Die Demokratisierungswelle, die die Länder des Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrikas seit einigen Monaten erfasst hat, hat auch die Debatte um die demokratiefördernde Wirkung des Internets neu befeuert. Im Zuge dieser Debatte sind auch diejenigen, deren Unternehmen die Technik liefern, die dazu beiträgt, Kommunikation via E-Mail, in sozialen Netzwerken und in Blogs zu manipulieren oder gar ganz verstummen zu lassen, in den letzten Monaten wieder verstärkt in den Fokus gerückt – und das ist gut so. Im Februar hatten wir die Bundesregierung, nachdem Bundeskanzlerin Merkel auf der Münchener Sicherheitskonferenz den demokratischen Mehrwert von Twitter und Co. lobte, in einem Artikel im Handelsblatt mit dem Titel „Freiheit des Internets: Wenn deutsche Technik Twitter verstummen lässt“ zur Überprüfung der Exportrichtlinien und die Aufnahme von Dual-Use-Gütern aufgefordert.

Ende März dieses Jahres hatten wir die Bundesregierung gebeten, uns Auskunft darüber zu erteilen, welche deutsche Unternehmen nach ihrem Kenntnisstand Technologien zur Störung von Telekommunikationsdiensten und Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs lieferten und wie sie gedenkt, einzuschränken, nicht zuletzt um die Demokratisierungsprozesse in Regionen wie Nordafrika und dem Nahen Osten zu unterstützen. Die Antwort der Bundesregierung machte vielmehr deutlich, dass die Bundeskanzlerin und andere Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung zwar in Sonntagsreden immer wieder die demokratischen Errungenschaften der Neuen Medien preist und sie sogar als eigenen Verdienst zu verkaufen versucht. Gleichzeitig ist sie aber scheinbar nicht willens, Verstöße gegen universelle Menschenrechte, die vor den Augen der Weltöffentlichkeit begangen werden, zu unterbinden.

Während das Europäische Parlament den Sacharow-Preises für geistige Freiheit 2011 an eine Gruppe von fünf Aktivisten des Arabischen Frühlings, die ihr Leben im Kampf für Demokratie, Grundrechte und Würde aufs Spiel gesetzt haben, bekannt gegeben hat, wird die Bundesregierung noch immer nicht tätig – ganz  im Gegenteil. Dabei wäre die schwarz-gelbe Bundesregierung – auch angesichts der jüngsten Initiative der EU – gut beraten, sich auf die Debatte über wirksame Mechanismen zur Kontrolle und Regulierung des Handels mit so genannten „Dual-use-Gütern“, die bisher nicht unter die Ausfuhrbedingungen fallen, einzusetzen. Denn: In Zeiten, in denen „das freiheitlichste Informations- und Kommunikationsforum der Welt“ (Zitat schwarz-gelber Koalitionsvertrag) per autokratischer Weisung an Internetprovider abgeschaltet werden kann, sind nicht mehr nur Panzer und Schusswaffen eine Gefahr, sondern genauso Kontrolltechniken, die Unterdrückung effektiver ermöglichen als jeder Schlagstock.

Wir haben die Bundesregierung in den letzten Monaten immer wieder mit Nachdruck dazu aufgefordert, endlich tätig zu werden, tatsächlich eine dringend angeratene Reform der aus heutiger Sicht überholten Rüstungsexportrichtlinien vorzunehmen und auch „Dual-use-Güter“ und entsprechende Techniken zur Störung, Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs in die Bestimmungen aufzunehmen. Um den Druck auf die Bundesregierung, hier endlich tätig zu werden, noch einmal zu erhöhen und die Bundesregierung dazu zu bringen, sich endlich mit den deutschen Firmen auseinanderzusetzen, die entsprechende Techniken und Know-How liefern, haben wir vor Kurzem eine ausführliche Kleine Anfrage geschrieben. Hier findet Ihr einen ausführlichen Blogbeitrag zu unserer Kleinen Anfrage.

Unsere Kleine Anfrage haben tagesschau und tagesthemen zum Anlass genommen, die Vorgehensweise der Bundesregierung zu hinterfragen:
[flv]https://gruen-digital.de/wp-content/uploads/2011/12/TV-20111205-2304-4101.podm_.h264.mp4[/flv]
Den Beitrag könnt Ihr auch direkt auf den Seiten der tagesthemen anschauen.

Auf tagesschau.de heißt es hierzu:

„Weltweit liefern deutsche Firmen Spionage-Software – auch an Diktaturen. In Ägypten setzten Sicherheitskräfte des Mubarak-Regimes Spähprogramme „made in Germany“ ein, um Oppositionelle zu überwachen. Kein Einzelfall; das belegen Dokumente, die im Internet auch über WikiLeaks abrufbar sind. Und die Bundesregierung fördert solche Exporte auch mit Kreditgarantien, den sogenannten Hermes-Bürgschaften.“

Gerade mit dem letzten Satz wird einer der interessantesten Punkte, die der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zu entnehmen ist, angesprochen. Wir werden in den nächsten Tagen noch einmal ausführlich über die Antworten der Bundesregierung bloggen. An dieser Stelle der Hinweis auf einen sehr interessanten Beitrag, den ZAPP heute Abend ausstrahlen wird und der sich ebenfalls mit unserer Kleinen Anfrage beschäftigt. In der Ankündigung des Beitrags heißt es:

Deutsche Überwachungstechnik: Despoten gegen Opposition

Der arabische Frühling – gefeiert von der Bundesregierung. Scheinheilig, denn Wikileaks-Videos und Dokumente untermauern den Verdacht zahlreicher Exporte von Spähsoftware in Unrechtsregime. ZAPP mit neuen Ländern und neuen Dokumenten zum Exportskandal von waffengleicher Software – made in Germany.

Die Bundesregierung räumt ein, den Export deutscher Überwachungstechnologie mit Hermesbürgschaften abgesichert zu haben. Dies geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Grüne hervor, die ZAPP exklusiv vorliegt.

Derartige staatliche Exporthilfe ist brisant. Überwachungsprodukte deutscher Unternehmen wurden in den vergangenen Jahren auch an Unrechtsregime insbesondere im Nahen Osten geliefert. Hierzu gehört auch Spyware, die zur Bespitzelung und Verfolgung Oppositioneller eingesetzt werden kann.

Der Verdacht, dass die Bundesregierung für solche Exporte deutscher Überwachungstechnik gebürgt haben könnte, wiegt für den Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz (Grüne) schwer: „Es wäre moralisch höchst verwerflich, wenn Unrechtsregime von Deutschland aus proaktiv mit solcher Überwachungssoftware versorgt würden.“ Die Bundesregierung dementiert diesen Verdacht auf Anfrage des NDR nicht. So antwortet das zuständige Bundeswirtschaftsministerium auf die Frage nach Exportförderungen von Überwachungstechnologie, die Regierung übernehme „auch Exportkreditgarantien zur Absicherung der Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen aus dem Bereich der Telekommunikationstechnik.“

Trotz der wiederholten Berichte über den Verkauf deutscher Überwachungstechnik an Unrechtsregime sind die geltenden Ausfuhrbestimmungen sehr lax. So unterliegt die Ausfuhr von Software zur Überwachung von Telekommunikation keiner staatlicher Kontrolle.

Keine Änderung der staatlichen Ausfuhrbestimmungen in Sicht
An dieser lückenhaften staatlichen Aufsicht möchte die Bundesregierung nichts ändern. Sie habe „bislang keine Schlussfolgerungen zu Fragen der Internetzensur sowie zur Nutzung westlicher Technologien für die Zwecke der Internetzensur in anderen Staaten gezogen“, antwortet die Regierung an den Bundestagsabgeordneten von Notz. Die Regierung beabsichtige „keine grundlegende Überarbeitung“ der geltenden Ausfuhrbestimmungen. Der Bundestagsabgeordnete sieht die Bundesregierung jedoch in der Pflicht: „Die Exportrichtlinien müssen der technischen Entwicklung angepasst werden. Die derzeitigen Bestimmungen sind nicht auf der Höhe der Zeit.“

Der Beitrag von ZAPP wird am heutigen 7.12.2011 um 23:20 Uhr im NDR ausgestrahlt. Wir werden den vollständigen Beitrag in den nächsten Tagen auch hier dokumentieren.

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