In den letzten Wochen und Monaten erreichten uns zahlreiche Interviewanfragen zum größten Datenskandal, den die westlichen Demokratien bisher erlebt haben. Hier auf alle Artikel, Interviews etc. hinzuweisen, würde den Rahmen sprengen, dennoch machen wir ab und an auf einzelne Artikel, Interviews aufmerksam. Am 2. August interviewte mich die Main-Post. Das Interview, das wir an dieser Stelle dokumentieren, findet Ihr im Original auch direkt auf den Seiten der Main-Post.

Konstantin von Notz: „Totale Überwachung ist möglich“

Sprecher für Netzpolitik der Grünen über den Abhörskandal

Konstantin von Notz (MdB) ist Sprecher für Netzpolitik bei den Grünen. Der Umgang der Bundesregierung mit der NSA-Affäre regt ihn auf, so richtig. In Würzburg hat er zum Thema „Datensicherheit im Netz“ gesprochen.

Frage: Wie beurteilen Sie den Umgang der Bundesregierung mit dem Skandal?

Konstantin Von Notz: Die Bundesregierung hat erst versucht, den Skandal auszusitzen. Ich glaube vor allem, weil sie gar nicht richtig verstanden hat, wie umfänglich die Problematik ist. Die Union hat das Thema Datenschutz bisher überhaupt nicht ernst genommen. Es hat in den letzten vier Jahren nie eine profilierte Position zur Notwendigkeit von Datenschutz gegeben. Dann schickt die Bundesregierung einen Bundesinnenminister in die USA, wohlwissend, dass da nichts bei herauskommen kann. Mich irritiert auch die Fixierung auf die USA. Die Briten machen mit Tempora etwas ähnlich Schlimmes. Auch da müsste die Bundesregierung in Brüssel aktiv werden. Derzeit hat man den Eindruck, dass die Bundesregierung mit dem System des Datenabgreifens eigentlich ganz zufrieden ist.

Die Sympathiewerte der CDU steigen trotz des Skandals. Warum?

Von Notz: Das hat es bei allen Skandalen in den letzten Jahren gegeben. Bis eine Problematik im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen ist, dauert das immer seine Zeit. Die Bundesregierung hat eine Schutzpflicht im Hinblick auf die Grundrechte. Ich habe eben noch eingekauft und ein älterer Herr neben mir gab seinen Pin ein und sagte: „Kann man ja eigentlich auch nicht mehr machen, wir werden ja überall überwacht.“ Dieses Bewusstsein des Überwachtseins, das ist Gift für eine freie Gesellschaft und die Menschen merken das. Wenn wir aus dieser Diskussion keine Schlussfolgerungen ziehen auf gesetzlicher Ebene, um die Freiheitsrechte zu schützen, dann sind wir auf dem direkten Weg zum Präventivstaat.

Welche Auswirkungen wird der Skandal haben?

Von Notz: Sämtliche große IT-Projekte der Bundesregierung, der neue Personalausweis, die elektronische Gesundheitskarte, De-Mail all das steht infrage, wenn die Geheimdienste alles komplett mitschneiden und speichern. Jegliche vertrauliche Kommunikation im Netz ist derzeit dahin. Wenn man das Vertrauen ins Netz unter Bürgerrechts-, aber auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, dann wirft das erhebliche Fragen auf, die noch gar nicht diskutiert werden.

Glauben Sie, dass die Überwachung durch die Geheimdienste auch die deutsche Wirtschaft gefährdet?

Von Notz: Eine der Lehren von PRISM und Co. muss sein, dass auch die Wirtschaft erkennt, dass die zentrale Währung im Internet Vertrauen ist. Und Vertrauen ist nur mit gutem Datenschutz herzustellen. Der Datenschutz ist das Grundrecht des Internetzeitalters. Die Bundesregierung hat konsequent in diesem Bereich in den letzten vier Jahren nichts gemacht. Sie hat alle sinnvollen Initiativen ausgebremst aus falsch verstandener Wirtschaftsfreundlichkeit.

Was wollen Sie denn anders machen, wenn Sie an die Regierung kommen?

Von Notz: Das Bundesdatenschutzgesetz kommt aus den 1970er Jahren und ist völlig veraltet. Das liegt daran, dass es aus einer Zeit kommt, in der Rechner so groß waren wie Häuser und nicht mit sich in der Brusttasche herumgetragen wurden. Das muss dringend reformiert werden. Wir brauchen ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, das weiß man seit 15 Jahren. Wir brauchen die europäische Datenschutzverordnung, um zu verhindern, dass Unternehmen wie Facebook sich das Land in Europa aussuchen, das den niedrigsten Datenschutz hat und da ihren Sitz hinlegen. Tatsächlich ist es so, dass die Bundesregierung offenbar nichts verändern will. Sie profitiert von diesem System der Totalüberwachung.

Wie beurteilen Sie das Sicherheitsargument, das derzeit als Rechtfertigung für den Abhörskandal herhalten muss?

Von Notz: Es gibt die Gefahr von Terroranschlägen und die müssen wir auch ernst nehmen. Aber all das, was Edward Snowden offenbart hat, ist total unverhältnismäßig. Heute ist die totale Überwachung möglich. Heute kann metergenau festgestellt werden, wo wir uns bewegen, was wir lesen, wie wir uns informieren, mit wem wir kommunizieren. Wenn man die Menschen davor nicht schützt, dann landen wir in totalitären Strukturen. Das ist ein Land, in dem man eigentlich nicht leben will. Die Sicherheit muss verhältnismäßig geschützt werden. Das macht den Rechtsstaat aus.

Es gibt den Vorwurf, dass die Überwachung schon zu Zeiten der rot-grünen Regierung begann.

Von Notz: Ich will gar nicht ausschließen, dass man nach dem 11. September bestimmte Dinge toleriert hat. Man sollte klären, was damals genau gelaufen ist. Mich interessiert aber vor allem, was wir heute machen. Ich finde es für meine Partei absolut notwendig, dass wir diejenigen sind, die klar machen, dass der Rechtsstaat massiv gefährdet ist und wir ihn mit allen demokratischen Mitteln verteidigen müssen.

Ist es nicht ein Unterschied, dass die Deutschen überwacht werden, aber zumindest bis jetzt noch keine Konsequenzen gespürt haben?

Von Notz: Das ist eine ganz typische Schlussfolgerung. Das ist so, wie wenn man sagen würde: „Wen soll das denn interessieren, was in meinen Mails steht?“ Aber es interessiert offensichtlich Leute, denn wir werden komplett und umfassend gespeichert. Da ist der Widerspruch. Wenn es keine Konsequenzen hätte, warum sollte das dann irgendjemand machen? Es ist natürlich ein Trugschluss, dass Terroristen irgendwelche E-Mails mit „Bombe“ in der Betreffzeile verschicken, aber genauso wird gerastert. Sie können überhaupt keine sarkastischen Bemerkungen mehr machen, ohne, dass Sie in das Raster der Sicherheitsbehörden kommen.

Hätte die Bundesregierung Snowdens Asylantrag stattgeben sollen?

Von Notz: Dass das Handeln von Snowden mutig war, das steht doch wohl fest. Der Mann ist 29 Jahre alt und hat nur gesagt, was er erlebt, gesehen und gemacht hat. Und das hat ihn zum meistgesuchten Menschen auf der Welt gemacht! Das zeigt doch, dass irgendetwas nicht stimmt. Dass die Bundesregierung für Snowdens Tat kein Wort der Anerkennung findet, das ist doch ein Armutszeugnis. Ob man ihm nun Asyl geben sollte, da kann man rechtlich drüber streiten. Ich fände es richtig.

Konstantin von Notz

Seit 1995 ist Konstantin von Notz Mitglied bei Bündnis 90/DIE GRÜNEN. Vor vier Jahren ist er in den Bundestag gewählt worden. Dort beschäftigt sich der Jurist mit Innen- und Rechtspolitik. Er benutzt Facebook nur beruflich und postet dort mit Vorliebe facebook-kritische Aussagen.

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