Wir haben am 8. Februar 2013 die Antwort auf unsere kleine Anfrage zum Bombenfund am Bonner Hauptbahnhof und den Konsequenzen für die Frage der Videoüberwachung erhalten. Der Bundesinnenminister nutzte das Wochenende, um uns mit der Veröffentlichung zuvorzukommen, seine Interpretation der Dinge darzulegen (nur 3 Prozent der Bahnhöfe überwacht!) und seine Forderung nach einem Ausbau der Videoüberwachung zu wiederholen. Über die konkrete Umsetzung sei man, wer hätte das gedacht, mal wieder im Gespräch mit der Bahn.

Die Antworten auf unsere Anfrage sind überwiegend ausweichend, soweit das überhaupt möglich war. Die Bundesregierung ist ersichtlich nicht interessiert, mehr Licht und Transparenz in die Praxis des grundrechtsbeschränkenden Einsatzes von Videoüberwachungen bei der DB AG zu bringen. Gleichwohl musste sie an einigen wichtigen Punkten ihr populistisches „Mehr Videoüberwachung“-Gerede einschränken. Wir werden insgesamt mit einer weiteren Anfrage im Detail nachsetzen und Widersprüche benennen.

Unsere Anfrage belegt: Regierung kümmerte sich bis jetzt – um Nichts!

Entgegen dem Eindruck, den Bundesinnenminister nach dem Bombenfund in den Medien zu vermitteln suchte, gab es keine konkreten Gespräche zwischen Bundespolizei und DB AG zur Verbesserung des bestehenden Konzepts. Man streitet und stritt sich vielmehr dort seit Jahren ganz allgemein in „zahllosen Zusammenkünften“ über Art, Umfang und Kosten der „gemeinsamen Ausübung der Sicherungsaufgabe“. Mit dieser Formulierung wird freilich –offenkundig gezielt – die auch rechtlich grundlegend unterschiedliche Aufgaben- und Befugnisverteilung zwischen der privatrechtlichen DB AG und der öffentlich-rechtlichen Bundespolizei verwischt.

Genau so wie es seitens der Bundespolizei niemals eine Anforderung für eine Aufzeichnung von Bildern für den Bonner Hauptbahnhof gab, gab und gibt es offenbar keine wirkliche Anstrengung der Bundespolizei, in einem übergreifenden systematisch nachvollziehbaren Konzept festzulegen, welche Bahnhöfe in welchem Umfang erfasst werden. In keinem Fall aber will man offenlegen, wie genau die Bundespolizei vorgeht. Das ist nicht nur bedauerlich. Angesichts von Millionen von Bundesbürgern, die tagtäglich dieser grundrechtlich relevanten Erfassung ausgesetzt sind, ist diese Intransparenz völlig inakzeptabel. Wir fordern deshalb, parallel zu den Transparenz-Vorgaben der einschlägigen Befugnisnorm im Bundespolizeigesetz die konkrete Offenlegung derjenigen Bahnhöfe, die einer Aufzeichnung unterliegen, der jeweiligen Hintergründe sowie der festgesetzten Speicherzeiten. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: es ist äußerst verunklarend seitens der Bundesregierung drum herum geredet worden, dass eine Totalüberwachung der Bahnhöfe Deutschlands weder Sinn machen würde noch zulässig wäre. Die Rede von „lediglich 3 Prozent“ erfasster Bahnhöfe ist angesichts der Struktur der Bahnhöfe in Deutschland geradezu absurd. Denn bei mehr als 80 % der bundesdeutschen Bahnhöfe handelt es sich um Klein- und Kleinststationen, bei denen eine Videoüberwachung überhaupt keinen Sinn macht. Doch für die schon erreichte massive Anzahl von 500 Bahnhöfen wird das Gros der Reisenden erfasst. Deshalb dürfen die Bürger Transparenz verlangen, wo genau sie mit einer solchen Überwachung zu rechnen haben.

Massive Überwachung bereits Realität

Angesichts von mittlerweile 500 nicht nur in Echtzeit überwachten, sondern in über 140 Fällen auch mit Aufzeichnung versehenen Bahnhöfen besteht eine massive Überwachungsinfrastruktur unseres Bahnverkehrsnetzes. Alle größeren Bahnhöfe Deutschlands sind damit überwacht. Und das obwohl es sich dabei zunehmend um äußerst gemischt genutzte, heterogene öffentliche Kommunikationsräume handelt. Für dieses im Vergleich der Überwachung von öffentlichen Kommunikationsräumen  (z.B. öffentlichen Plätzen) auffällige Sonderregime der Dauerüberwachung fehlt es an einer hinreichenden Rechtfertigung und an der rechtsstaatlich erforderlichen Eingriffsschwelle. Ansonsten würde es sich die Bundesregierung nicht erlauben, sich ständig unter Verweis auf fachpolizeiliche Erwägungen  um eine Antwort herumzudrücken. Die gegenwärtige Lage ist inakzeptabel: die Kriterien für die Erfassung der Bahnhöfe werden nicht hinreichend offengelegt. Auf dieser Grundlage wird schon jetzt eine zeitlich, im Umfang und in Qualität und Praxis weitgehend unbegrenzte Dauerüberwachung durchgeführt, die Millionen von Bundesbürgern tagtäglich betrifft.

Geforderte Ausweitung der Videoüberwachung mit nichts gerechtfertigt

Die aktuellen Forderungen des Bundesinnenministers nach einer Ausweitung der Videoüberwachung werden für den Bahnbereich mit nichts belegt. Offenkundig geht es ihm, soweit er auf seine Beantragung von Haushaltsmitteln verweist, allein um die Berliner S-Bahn.

Während die erhebliche Eingriffsqualität und der äußerst beschränkte Nutzen von der Bundesregierung durchaus eingeräumt werden, gibt es keinerlei Rechtfertigung für die Forderungen nach dem Ausbau der Videoüberwachung. Die Sachlage hat sich in den letzten Jahren insoweit nicht verändert. Die gern von der Bundesregierung zitierten Beispiele versuchter Anschläge tragen diese Forderung nicht. Zum einen haben Videoüberwachungen zumindest im Koblenzer Fall die Täter keinesfalls von der Tatausführung abgehalten, im Gegenteil haben sie sich keine Mühe gegeben, ihre Identität zu verbergen. Und für den genauen Beitrag bei der späteren Aufklärung der Straftaten gibt es keine Belege. Genau das aber bräuchte es in erheblichem Maße, wollte man die dauerhaften Grundrechtseingriffe unter Verweis allein auf die Unterstützung zur Strafverfolgung rechtfertigen.

Insbesondere die vom BMI nach dem Bonner Bombenfund präsentierten Zahlen aus einer „Kriminalitätsstatistik“ zum Erfolg der Videoüberwachung im Bahn-Bereich entpuppt sich nur als eine polizeiliche Eingangsstatistik, in der lediglich aufgelistet wird, wann es nach Angabe in Verbindung mit Einsätzen auch zum Kameraeinsatz kam. Ob diese Einsätze irgendwelche guten oder schlechten Folgen nach sich zogen, lässt sich solchen Zahlen überhaupt nicht entnehmen, sie sind insoweit schlicht wertlos. Wir fordern die Offenlegung der Zahlen. Damit die Bürger sich selbst ein Bild machen können.

Wissenschaftliche Untersuchung der Folgen des Einsatzes von Videoüberwachung fehlt!

Bis heute fehlt es an einer wissenschaftlich unabhängigen Untersuchung des Dauereinsatzes von Videoüberwachungen im Bereich des Öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, insbesondere auch mit Blick auf die Deutsche Bahn. Es liegt nahe, dass durch eine solche Untersuchung ähnlich verheerende Ergebnisse hinsichtlich des fehlenden Nutzens von Videoüberwachungen herauskämen, wie sie in zahllosen Studien und Metastudien für den angloamerikanischen Raum bereits seit über 20 Jahren vorgelegt werden. Gleichzeitig bedarf es dringlichst einer Klärung, ob die zugunsten des Grundrechtsschutzes geschaffenen Einsatzvoraussetzungen ihre Funktion erfüllen, z.B. ob den Betroffenen hinreichend bewusst ist, dass sie sich im Bereich der Videoüberwachung bewegen.

Die Ausführungen der Bundesregierung lassen insoweit auch die erforderliche Genauigkeit vermissen. Statt sorgfältig hinsichtlich der Einsatzzwecke zu trennen und etwa die Vorfelderfassung der Gefahrenvorsorge von der Straftatenvorsorge zu trennen, wählt sie den unüblichen Begriff der „Gefahrenerkennung“, um die schwierigen Kompetenzprobleme zwischen präventivem und repressivem Einsatz zu vernebeln.

Transparenz der Bahn-Videoüberwachung? Fehlanzeige!

Die Antworten auf unsere kleine Anfrage betonen die Geheimnistuerei des Bundes hinsichtlich der bundespolizeilichen Aufschaltungen. Gerne werden „polizeifachliche Überlegungen“ betont, um die Kriterien der Videoaufzeichnung von Bahnhöfen anzudeuten, auch Größe und Nutzungsfrequenz können bei der Entscheidung einfließen. Was letztlich entscheidet, und welche Bahnhöfe genau und für welche Dauer ihre Bilder aufzeichnen, bleibt geheim. Diese Situation ist mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar. Wer eine praktisch zeitlich völlig unbeschränkte Rundum-Überwachung einer von den Bürgern oftmals unausweichlich zu nutzenden Infrastruktur in Gang setzt, muss zumindest Transparenz hinsichtlich der Parameter der Erfassung walten lassen. Alles andere ist eines Rechtsstaats unwürdig. De facto agiert die Bundespolizei, die auch in der Beschilderung der DB AG mit keinem Wort erwähnt wird, verdeckt. Den wenigsten Bürgern wird bekannt sein, in welchem Umfang Bundesbeamte mit überwachen. Der Transparenzanspruch jedoch ist nicht nur Grundvoraussetzung für einen effektiven Rechtsschutz, er garantiert auch erst die grundsätzlich freie Entscheidung der Betroffenen, ob und in welchem Umfang sie sich der Überwachung aussetzen wollen.

Grünes Fazit:

Die weitestgehende Möglichkeit der unüberwachten Nutzung öffentlicher Räume muss erhalten bleiben. Dafür streiten wir Grüne! Stattdessen werden die Bürger im Fernverkehr wie im ÖPNV zunehmend totalüberwacht. Allein im Bereich der DB AG werden Bürger täglich millionenfach erfasst.

Die in Umfragen scheinbar beständig hohe Akzeptanz der Videoüberwachung wird leider auch von diesem Bundesinnenminister populistisch ausgenutzt. Mit der Forderung nach dem Ausbau der Videoüberwachung aber bleibt er bewusst neblig. Denn die Videoüberwachung der Innenstädte ist Ländersache und Sache der Kommunen. Und für den Bereich der Deutsche Bahn AG bleibt Friedrich auch deutlich unkonkret: denn alle größeren und damit relevanten Bahnhöfe werden bereits videoüberwacht. Und zwar auf Grundlage eines unklaren Einsatzkonzepts und auf Grundlage einer fragwürdigen Befugnisnorm. Soweit der Bundesinnenminister aber auf neu eingestellte Mittel verweist, kann er nur die Videoüberwachung der Berliner S-Bahn meinen. Damit aber kompensiert Friedrich lediglich das fragwürdige Personalabbaukonzept der DB AG bei der Berliner S-Bahn. Mehr Sicherheit gibt das für die Bürger nicht.

Wir fordern:

Bahnhöfe sind auch und heute mehr denn je öffentliche Kommunikationsräume. Sie dürfen keinem Sonderrechtsregime und pauschal abgesenkten Grundrechtsschutz unterfallen.

Deshalb gehört zunächst die Praxis der Überwachung durch die Bundespolizei auf den Prüfstand. Das Einsatzkonzept muss transparent gemacht, die überwachten Bahnhöfe müssen genannt, die eigenen Hinweispflichten der Bundespolizei auf ihre Videoüberwachung überprüft und die jeweils festgesetzte Aufzeichnungsdauer konkretisiert werden. Die Praxis gehört insgesamt unabhängig evaluiert.

Auch die bestehende Befugnisnorm des § 27 Bundespolizeigesetz gehört auf den Prüfstand. Denn sie setzt keine konkrete Gefahrenlage voraus und schafft sehr weite Speicherfristen. Videoüberwachungen von Bahnhöfen können in bestimmten Fällen bedeutsam und erforderlich sein. Dabei müssen jedoch grundsätzlich dieselben Maßstäbe gelten wie bei sonstigen Videoüberwachungen des öffentlichen Raums auch. Maßstäbe gibt es aus der umfangreichen Rechtsprechung zu Innenstadtüberwachungen der Länderpolizeien (aktuelles Beispiel). Nur wenn wiederholt an Bahnhöfen relevante Straftaten begangen worden sind und Tatsachen annehmen lassen, dass dies auch zukünftig dort geschieht, sollte, neben anderen Voraussetzungen, eine Videoüberwachung möglich sein.

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