Christian Rath schreibt in seinem Artikel der gestrigen Taz mit dem Titel „Grundgesetz weiter als die Grünen“ mit Hinweis auf einen gemeinsamen Artikel von Katrin Göring Eckhardt und Jürgen Trittin, der in der Frankfurter Rundschau erschienen ist, in dem die beiden unter anderem eine Weiterentwicklung von Artikel 10 GG zu einem umfassenden Kommunikations- und Mediennutzungsgeheimnis fordern, dass dies bereits „längst gültiges Recht“ sei. Er bezieht sich dabei explizit auf die Einbeziehung von SMS und Emails.

Mit seinem Hinweis, dass dies bereits Rechtslage sei, hat er jedoch nur in Teilen Recht. Richtig ist: Artikel 10 GG schützt schon heute die unbeobachtete, nicht öffentliche Kommunikation unabhängig von der Übertragungsart (Kabel, Funk, analoge oder digitale Vermittlung) und der Ausdrucksformen  (Sprache, Bilder, Töne, Zeichen oder sonstige Daten), und zwar auch über das Internet, beispielsweise als E-Mail. Der Schutz erstreckt sich nicht nur auf die Kommunikationsinhalte, sondern auch auf die Kommunikationsumstände, also die beteiligten Personen, Zeit, Ort und Häufigkeit der Kommunikation.

Da das Telekommunikationsgeheimnis jedoch vorrangig vor der Manipulation des technischen Übertragungsvorgangs schützt, endet der Schutz des Fernmeldegeheimnisses, sobald der Übertragungsvorgang abgeschlossen ist. Bezogen auf die Telekommunikation enthält Art. 10 GG eine spezielle Garantie, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verdrängt und aus der sich besondere Anforderungen für Daten ergeben, die durch Eingriffe ins Fernmeldegeheimnis erlangt werden.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lassen sich die Maßgaben, die für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gelten, zwar grundsätzlich auf Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis übertragen, soweit dieser die Erlangung personenbezogener Daten betrifft. In seinem Artikel unterschlägt Christian Rath jedoch, dass es mittlerweile Entscheidungen des Karlsruher Gerichts gibt, die die These eines durchgehenden Schutzes in Frage stellen. So sind gerade wegen der neuen technischen Bereitstellungsform neue Schutzfragen entstanden, die keineswegs alle geklärt sind, noch alle zugunsten eines in der Abwägung weitestmöglichen Schutzes zugunsten der Bürger ausfallen.

Christian Rath vertritt im Kern die These von der nötigen Zurückhaltung bei der Ergänzung des Grundgesetzes. Diese These teilen wir im Grundsatz, gleichzeitig sind wir der Meinung, dass die außergewöhnlichen Umstände vom (verfassungsändernden) Gesetzgeber klarstellende und hinreichend bestimmte Konkretisierungen verlangen. Deswegen fordern wir in unserem aktuellen Wahlprogramm:

Seit über einem Jahrzehnt erleben wir den Abbau, die Aufweichung und Relativierung von Grundrechtsstandards. Uns reicht es deshalb nicht aus, nur den Erhalt der Bürgerrechte zu fordern. Wir GRÜNE wollen unsere Bürgerrechte wieder stärken und dem neu geschaffenen Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gesetzlich Geltung verschaffen. Das Fernmeldegeheimnis des Artikels 10 GG wollen wir zu einem umfassenden Kommunikations- und Mediennutzungsgeheimnis weiterentwickeln, das die digitale Welt umfasst.

Christian Rath suggeriert in seinem Artikel, dass es sich bei der Forderung nach einer Weiterentwicklung von Artikel 10 um eine Forderung handelt, die die grünen Spitzenkandidaten  erst nach Bekanntwerden von #PRISM #TEMPORA und Co. – quasi als vorschnelle politische „Reaktion auf die Späh-Affäre“ – erheben. Das ist definitiv nicht zutreffend. Rath übersieht, dass sowohl Bündnis 90/Die Grünen als auch die grüne Bundestagsfraktion die Forderung nach einem Weiterentwicklung des Artikel 10 GG bereits seit langem erheben. Ein entsprechendes Positionspaper wurde bereits in der letzten Wahlperiode verabschiedet. Auch ist das grüne Wahlprogramm ist natürlich lange vor Bekanntwerden von PRISM TEMPORA und Co. verfasst worden.

Der rasante technologische Fortschritt der letzten Jahre hat zahlreiche verfassungsrechtlich außerordentlich wichtige Fragen aufgeworfen, die wir als Grüne seit langem intensiv und unter Einbeziehung externen Sachverstandes erörtern – zum Beispiel auch im Rahmen unseres ersten netzpolitischen Kongresses, bei dem die heutige Verfassungsrichterin Susanne Baer eine Keynote-Speech zur Frage hielt, inwiefern das Grundgesetz einen Update benötigt. Im Rahmen ihres Vortrags hat Baer explizit noch einmal, auch in Anlehnung an ähnliche vorausgegangene Empfehlungen (u.a. der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bund und Ländern aus dem Jahr 1993 zur grundrechtlichen Verankerung eines eigenständigen Persönlichkeitsgrundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, das wir analog zu den Vorschlägen von Roßnagel, Pfitzmann und Garstka aus 2001 als ein umfassendes Kommunikationsgrundrecht ausgestalten wollen) explizit auf die Möglichkeit der Weiterentwicklung von Art. 10 GG verwiesen und später Zustimmung u.a. von Prof. Holznagel erhalten.

Auch die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat sich intensiv mit der Frage einer möglichen Weiterentwicklung von Art. 10 GG beschäftigt, vor allem im Rahmen der Arbeit der Projektgruppe Datenschutz. In einer gemeinsamen Handlungsempfehlung von SPD, Grüne, Linke und einzelnen Sachverständigen wird „angesichts der Bedeutung des Schutzes der personenbezogenen Daten für nahezu alle Lebensbereiche und der wegweisenden Rechtsprechung des BVerfGs, insbesondere mit Blick auf die zukünftige technische Entwicklung“ dem Deutschen Bundestag empfohlen, zu prüfen: 1) ob die vom Bundesverfassungsgericht geschaffenen  Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme in den Grundrechtekatalog des Grundgesetzes als eigenständig formulierte Grundrechte aufgenommen werden sollten, und 2) ob es der Fortentwicklung des Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG hin zu einem übergreifenden Recht auf Schutz des Kommunikationsgeheimnisses bedarf.

Unsere Forderung erheben wir also bei Weitem nicht erst seit #PRISM #TEMPORA und Co. Gleichzeitig machen die aktuellen Entwicklungen und die Enthüllungen um diese Programme noch einmal deutlich, wie aktuell die Debatte um die Weiterentwicklung von Art. 10 GG und wie wichtig die Forderung ist, um so u.a. die Eingriffsschwellen für das Abhören zu erhöhen und die Schutzpflichtdimension, also die staatliche Verpflichtung zum Schutz auch gegenüber Zugriffen auch durch andere Staaten, zu norminieren.

Als Grüne sind wir der Meinung, dass, wenn sich die technischen Möglichkeiten und damit auch die Gefahren vor staatlicher und unternehmerischer Ausspähung so massiv ändern, wie dies im Zuge der digitalen Revolution geschehen ist, auch der Gesetzgeber nicht davor zurückschrecken darf, hierauf adäquat zu reagieren, um so den Schutz der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern! Hierfür und für die notwendigen Mehrheiten werden wir auch weiterhin kämpfen!

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