Die weltweit erfolgreichsten Internetunternehmen wurden in den USA gegründet: Google, Apple, Facebook, eBay und Co. kommen alle aus dem Silicon Valley. Und in Deutschland?

Die meisten im Deutschen Aktienindex gelisteten Unternehmen wurden vor über 100 Jahren gegründet. Eine Ausnahme ist die SAP AG, deren Gründung aber mittlerweile auch schon 40 Jahre zurück liegt. Während der deutsche Industriestandort zur Weltspitze gehört, laufen wir digital den Trends hinterher.

Weshalb sich PolitikerInnen für Digitale Wirtschaft interessieren sollten, liegt auf der Hand:

  • In Deutschland arbeiten über eine Million Erwerbstätige in Kreativberufen.
  • 2009 haben sie Güter und Leistungen im Wert von über EUR 60 Mrd. hergestellt – mehr als die meisten Industriezweige. [Deutsche Bank Research März/2011]
  • Die Studie der deutschen Bank urteilt: „Sollte es der Politik gelingen, die Weichen in der Förderpolitik richtig zu stellen, könnte das Wachstum der Branche bis zum Jahr 2020 auf einen Umsatz von EUR 175 Mrd. anwachsen.“

Im Panel „Digitale Wirtschaft: Europäisches Kreativmodell zwischen Silicon Valley und Shanghai“ ging Tabea Rößner zusammen mit den ReferentInnen Dr. Bernhard Rohleder (Hauptgeschäftsführer des BITKOM e.V.), Julia Soergel (Geschäftsführerin der Yolk GbR mit dem Produkt „mite“, einem Zeiterfassungsprogramm), Christian Schwarzkopf (Geschäftsführer der Business Net Partners GmbH) und Malte Spitz (Mitglied des Bundesvorstands Bündnis 90/ Die Grünen) der Frage nach, wie wir die digitale Gründerkultur in Deutschland pushen können.

Eine aktuelle Studie des BITKOM brachte gerade zutage, dass das Durchschnittsalter von GründerInnen in Deutschland 38 Jahre ist. Nur 9 Prozent sind jünger als 28 Jahre. In den ersten vier Jahren ihres neuen Unternehmens brauchen Gründer durchschnittlich 700.000 EUR. Ein Großteil davon wird mit dem Unternehmen selbst verdient oder von den Gründern mitgebracht. Kredite oder Investoren spielen bei der Finanzierung eine untergeordnete Rolle. Bernhard Rohleder sieht unter solchen Prämissen keine rosige Zukunft für die Digitale Wirtschaft: „Wenn kein Kapital verfügbar ist, kann aus einem quirligen, kleinen Unternehmen kein Global Player werden. Bis aus dieser Szene ein weiteres DAX-Unternehmen entsteht, ist noch ein weiter Weg.“

Julia Soergel und ihr Geschäftspartner haben sich mit ihrer Diplomarbeit selbstständig gemacht. Mit ihrem Online-Tool „mite“ können Freelancer und kleine Teams Arbeitszeiten erfassen und auswerten. Mit ihrem Produkt haben sie reihenweise Preise eingeheimst. Geld zum Investieren in die Firma zu bekommen wäre nach Aussage von Julia Soergel kein Problem gewesen. Sie hätten sich aber bewusst dagegen entschieden: „Wir wollten klein bleiben.“ An der Uni fehlte es ihr an Rat und Unterstützung: „Solche Sachen wie Gründung kamen da nicht vor.“ Bei den Förderprogrammen wünscht sie sich mehr individuelle Förderung statt „aufgepresster Seminare“. Hier bräuchte es Unterstützung durch PraktikerInnen, die selbst Gründungserfahrung mitbringen, und weniger Bürokratie: „Vernetzung unter Gründern und Entwicklern passiert trotz und nicht wegen der Politik“, so ihr Urteil.

Christian Schwarzkopf ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und selbst Gründer bzw. war an Gründungen beteiligt . Heute berät er neue Entrepeneure. In Karlsruhe war er für den Aufbau des Startup Inkubators Center für Innovation & Entrepreneurship (CIE) an der Uni Karlsruhe/ KIT verantwortlich. Nach seinem Dafürhalten gibt es zwar eine Gründungskultur in Deutschland, allerdings sei diese eher klein. „Als junger Gründer wird man in Deutschland nicht wirklich ernst genommen. Man hat ja noch keine Erfahrung, noch nichts ‚geleistet‘“. Damit Unternehmen auf dem Weltmarkt Spitzenpositionen einnehmen bräuchte es aber Förderprogramme und mutige Investoren, die bereit sind Start-Ups auch mit größerem Kapital zu unterstützen. Neben diesem Geld seien aber auch Kontakte und Feedback zu ihren Produkten wichtig für junge GründerInnen, so Schwarzkopf. Etablierte Unternehmen jedoch wollen nur selten Start-Up-Produkte testen, weil sie ihnen zu unsicher sind.

Malte Spitz kritisierte vor allem die Vergabe von Forschungsmitteln: „An die großen Töpfe ist da für kleinere Unternehmen kein Rankommen.“ Außerdem fordert er, dass Hochschulen und Unternehmensgründung enger verknüpft werden müssten. Christian Schwarzkopf berichtete, dass diese Verknüpfung in den USA schon deutlich stärker vorhanden ist. In Hochschulgruppen könnten die Studierenden dort schon während ihres Studiums Kontakte mit möglichen Investoren knüpfen. Statt wie in den USA GründerInnen zu fördern, würden die Unternehmen in Deutschland nur versuchen die Studierenden als zukünftige MitarbeiterInnen zu rekrutieren.

Aus dem Publikum meldete sich der Aufsichtsratsvorsitzende von Hewlett-Packard, Jörg Menno Harms, zu Wort. Auf verschiedenen Gründermessen habe er gesehen, dass es aktuell nicht an Förderern mangele sondern an Personen, die Freude am Gründen haben und bereit sind eine Unternehmensgründung zu wagen: „Leute müssen sich von sich aus selbstständig machen wollen.“ Als wesentlichen Baustein der Digitalen Wirtschaftsförderung riet er dazu, die Rahmenbedingungen zu verbessern, indem beispielsweise die Breitbandvernetzung und andere Infrastruktur gefördert wird.

Malte Spitz warf ein, dass die „Kultur des Gründens“ natürlich schwer von Seiten der Politik zu fördern sei. Mit der provokanten Frage „Sind Gründer, die in ihren Zwanzigern schon mehrere Millionen auf dem Konto haben, Vorbilder?“ brachte er dann die deutsche „Neid-Kultur“ zur Sprache. Seinem Erleben nach gäbe es große Vorbehalte gegen erfolgsreiche Unternehmensgründer, die einen „Exit“ machten, also ihre Firma für teilweise hohe Summen verkaufen. Dem entgegnete Christian Schwarzkopf, dass vor allem Bildungsinstitutionen und Medien es in der Hand hätten, das Image des Unternehmers bei jungen Menschen zu verbessern.

Sissy Müller, Gründerin von „Green Crowding“, kritisierte in einem Publikumsbeitrag, dass überwiegend Arbeitslose und Studierende als GründerInnen angeworben werden. Auch sie berichtete von ihrer Erfahrung, dass es in den USA deutlich mehr PraktikerInnen in der Gründungsberatung gibt. Auch Julia Soergel konnte den Eindruck bestätigen, dass esin Deutschland an Vorbildern fehle. So habe sei sie immer wieder auf Bürokraten statt Praktiker gestoßen, die für alles ein Formblatt wollten. Bernhard Rohleder entgegnete, dass in Deutschland diese GründerInnengeneration fehle, die den jungen EntrepreneurInnen jetzt helfen könne. Er führt das darauf zurück, dass eine Festanstellung in Deutschland deutlich attraktiver als in den USA sei. Dieser Mangel an GründerInnen sei aber gerade im Hinblick auf die Herausforderungen des demografischen Wandels fatal: „In der Vergangenheit ging jeder zweite Ingenieur zu Siemens, in Zukunft werden es vielleicht 75 bis 80 Prozent sein.“, so Rohleder. Angesichts des Fachkräftemangels buhlen die Unternehmen noch stärker um Absolventen. Das macht es nicht leichter, Leute dazu zu motivieren, ein eigenes Unternehmen aufzubauen.

Eine skeptische Note brachte Andreas Simoneit, selbstständiger Entwickler und Berater, mit seinem Beitrag in die Diskussion. Er wies auf den Ressourcenverbrauch der Informations- und Kommunikationstechnik hin und sprach auch die wachsende Datensammelwut an. In seiner Praxis würde er außerdem immer wieder negative Auswirkungen der Digitalisierung auf Menschen erleben, zum Beispiel Überlastung der MitarbeiterInnen durch wachsende Komplexität, Beschleunigung und ständige Erreichbarkeit.

Dem stellten Bernhard Rohleder eigene positive Erfahrungen entgegen. Ihm habe die Digitalisierung Heimarbeit ermöglicht. Er fragte: „Was ist die Alternative? Wir können die Zeit, die technische Entwicklung nicht zurückdrehen.“ Vielmehr müsse man den Menschen auch sagen, wo der Off-Schalter ist. Auch Christian Schwarzkopf und Malte Spitz setzten Optimismus entgegen: Probleme und Risiken müssten eher zu Innovationen anregen.

Im letzten Publikumsbeitrag spannte Ansgar Baums, Director Government Relations bei Hewlett-Packard, mit seinem Beitrag einen Bogen zum Titel des Forums: „Wir haben viel über das Silicon Valley gesprochen, wenig über Shanghai.“ Die mit den Orten assoziierten Modelle – Entrepreneurship in der freien Marktwirtschaft und sehr starke staatliche Regulation sowie Investition in einige wenige Großunternehmen – könnte man als entgegengesetzte Pole sehen. Seiner Analyse nach hätte die Politik derzeit eine unentschiedene Position und würde zwischen Silicon Valley und Shanghai hin und her schwanken. Die Frage sei: „Haben wir in Europa einen Dritten Weg oder eiern wir so rum? Man sollte das mal klären und eine Strategie daraus machen, die für nächsten 15 Jahre gilt.“

Die Antwort des Politikers Malte Spitz lautete: „Es wird keinen Erfolg haben, einem der beiden Modelle nachzueifern. Wir müssen einen anderen Weg finden.“ Christian Schwarzkopf sprach sich in der Schlussrunde dafür aus, die Großkonzerne ins Boot zu holen. Sie sollten verpflichtet werden, einen Teil ihres Gewinns in Venture Capital zu investieren. Julia Soergel plädierte dafür, statt weiterer Förderung für GründerInnen eher „Verhinderungspolitik“ abzubauen: „Wenn Gründern nicht ständig Knüppel zwischen die Beine geschmissen würden, wäre schon viel geholfen.“ Ebenso prangerte sie eine netzfeindliche Haltung an, die es in Deutschland gerade den IT-GründerInnen das Leben schwer mache. „Wir sind zu deutsch, zu klein, zu knausrig“, bilanzierte Bernhard Rohleder und warb dafür, englisch zu denken und zu handeln, also weg vom lokalen Denken und auf globale Märkte schauen, weg vom „Sparbüchsendenken“ und risikobereiter sein. Vor allem müssten wir großzügiger mit jungen UnternehmerInnen umgehen.

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