampf noch angemahnt hatte, man müsse im Lichte der bekannt gewordenen Überwachungspraktiken verschiedener Geheimdienste das EuGH-Urteil abwarten, hat scheinbar jedweden bürgerrechtlichen Anspruch an der Garderobe des Regierens abgegeben. In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt habe ich das Vorgehen der Großen Koalition in Sachen Vorratsdatenspeicherung im Lichte des derzeitigen Überwachungs- und Geheimdienstskandals bewertet. Wie immer gilt: Über Eure Kritik und Anregungen freue ich mich.

Gastbeitrag zur Vorratsdatenspeicherung

Gift für jede Demokratie

von Konstantin von Notz

Das EU-Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung ist für Union und SPD ein bürgerrechtliches Armutszeugnis. Sollte das Überwachungsinstrument gekippt werden, muss der Bundes-Innenminister seinen Hut nehmen.

Die Vorratsdatenspeicherung verstößt nach Ansicht eines Gutachters am Europäischen Gerichtshof auch gegen geltendes EU-Recht. Die in einer EU-Richtlinie von 2006 vorgeschriebene anlasslose Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten von mehr als 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger ist nach Ansicht des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof (EuGH) unvereinbar mit der EU-Grundrechtecharta.

Im Jahr 2010 hatte schon das Bundesverfassungsgericht die deutsche Umsetzung der EU-Richtlinie für nichtig erklärt. In den vergangenen vier Jahren versäumte es die schwarz-gelbe Bundesregierung sträflich, auf europäischer Ebene für die Aufhebung der Richtlinie zu sorgen. Wieder einmal überließ man es lieber Gerichten, in diesem Fall dem EuGH, den Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Ein gesetzgeberisches Armutszeugnis.

Den Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung ist es auch nach Jahren der Diskussion bis heute nicht gelungen, die Verhältnismäßigkeit dieses problematischen Instrumentes nachzuweisen. Stattdessen argumentieren die sicherheitspolitische Hardliner aus Union und SPD stets höchst fragwürdig allein mit Einzelfällen.

In vorauseilendem Gehorsam verständigten sich jetzt SPD und Union in ihrem Koalitionsvertrag dennoch auf eine Neuauflage der anlasslosen Massenspeicherung. Sämtliche Hinweise auf die laufende Evaluierung und ausstehende Gerichtsentscheidung ignorierte man geflissentlich. Dieses Vorgehen könnte sich, das wurde heute deutlich, schon bald bitter rächen: Nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts widerspricht die EU-Richtlinie von 2006 der EU-Grundrechtcharta, so etwa dem Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre. Zudem sei die vorgesehene Speicherung der Daten unverhältnismäßig lang.

Das nun vorgestellte Gutachten zeigt: Der im Frühjahr 2014 erwartete Richterspruch zur Vereinbarkeit der Richtlinie mit geltendem EU-Recht könnte zu einer Bankrotterklärung der bundesdeutschen Befürworter der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung werden – allen voran für Bundesinnen- und Verfassungsminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Vieles spricht dafür, dass eine entsprechende Entscheidung des EuGH dann auch personelle Konsequenzen auf bundesdeutscher Ebene nach sich ziehen muss.

„Sargnagel für das Vertrauen ins Internet“

Leider setzte sich auch die designierte Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) wiederholt für eine möglichst schnelle Wiedereinführung der Totalprotokollierung unserer Kommunikation und Bewegungsdaten ein. Vor dem Hintergrund dieser merkwürdig anmutenden Personalentscheidung in Kombination mit dem unwürdigen Umgang der Union mit dem bisherigen Bundesbeauftragten, Peter Schaar, wird deutlich, dass CDU und CSU aus den Fehlern der letzten Jahre nichts gelernt haben.

Dass die SPD dieses Spiel auf Kosten des Grundrechtsschutz mitspielt, ist ein bürgerrechtliches Armutszeugnis erster Güte. Offenbar hat man sich vorgenommen, grundrechtliche Aspekte weiter zu ignorieren und den für Wirtschaft und Sicherheitsbehörden vermeintlich lästigen Datenschutz einfach platt zu machen.

Ob Verschleppung sämtlicher datenschutzrechtlicher Gesetzesvorhaben auf bundesdeutscher oder Sabotage der dringend benötigten Datenschutzreform auf europäischer Ebene – die Union hat in den vergangenen Jahren alles daran gesetzt, den Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger auszuhöhlen.

Es sieht so aus als haben CDU und CSU nun mit der SPD einen willigen Partner gefunden, den Grundrechtsschutz in Deutschland in den nächsten Jahren weiter zu schwächen. Das ist nicht nur bürgerrechtlich verheerend, es ist auch der Sargnagel für das Vertrauen der Menschen in die Kommunikationsinfrastruktur Internet und deswegen massiv schädlich für eine Schlüsselindustrie der kommenden Jahre.

„Diffuses Gefühl des Beobachtetseins“

Es wird also auf die EU-Gesetzgeber ankommen, endlich und ein für allemal Abstand von der Totalprotokollierung unserer Kommunikation und Bewegungsdaten zu nehmen. Auch vor dem Hintergrund des derzeitigen größten Bürgerrechtsskandals aller Zeiten, des NSA-Skandals, müssen die Verantwortlichen von dem unseren Rechtsordnungen zuwider laufenden Instrument der unverhältnismäßigen, verdachtsunabhängigen Massenspeicherung persönlichster Daten Abstand nehmen.

Derartige Speicherorgien stellen alle Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht und führen, darauf hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung explizit hingewiesen, zu einem „diffusen Gefühl des Beobachtetseins“. Das ist Gift für jede Demokratie. Daher muss es unser aller Anliegen sein, die nun bekannt gewordenen Massenüberwachungen effektiv einzudämmen und die europäische sicherheitspolitische Agenda grundlegend auf den Prüfstand zu stellen. Tun wir dies nicht, wird die Grenze zwischen Rechts- und Unrechtsstaat weiter verschwimmen. Dies gilt es mit allen demokratischen Mitteln zu verhindern.

Der Flurschaden den Politiker von Union und SPD aus ideologischen Motiven hier anrichten ist nachhaltig. So muss man sich aus heutiger Perspektive um die Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit und den Schutz und den Ausbau von Freiheitsrechten in den kommenden Jahren sehr ernsthafte Sorgen machen.

Konstantin von Notz ist Innen- und Rechtsexperte der Grünen-Bundestagsfraktion.

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