Vom 25. – 27. November 2011 findet in der Kieler Sparkassen-Arena die 33. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) von Bündnis 90/Die Grünen statt.

Freitag, 25. November 2011, bis Sonntag, 27. November 2011

Ort: Sparkassen-Arena Kiel (ehemals Ostseehalle)

Hashtag #bdk11

Auf der diesjährigen Bundesdelegiertenkonferenz wird es u.a. auch einen Leitantrag zur Netzpolitik mit dem Titel „Offenheit, Freiheit, Teilhabe – die Chancen des Internets nutzen – den digitalen Wandel grün gestalten!“ geben. Dieser ist ab sofort online. Wir freuen uns über Eure Kritik, Anregungen und spannende Debatten vor und auf der BDK.

Hier findet Ihr zahlreiche Infos zur BDK, u.a. zu allen Antragsfristen, zu Übernachtungsmöglichkeiten, zur Kinderbetreung, ein Formular zur Gäste-Anmeldung u.v.m. Eine Übersicht aller Anträge und der Tagesordnung findet Ihr hier. Am Rande der BDK wird es auch wieder ein Neudelegiertentreffen geben.

UPDATE: Auf gruene.de findet sich noch ein etwas ausführlicherer Artikel über den Antrag. Die Süddeutsche

Offenheit, Freiheit, Teilhabe – die Chancen des Internets nutzen – den digitalen Wandel grün gestalten!

Unser gesellschaftliches Zusammenleben hat sich in den vergangenen 20 Jahren grundlegend verändert. Nach der friedlichen Revolution und dem Ende des Kalten Krieges wurde mit der bahnbrechenden Entwicklung des World Wide Web eine weitere entscheidende Phase der Globalisierung eingeleitet. Seitdem befinden wir uns in einem voranschreitenden Prozess der globalen Demokratisierung, wobei gleichzeitig Gefahren von Zensur und Überwachung durch staatliche wie private Stellen rapide zugenommen haben. Die Steigerung von Transparenz und Teilhabe, die uns durch die Möglichkeiten des Internets geboten werden, haben Gesellschaft und Politik weltweit nachhaltig verändert. Die Digitalisierung der Bildungslandschaft und Zugang zu Wissen für alle steht als Herausforderung vor uns. Mittlerweile sind rund zwei Milliarden Menschen auf unserer Erde online, allein 60 Millionen UserInnen davon in Deutschland. All diese Menschen haben mehr oder weniger freien Zugang zu globalen Wissensressourcen, zu ökonomischer, sozialer, politischer wie kultureller Partizipation. Sie nutzen, wie wir jüngst in Nordafrika und dem Nahen Osten feststellen konnten, die ihnen neu gebotenen Möglichkeiten der Kommunikation, um mehr Demokratie und Transparenz zu fordern und einzuführen, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und eine weltweite Öffentlichkeit zu erzeugen. In zahlreichen Diktaturen und autoritären Regimen ist das Internet – zumindest in Teilen – das letzte Sprachrohr und der einzig verbliebene Hort der Freiheit, auch wenn einzelne Personen oder staatliche Stellen durch Manipulation von Informationen, Quellen, Bildern und Videos versuchen eine andere Öffentlichkeit durch ihre Propaganda zu erzeugen. Dies alles macht das Internet und die digitale Revolution zu den größten medialen Errungenschaften seit der Erfindung des Buchdrucks.

Vor dem Hintergrund dieser positiven Innovationen ist uns bewusst, dass wir uns an einer entscheidenden Weggablung befinden. Die Frage, wie und in welcher digitalen Zukunft wir demokratisch zusammenleben wollen, wie wir die neuen Herausforderungen, die mit zunehmender Digitalisierung und der Verbreitung des Internets entstehen, angehen und lösen möchten, gilt es jetzt zu beantworten. Wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nehmen uns dieser Fragen seit über einem Jahrzehnt leidenschaftlich an, die öffentliche Diskussion wird seit Jahren auch von grünen Stimmen mitgeprägt. Wir streiten dabei nicht für eine Gruppe, die besonders aktiv oder kaum aktiv das Internet nutzt, oder nehmen nur einen Blickwinkel ein, sondern streiten für die Möglichkeiten und Stärkung des Internets als Ganzes.

Die globale Verbreitung des Internets wirft Fragen auf, die nicht von heute auf morgen beantwortet werden können. Es geht dabei um Prozesse, die wir selbst mitgestalten, wo auch wir Grüne immer wieder lernen werden. Im Austausch mit anderen Akteuren aus Wissenschaft, Kultur, Zivilgesellschaft und Wirtschaft wollen wir unsere Ideen und Konzepte weiterentwickeln. Die Herausforderungen des Internets lassen sich nicht mit den Antworten des 20. Jahrhunderts meistern. Wenn Programmcodes und Algorithmen, die Basis des digitalen Fortschritts, immer häufiger die zentralen Steuerungsmechanismen des 21. Jahrhunderts sind, so wissen wir auch, dass diese nicht starr, sondern fließend, in ständiger Bewegung sind. Diese Bewegung wird sich nicht an einem politischen Themenfeld orientieren oder in einer Nische verharren, sondern alle Politikbereiche beeinflussen. Die Digitalisierung unseres Lebens und der Gesellschaft wird Auswirkungen auf alle politischen Felder haben, Netzpolitik wird zukünftig noch stärker zur Querschnittsaufgabe, da es nicht nur um technische, sondern es sich vor allem um gesellschaftliche Veränderungen und Chancen handelt, die wir politisch gestalten wollen. Wir begreifen dies als Chance, Netzpolitik an unseren Grundwerten – Ökologie, Selbstbestimmung,  erweiterte Gerechtigkeit und lebendige Demokratie – auszurichten.

Die Souveränität von Staaten hat sich in den vergangenen Jahrhunderten in der Ausübung von Staatsgewalt und damit auch der Rechtsdurchsetzung über ein klar definiertes Territorium manifestiert. Das Internet schafft in Teilen eine neue globale Realität: Die digitale Sphäre ist wortwörtlich grenzenlos. Dies zeigt uns die Notwendigkeit auf, demokratisch legitimierte Institutionen weiter zu entwickeln und neue Orte für demokratische Mitbestimmung zu etablieren, auch um die Freiheit des Internets zu bewahren. Dies ist vor dem Hintergrund vermehrter staatlicher Eingriffe in die Infrastruktur des Internet, nicht nur in Staaten wie China oder dem Iran, sondern auch in Europa, wie z.B. in der Türkei und Ukraine, umso entscheidender.

Diesen Anspruch darf man gleichwohl nicht mit dem Ruf nach einer größtmöglichen Deregulierung des Internets verwechseln. Das Internet braucht zweifellos gewisse Regeln: Um die ökonomische Dominanz Weniger zurückzudrängen, größtmögliche Teilhabe zu gewährleisten, verhältnismäßige Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen, Innovationen zu fördern und Offenheit zu leben. Wir wollen Kreativität fördern und Kreative nicht abhängen, sondern mitnehmen und Wege einer angemessenen finanziellen Teilhabe ermöglichen. Ein offenes und freies Internet für alle sicherzustellen, wird eine der zentralen Herausforderungen unserer Demokratie und grünen Politik in den kommenden Jahrzehnten sein.

Der digitale Wandel ist im vollen Gange

Die immer intensivere Nutzung des Internets setzt weltweit Veränderungen in Gang, deren Auswirkungen politische Systeme strukturell und dauerhaft beeinflussen und verändern. Auch in Deutschland, das digitale Chancen bisher häufig viel zu zaghaft nutzt, muss dieser Transformationsprozess demokratisch und solidarisch gestaltet werden. Die Freiheit des Internets ist im 21. Jahrhundert aber leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Weltweit häufen sich staatliche Eingriffe und Beschneidungen der Bürgerrechte im Internet – nötig ist darum eine aktive Gestaltung und dauerhafte Sicherung der Internetfreiheit. Der freie und gleichberechtigte Zugang zu Informationen trägt zu einem demokratischen Aufbruch im Kleinen wie im Großen bei, indem Transparenz geschaffen und Partizipation ermöglicht wird. Gleichzeitig eröffnet ein freies und für alle offenes Internet ein Mehr an neuen Bildungschancen, ein Mehr an neuem Wissen und ein Mehr an neuen Möglichkeiten für soziale Teilhabe und wirtschaftliche Entfaltung. Wir Grüne wollen das Internet und seine digitalen Formen von Öffentlichkeit nutzen und die Entwicklung unterstützten, um eine neue demokratische Kultur zu etablieren, die sich stärker an den Bürgerinnen und Bürgern orientiert und so zu einer wirklichen BürgerInnenregierung werden kann.

Die Aufstände in den MENA-Staaten waren weltweit die ersten Revolutionen, die Diktaturen stürzten und dabei vornehmlich nach den Regeln der digitalen Welt funktionierten. Weltweit abrufbare Videos wurden zum Schutzschild gegen weitere, ausufernde staatliche Gewaltexzesse, Kurznachrichten haben zur Mobilisierung des demokratischen Protests entscheidend beigetragen und BloggerInnen, die zu Augenzeugen vor Ort wurden, bereicherten die Berichterstattung oder übernahmen oftmals deren Funktion komplett. Auch die Grüne Bewegung im Iran schützte und mobilisierte sich zum Teil durch neue digitale Techniken und in China werden durch Kurznachrichten innerhalb kürzester Zeit Skandale aufgedeckt und politischer Druck erzeugt.

All dies macht die gesellschaftliche Bedeutung des Internets in all seinen Facetten deutlich und zeigt klar auf, wieso der auch bei uns auszumachende Drang nach zunehmender staatlicher, aber auch wirtschaftlicher Kontrolle des Internets zurückgedrängt werden muss. Software und Hardware aus Deutschland wird zur Internetzensur und Kontrolle der BürgerInnen in den Diktaturen unserer Zeit eingesetzt. Internetzugänge werden unter anderem auch von europäischen Firmen auf staatlichen Druck hin gekappt. Menschenrechtspolitik im 21. Jahrhundert bekommt somit eine digitale Komponente. Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bedeutet dies nichts weniger, als den Kampf für Meinungs- und Pressefreiheit auch im Internet mit aller Entschiedenheit zu führen. Ein freies Internet stärkt die Informationsfreiheit, die informationelle Selbstbestimmung und die Versammlungs- und Assoziierungsfreiheit. Hierfür setzten wir uns ein – sowohl national, als auch europäisch und international.

Für ein freies und offenes Internet

Die Fehler, die weltweit nach den Anschlägen des 11. September 2001 mit dem Abbau von Bürgerrechten begangen wurden, dürfen sich, speziell wenn es um die Abwehr von Angriffen staatlicher wie privater Akteure im Internet geht, nicht wiederholen. Das Schlagwort der „Cybersicherheit“ darf nicht zum Deckmantel für einen Abbau des freien und offenen Internets führen. Konkret heißt das für uns, dass wir die verdachtsunabhängige Speicherung von Informationen, wie sie unter anderem bei der Vorratsdatenspeicherung (VDS) von Telekommunikationsdaten erfolgen soll, in aller Deutlichkeit ablehnen. Sie führt zu einer Überwachung und staatlichen Datensammlung die unseren Rechtsstaat in seinen Grundfesten erschüttert. Die Konsequenz ist ein permanenter Generalverdacht gegen alle Bürgerinnen und Bürger und deren ständigen Kontrollierbarkeit durch umfassenden Datenzugriff. Wir Grüne treten daher europaweit für ein schnelles Ende dieser Praxis und stattdessen bürgerrechtskonforme Lösungen bei der Strafverfolgung – etwa durch den Quick Freeze, dem vorübergehendem Sichern von Daten zum Zwecke der Strafverfolgung, von Verkehrsdaten im konkreten Verdachtsfall – ein.

Auch wehren wir uns gegen die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung ohne ordentliches rechtsstaatliches Verfahren. Eingriffe in Grundrechte wie die Meinungs- oder Informationsfreiheit darf es nur auf gesetzlicher Grundlage und durch gerichtlichen Beschluss geben. Das heimliche ausspionieren von Computern lehnen wir ab, die heimliche Online-Durchsuchung wollen wir im Bund und den Ländern abschaffen, und dem neu geschaffenen Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme endlich politisch auch zu seiner Wirkung verhelfen und die Intimsphäre im digitalen Zeitalter schützen. Das Internet ist nicht grundrechtsfrei!

Um dies abzusichern, treten wir für einen globalen Kodex zur Sicherung unserer Freiheits- und Bürgerrechte im Internet ein. Manche bezeichnen dieses Ziel als Magna Carta des 21. Jahrhunderts, andere wollen eine Übertragung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auf das Internetzeitalter. Die Vereinten Nationen haben bereits 2003 einstimmig klargestellt, dass diese die Grundlage auch für die Informationsgesellschaft sein muss. Für uns Grüne ist klar: Wir müssen die universellen Menschen- und Bürgerrechte auch im Internet weltweit schützen.

Daher streiten wir für eine stärkere und effektive Kontrolle und das Ende der Ausfuhr von Know-How, Technik und Software, die Zensur, Sperrungen und die Überwachung des Internets ermöglichen. Auch wenn wir uns der technischen Komplexität und der Möglichkeiten des Dual-Use in diesem Bereich bewusst sind, so gilt es dennoch, politisch Wege zu finden, die diese Praktiken unterbinden und ächten, damit die Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit im Internet zurückgedrängt und die Verfolgung beispielsweise von BloggerInnen und InternetaktivistInnen wirksam bekämpft wird. Wir haben größte Hochachtung und Anerkennung vor denen, die sich in undemokratischen Regimen in die Öffentlichkeit wagen und unter hohem persönlichem Risiko der Welt mit ihren Beiträgen, Videos oder Tweets einen Einblick in den politischen Alltag und die gesellschaftlichen Veränderungen ihrer Heimat geben.

Wir werden uns weiterhin mit aller Kraft für die Meinungs- und Pressefreiheit einsetzen und gegen Folter, drakonische Strafen und Gefahr für Leib und Leben kämpfen.

Doch auch in Deutschland ist die Meinungsvielfalt, beispielsweise mit einer drohenden Abschaffung der Netzneutralität, in Gefahr. Seit seiner Entstehung ist die technische Struktur des Internets neutral – ganz egal, um welche Inhalte es geht: Ob Videodaten, Textdaten, Bilder oder Sprache – die Datenpakete und Dateien werden gleichberechtigt bzw. diskriminierungsfrei durch das Netz geleitet. Dieses Prinzip der Netzneutralität war nicht nur der Garant der bisherigen, demokratischen Entwicklung des Internets, sondern ist auch elementar für die Zukunft des Internets. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verstehen Netzneutralität als die gleichberechtigte Übertragung von Daten im Internet, ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Zieles, ihres Inhalts, verwendeter Anwendungen oder benutzter Geräte, wobei als gleichberechtigte Übertragung der Transport von Daten über die Übertragungswege des Internets ohne behindernde Eingriffe wie Sperren, Verlangsamen und Verfälschungen zu verstehen ist. Damit einher geht ein Diskriminierungsverbot für den Transport von Daten.

Durch die bevorzugte Durchleitung bestimmter Daten werden demokratische Prinzipien untergraben und freier Wettbewerb behindert. Die weitere Entwicklung und der Ausbau des Internets darf nicht zu weniger Freiheit bei der Nutzung führen, sei es beim Breitbandanschluss in den eigenen vier Wänden oder beim mobilen Internetzugang. Diesen massiven Eingriff in die demokratische Grundstruktur des Internets zugunsten der bevorzugten Durchleitung von Daten einiger weniger großer Unternehmen lehnen wir entschieden ab und setzen uns stattdessen für einen effektiven Schutz der gleichberechtigten Meinungsfreiheit im Internet ein. Wir streiten für die rechtliche Verankerung der Netzneutralität und wollen zukünftige Förderungen beim Netzausbau an eine Verpflichtung der Netzbetreiber zur Netzneutralität koppeln.

In Gebieten, wo der Breitbandausbau noch stockt oder bisher gar nicht vorangekommen ist, müssen die weißen Flecken endlich geschlossen werden. Für den Glasfaserausbau ist eine Förderung wichtig und sinnvoll – nur so können wir die digitale Spaltung unserer Gesellschaft überwinden. Zum grünen Verständnis von sozialer Teilhabe im 21. Jahrhundert gehört es, den Breitbandzugang als Teil der Daseinsvorsorge über einen verpflichtenden Universaldienst sicherzustellen und die Unpfändbarkeit des Internetzugangs festzuschreiben. Wir wollen daher gesetzlich festschreiben, dass ab 2013 allen Bürgerinnen und Bürgern der Zugang zum Internet in einer Schnelligkeit von 6 MBit/Sekunde zur Verfügung stehen muss. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wollen wir eine flächendeckende Versorgung jedes Haushalts mit einer Übertragungsrate im zweistelligen Mbit-Bereich gewährleisten. Mittelfristig wollen wir über einen dynamischen ausgestalteten Universaldienst diese Bandbreite regelmäßig anpassen und schrittweise erhöhen, um Deutschland fit für das digitale Zeitalter zu machen. Bis 2020 sollen – entlang der Digitalen Agenda der EU – 30 Mbit/Sekunde flächendeckend verfügbar sein. Dazu gehört für uns ebenso eine Erhöhung der Uploadrate, da das Hochladen von Daten für ein partizipatives Internet, in dem man SenderIn und EmpfängerIn zugleich ist, fundamental ist. Darüber hinaus wollen wir Vorhaben, die den Ausbau von kostenfreien WLAN-Netzwerken zum Ziel haben – ob öffentlich oder privatwirtschaftlich, ob in Städten, auf öffentlichen Plätzen oder im ÖPNV – aktiv unterstützen und damit eine bürgernahe technologische Infrastruktur schaffen.

Zudem wollen wir Technologien fördern, die das Teilen von Internetbandbreite ermöglichen und die Anonymität beim Zugang oder der Nutzung des Internets gewährleisten. So ließe sich nicht nur ein für alle Seiten wünschenswerter globaler Wissensaustausch organisieren, sondern gleichzeitig könnten den Menschen Werkzeuge an die Hand gereicht werden, um in autoritären und totalitären Staaten das Internet auch anonym nutzen zu können. Denn für uns ist die Möglichkeit der Verwendung von Pseudonymen oder Anonymität zentraler und rechtlich zu schützender Bestandteil eines  freien Internets. Auch vor dem Hintergrund, dass das Telemediengesetz schon heute aus gutem Grund klare Vorgaben macht, indem es die Anbieter von Telemedienangeboten verpflichtet, eine anonyme Nutzung zu ermöglichen, erteilen wir einer sog. Klarnamenpflicht eine deutliche Absage. Wer „Vermummungsverbote“ im Internet fordert, dokumentiert seine Unwissenheit über die bestehende Rechtslage und riskiert zugleich weitere Datenskandale.

Wie die Umbrüche im Nahen Osten und der arabischen Welt gezeigt haben, kann das Internet mit seiner Offenheit elementar für die Weiterentwicklung unserer Demokratie und deren Vitalisierung sein. Es ermöglicht neue Chancen der Teilhabe an politischen und gesellschaftlichen Prozessen. Das Internet eröffnet auch neue Formen des Protests, sei es durch die Veröffentlichung von Informationen als auch neue Wege des zivilen Ungehorsams. Das gemeinschaftliche Aufrufen von Webseiten und als Folge dessen die Blockierung dieser, ohne zur Hilfenahme von technischen oder auch illegalen Hilfsmitteln wie Botnetze, einem Netzwerk von infizierten und zentral ferngesteuerten Computern, fällt für uns unter den zivilen Ungehorsam.

Informationsfreiheit 2.0: Transparente Demokratie in Zeiten der Digitalisierung

Die Möglichkeiten, Transparenz zu schaffen, Menschenrechtsverletzungen aufzudecken und gesellschaftliche Missstände anzuprangern, haben durch das Internet neuen Antrieb erhalten. Die Veröffentlichungen von Wikileaks über Umweltverschmutzungen in Afrika, Korruption im Bankensystem oder Menschenrechtsverletzungen im Irak-Krieg haben eine globale Öffentlichkeit für diese Missstände geschaffen. Auch wenn das Recht auf Transparenz nicht grenzenlos ist, stehen wir Grüne dennoch für eine neue Kultur der Offenheit, die Transparenz gewährleistet, Partizipation ermöglicht, Geheimhaltung minimiert und dabei Persönlichkeitsrechte sowie geschützte Räume sichert.

Daher streiten wir für eine Ausweitung und Modernisierung der Informationsfreiheit, bei der die bestehenden zersplitterten Informationszugangsgesetze in ein einheitliches BürgerInneninformationsgesetz überführt werden. In Zukunft muss begründet werden, wieso Verwaltungsdokumente oder sonstige öffentliche Unterlagen als geheim eingestuft und somit der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden. Wir wollen das bisher bestehende Prinzip umdrehen und die Verwaltungen dazu verpflichten, Dokumente, Analysen, Gutachten, Erhebungen und Statistiken nicht nur auf Nachfrage herauszugeben, sondern von vornherein proaktiv als offene Daten (Open Data) frei verfügbar zu machen. Für alle staatlichen Veröffentlichungen, auch die von Parlamenten, fordern wir die Verwendung von maschinenlesbaren und freien Formaten und die entsprechende Auswahl von Nutzungslizenzen zur privaten wie zur kommerziellen Nutzung, um Informationswertschöpfungsketten zu ermöglichen. Nach dem Vorbild des Bremer Informationsregisters und des Berliner Open-Data-Portals wollen wir schnellstmöglich ein zentrales bundesweites Portal für offene Daten einführen, dessen Daten dezentral aus Bund, Ländern und Kommunen eingepflegt werden.

Wir wollen eine Kultur der Zusammenarbeit zwischen BürgerInnen und Verwaltung etablieren und diese Schritt für Schritt gemeinsam mit der Verwaltung, Wissenschaft und interessierten Öffentlichkeit weiterentwickeln. 200 Jahre deutsche Verwaltungskultur muss sich im 21. Jahrhundert weiter entwickeln und wir wollen mehr Beteiligung und Transparenz ermöglichen, auch gegen zu erwartende Widerstände. Wir wollen eine stärkere Nachvollziehbarkeit von politischen Entscheidungsprozessen, mehr Teilhabe an gesellschaftlichen Debatten, den Abbau von Korruption und intransparenter Hinterzimmerpolitik sowie Motivation zahlreicher Menschen zur Teilhabe an unserem politisch-gesellschaftlichen Leben.

Wir fühlen uns dabei den Prinzipien eines offenen Regierungs- und Verwaltungshandelns (Open Government) verpflichtet. Dazu gehört für uns die internetbasierte Zusammenarbeit mit innovativen kollaborativen Werkzeugen, die der Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern dient. Wir unterstützen Initiativen aus grün mitregierten Ländern, Regierungshandeln und Bürgerbeteiligung im Sinne des Open Government zu gestalten.

Das Internet ist das Mittel der Wahl, wenn es um die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger geht. Planfeststellungsverfahren sind online zum frühestmöglichen Zeitpunkt transparent zu machen, Verträge der öffentlichen Hand mit privatwirtschaftlichen Akteuren zwingend zu veröffentlichen. Wir zielen damit vor allem auf mehr Partizipation an Entscheidungen von Regierung und Verwaltung, die vom Wissen der Bürgerinnen und Bürger profitieren und deren Teilhabe sichert. Die Verwaltungsmodernisierung im Rahmen des E-Government muss nicht nur auf Rationalisierung, sondern vor allem auf Transparenz und Teilhabe zielen.

Damit einher geht die Etablierung eines wirksamen Schutzes von WhistleblowerInnen bzw. InformantInnen. Wer gesellschaftliche Missstände aufdeckt, kriminelle Machenschaften publik macht oder illegale Praktiken enttarnt, gehört geschützt und nicht mit arbeitsrechtlichen Prozessen oder Schadenersatzklagen überzogen. Es werden immer mehr Plattformen wie Wikileaks aufkommen, sie werden sich thematisch fokussieren oder auf einzelne Regionen beschränken. Diese Plattformen gehören genauso wie neue Intermediäre geschützt, sie sind für uns Teil einer Informationskultur, die vom Grundsatz der Pressefreiheit gedeckt wird. Dementsprechend lehnen wir das Vorgehen einzelner Unternehmen, wie es im Fall Wikileaks praktiziert wurde, entschieden ab. Egal ob auf staatlichen Druck hin oder aus eigenem Interesse: Presse- und Meinungsfreiheit muss geschützt werden, Inhalte auf Servern dürfen ohne richterliche Entscheidung nicht auf Druck von staatlichen Stellen aus gelöscht, Konten nicht gesperrt oder Domainnamen und IP-Adressen nicht entzogen werden. Wir begrüßen die Bemühungen um ein modernes, JournalistInnen- und WhistleblowerInnen-freundliches Medien- und Internetrecht, wie es derzeit in Island entwickelt wird, und wollen uns für ein ähnliches „Modern Media“-Paket auch in Deutschland einsetzen.

Datenschutz im digitalen Zeitalter

Grundlegende Reformen des Datenschutzes, die sich am Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung und unserem Motto „Meine Daten gehören mir“ orientieren, sind unabdingbar. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern diese auch weiterhin mit Nachdruck ein. Wir glauben nicht, dass sich die Privatsphäre und deren Schutz überholt haben, sondern es eines Zusammenspiels aus Gesetzen, gesellschaftlicher Debatte und technischen Lösungen bedarf, um diese abzusichern. Eine Welt ohne Privatsphäre halten wir für nicht lebenswert. Privat- und Intimsphäre, Geheimnisse und selektive Informationsflüsse sind die essentielle Grundlage einer freier Gesellschaft, Teil der kreativen Kultur und Ausdruck autonomer Persönlichkeiten. Wir wollen einen Datenschutz, der explizit im Grundgesetz verankert und garantiert ist, der es jedoch jeder und jedem frei und selbstbestimmt ermöglicht, selbst eigene Daten und Informationen zu veröffentlichen und aktiv mit anderen zu teilen. Es muss rechtlich Klarheit herrschen, welche Informationen auf welche Weise veröffentlicht werden dürfen und welche Grundsätze zum Schutz der Privatsphäre gelten.

Dazu benötigen wir weiterhin eine umfassende Modernisierung des Datenschutzes. Moderne Datenschutzgesetze zeichnen sich durch innovative Ansätze aus, die präventiv ansetzen, auch mittelbare Steuerungsmechanismen aufgreifen und verfahrensmäßige Vorkehrungen wie Befristungen und laufende Evaluationen auf ihre Wirksamkeit stets mit enthalten. Unabhängig von Konstrukten wie der Stiftung Datenschutz muss in der Sache gewährleistet sein, dass der Datenschutz auch als Wettbewerbsfaktor wirksam wird. Deshalb fordern wir endlich die Vorlage eines anspruchsvollen Gütesiegel- und Auditierungsgesetzes. Hier steht auch ausdrücklich die Privatwirtschaft in der Pflicht. Das Sammeln und Auswerten von Daten als Geschäftsmodell von Sozialen Netzwerken, E-Commerce-Anbietern oder Suchmaschinenbetreibern muss datenschutzkonform erfolgen, hierfür brauchen wir eine durchsetzungsstarke gesetzliche Grundlage.

Mit der zunehmenden Digitalisierung wird die Vernetzung und Auswertung von Datenbanken immer leichter und weckt Begehrlichkeiten von privaten wie staatlichen Akteuren. Darum treten wir auf europäischer und internationaler Ebene für verbindliche Standards für den Daten- und Grundrechtsschutz im Internet ein, um die Einschnitte in die Internetfreiheit zurückzudrängen. Anlasslose Speicherorgien, wie die Flugpassagierdatenerfassung, lehnen wir ab. Die Datenweitergaben in die USA zu Sicherheitszwecken (PNR, SWIFT, etc.) sind nach wie vor nicht hinreichend eingegrenzt, der Rechtsschutz ist kläglich. Die Abkommen gehören beendet oder bedürfen massiver Nachverhandlungen. Wir unterstützen die EU-Justizkommissarin in ihrem ambitionierten Vorhaben, die Europäische Datenschutzrichtlinie neu zu regeln, dem Datenschutz besser zur Durchsetzung – auch international – zu verhelfen, auch mit Konzepten wie „Privacy by Design“,die Datenschutz in der Konstruktion mitdenken oder „Privacy by Default“, die höchste Datenschutzstandards als Voreinstellung beinhalten.

Keine Internetsperren

Freiheit in einer digitalisierten Welt bedeutet sowohl Schutz des Individuums als auch Durchsetzung ihrer oder seiner Rechte. Die völlig unverhältnismäßigen und verfassungsrechtlich kaum haltbaren Sperrungen von Internetzugängen bei Urheberrechtsverletzungen in Frankreich, der Einsatz von Filtertechnologie in Großbritannien oder Sperrlisten in Finnland greifen massiv in individuelle Grundrechte ein. Sie leisten dem Aufbau von entsprechenden Sperr- und Zensurinfrastrukturen Vorschub. Als Bürgerrechtspartei stehen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die Stärkung unserer Bürgerrechte und nicht für deren Abbau. Beim Jugendmedienschutz im Internet, gewaltverherrlichenden oder volksverhetzenden Inhalten, Schutz der Persönlichkeitsrechte oder Plattformen, die ausschließlich die Beleidigung und Diffamierung anderer Menschen zum Ziel haben, muss, wenn eine Straftat vorliegt, die Strafverfolgung konsequent durchgeführt werden. Wir Grünen setzen uns weiterhin für eine effektive Löschung entsprechender verbotener Inhalte nach rechtsstaatlichen Prinzipien ein, erteilen aber Sperrfantasien auch weiterhin eine deutliche Absage. Neben der effektiven, aber auch verhältnismäßigen Verfolgung von Straftaten ist es ebenso wichtig, den Erwerb von Medienkompetenz zu unterstützen und die Stärkung der Selbstbestimmung der Nutzerinnen und Nutzer mit geeigneten Programmen auszubauen.

Dabei ist für uns der Jugendmedienschutz kein Ausdruck antiquierten, überholten Denkens, sondern auch in einer digitalisierten Welt eine notwendige  gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir wollen dabei stärker zwischen dem Schutz von Kindern und Jugendlichen differenzieren. Allerdings muss der Jugendmedienschutz natürlich in Abwägung mit anderen freiheitlichen Grundrechten ausgestaltet werden. Diese miteinander in ein ausgewogenes Verhältnis zu setzen, ist die Herausforderung, vor der wir auch in Zukunft weiter stehen. Die von uns abgelehnte Neufassung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV) ist diesem Anspruch nach Ausgewogenheit und Angemessenheit nicht gerecht geworden. Sie hat vielmehr eine Richtung eingeschlagen, welche kommerzielle Angebote bevorzugt und den Zugang zu globalen Angeboten erschwert. Für uns geht es darum, Jugendschutz zu ermöglichen und gleichzeitig Zugang zu wahren. Verpflichtende Vorkontrollen und nicht leistbare Klassifizierungen lehnen wir ab. Wir wollen eine Jugendschutzpolitik vorantreiben, mit der die Medienkompetenz aller Beteiligten gestärkt wird und Erziehungsberechtigten Hilfestellungen gegeben werden. Jugendmedienschutz ist in unseren Augen eine Multi-Stakeholder-Aufgabe, nur vereint können Erziehungsberechtigte, Kinder und Jugendliche, Lehrpersonal, Fachkräfte in der Kinder- und Jugendarbeit und die Betreiber von Internetangeboten diese komplexe Herausforderung lösen. Pflichtprogramme oder voreingestellte Filtertechniken sind hingegen der falsche Ansatz. Wichtig ist uns, dass die Kriterien, warum Inhalte zugänglich oder unzugänglich sein sollen, transparent und nachvollziehbar sind. Andernfalls ließe sich Missbrauch oder einseitige Kommerzialisierung nur schwerlich verhindern. Die ersten Entscheidungen der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) zur Zertifizierung von Jugendschutzprogrammen werden wir auf dieser Grundlage genauestens prüfen und den Einsatz und die Ergebnisse dieser Software kritisch begleiten.

Das Wissen über Chancen und Risiken ist die Grundvoraussetzung, damit Jugendmedienschutz funktionieren kann. Diese Befähigung zur kritischen Nutzung des Internets kann nicht durch Internetführerscheine erteilt werden. Konzepte, die Medienkompetenz als reines Abfragewissen verstehen, wie das bei einigen „Medienführerscheinen“ der Fall ist, lehnen wir daher ab. Medienkompetenz erfordert erlebtes und fortschreitendes Lernen, Interaktivität, den Einsatz sowie die Nutzung von Medien in verschiedensten Situationen und muss immer weiter entwickelt werden. Die Auseinandersetzung damit und entsprechende Programme dürfen nicht mit dem Verlassen der Schule enden. Dieser Prozess läuft lebenslang – und gilt sowohl für Digital Natives, für die das Internet schon immer vorhanden war, als auch für die so genannten Silver Surfer, die das Internet neu im hohen Alter intensiv und häufig nutzen. Hier wollen wir stärker auf internationale Erfolge schauen und die Mittel für entsprechende Programme, bspw. der Medienpädagogik, auf Länderebene erhöhen. Damit einher geht für uns die Anerkennung, dass sich durch die Digitalisierung auch unser kulturelles Umfeld verändert.

Computerspiele sind Teil der Spielekultur, und für uns Kulturgut. Populistische Rufe nach einem Verbot von Spielen, die in der allgemeinen Öffentlichkeit als „Killerspiele“ bezeichnet werden, halten wir ähnlich wie die Bezeichnung für falsch. Die heutigen Grenzen für die Beschränkung des Verkaufs und der Werbung oder der strafrechtlichen Verfolgung von Spielen reichen völlig aus. Nicht zuletzt sehen wir Computerspiele und mediale Anwendungen als immer wichtiger werdendes Handlungsfeld der Kreativwirtschaft was auch mit den Instrumenten der Medienförderung gefördert werden sollte.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt: Zur besseren Rechtsdurchsetzung bedarf es einer Stärkung der grenzüberschreitenden europäischen und internationalen Kooperation zwischen den Ermittlungsbehörden. Diese muss in unseren grundsätzlichen Ansatz, eine globale Internet-Governance-Struktur einzuführen, eingebettet werden. Hier stehen noch viele Entscheidungen aus. Wir wollen diese im Dialog mit allen Beteiligten, also in einem Multi-Stakeholder-Ansatz forcieren. Denn wenn es gleichermaßen Grundlagen zur Wahrung der Freiheit des Internets, als auch zur Rechtsdurchsetzung gibt, sind ausufernde Kontroll- und Sperrmaßnahmen, die unsere Grundrechte gefährden und sich zudem als wenig zielführend erwiesen haben, hoffentlich endlich Teil der Vergangenheit.

Barrierefreiheit leben

Die Möglichkeit zur umfassenden Nutzung des Internets besteht nicht nur durch die Vermittlung entsprechender Fähigkeiten, sondern auch in der Bereitstellung entsprechender Inhalte und Plattformen. Barrierefreiheit muss auch im Internet gelebt werden. Hier wollen wir die nun endlich verabschiedete Barrierefreie Informationstechnikverordnung (BITV 2.0) umsetzen, für alle öffentlichen Einrichtungen verpflichtend machen und uns intensiv für den Einsatz in der Privatwirtschaft einsetzen. Dies ist der erste Schritt zu Barrierearmut mit dem Ziel, eine tatsächliche Barrierefreiheit im Internet zu erreichen. Wir wollen Inklusion leben und sehen gerade für Menschen mit Behinderungen hier zentrale lohnenswerte Möglichkeiten, wie das Internet sie begleiten und unterstützen kann. Diese Potentiale wollen wir fördern, seien es virtuelle Stadtpläne für RollstuhlfahrerInnen oder Schulungsplattformen für geistig Behinderte.

Damit Angebote wie im Bereich der Barrierefreiheit möglich werden, braucht es auch im Internet Standards, die offenen Zugang und freie Nutzung absichern und Komplikationen durch Unvereinbarkeit verhindern.

Die Frage, in welcher Gesellschaft wir morgen leben wollen, ist unmittelbar verknüpft mit der Frage, welche Technik zum Einsatz kommt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich dafür ein, dass national wie international die gesellschaftliche Rolle von technischen Standards, der Normierung von Formaten, Schnittstellen und Übertragungsprotokollen berücksichtigt wird. In die Entstehung von Standards muss unser demokratisches Gesellschaftsbild einbezogen werden, dies gilt sowohl für den Inhalt, als auch für den Prozess. Technik für eine freie digitale Gesellschaft kann nicht in antidemokratischen, geschlossenen Zirkeln entstehen. Eine freie digitale Wissensgesellschaft kann nur unter den Bedingungen von Offenheit und Pluralismus gedeihen. Unser Ziel ist es, die soziale und gesellschaftliche Teilhabe Aller, mit und im Internet zu erhöhen, Differenzen und Benachteiligungen, sei es auf Grund des Geschlechts, der Herkunft, des Aussehens, der sozialen Situation oder des Alters, abzubauen.

Offenheit und fairer Interessensausgleich für die digitale Wissensgesellschaft

Die Digitalisierung unseres Lebens ist eines der kraftvollsten Triebräder für gesellschaftliche Veränderung. Die schnelle, kostengünstige, unbegrenzte Vervielfältigungsmöglichkeit bestimmter Inhalte bei gleichbleibender Qualität und die globale Verbreitungsmöglichkeit über das Internet bergen enorme Chancen. Die Digitalisierung bringt einen enormen Freiheitsgewinn mit sich, da Informationen, Wissen und kulturelle Güter einfacher und freier zugänglicher sind, neue Möglichkeiten der Teilhabe an Wissen und Kultur durch eine wachsende Sammlung von Gemeingütern entstehen. Die Wissensgesellschaft im Internetzeitalter kann soziale Teilhabe massiv stärken, Bildungschancen für alle nachhaltig verbessern und vor allem unsere Demokratie vitalisieren und grundlegend stärken. Statt andere von Wissen und Information auszugrenzen, wollen wir allen Teilhabe ermöglichen, auch durch den freien Wissenstransfer zwischen dem globalen Norden und globalen Süden.

Wir Grüne setzen uns auch weiterhin für eine Modernisierung und Reform des Urheberrechts und einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der UrheberInnen und UserInnen, also aller im Internet Beteiligten ein. Wir wollen die UrheberInnen und KünstlerInnen stärken – auch gegenüber den Verwertern und Vermarktern ihrer Inhalte, aber ebenso einen angemessenen finanziellen Ausgleich für die freie Nutzung ihrer urheberrechtlich geschützten Inhalte im Internet schaffen. Gleichzeitig wollen wir die Kriminalisierung der nicht-kommerziellen Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke im Internet beenden und den Zugang zu ihnen grundsätzlich erleichtern. Wird urheberrechtlich geschütztes Material auf einer Internetseite oder Plattform direkt angeboten, die in nicht geringfügigem Maße (höher als Kostendeckung) Einnahmen durch Beiträge von Mitgliedern wie Käufern oder durch Werbung oder Verlinkung hat, so ist dies ein kommerzielles Ausmaß.

Mit großer Sorge sehen wir auch die Praxis, dass zahlreiche „neue Verwerter“ im Internet vom Vertrieb kreativer Werke profitieren, ohne KünstlerInnen entsprechend zu beteiligen und in deren Förderung und Entwicklung zu investieren. Auch deswegen wollen wir das Vertragsrecht auf europäischer Ebene reformieren, um UrheberInnen in eine stärkere Verhandlungsposition zu bringen und neue Möglichkeiten des Zugangs und der Nutzung zu ermöglichen.

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat ein auf die Herausforderungen der digitalisierten Welt angepasstes Urheberrecht zum Ziel, einen Ausgleich zwischen den Interessen, Ansprüchen, persönlichen Verbindungen und Rechten der SchöpferInnen eines Werkes und den Interessen der kulturellen Teilhabe der Gesellschaft herzustellen. Durch eine  befristete Exklusivität der Nutzungsmöglichkeiten für die UrheberInnen soll das Urheberrecht bspw. den SchöpferInnen ermöglichen, als Baustein der Finanzierung, von seinem Werk selbst angemessen finanziell zu profitieren (soweit er/sie dies will) und nicht nur von damit verbundenen indirekten Einnahmen (z.B. Auftritte, Merchandise, Vermarktung der Persönlichkeit etc.). Somit soll sichergestellt werden, dass KünstlerInnen die Möglichkeit haben, sich auf die Erschaffung neuer Werke konzentrieren zu können und nicht zur Ausübung eines weiteren Berufs, der nicht seiner/ihrer künstlerischen oder kreativen Qualifikation entspricht, gezwungen werden. Damit versprechen wir uns eine größere Vielfalt an Kulturgütern und somit einen höheren kulturellen Wohlstand für die Gesellschaft, als es ohne Urheberrecht der Fall wäre.

Durch den Aufbau von marktbeherrschenden Verwertungsstrukturen wurde dieses grundsätzliche Ziel der höchstmöglichen kulturellen Vielfalt und Teilhabe bei gleichzeitiger Beteiligung der SchöpferInnen in der Vergangenheit in vielen Bereichen konterkariert und hat damit auch dazu beigetragen, dass die Akzeptanz des Urheberrechts in Teilen der Gesellschaft stark gesunken ist. Die Debatte um die Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverlage, welches wir ablehnen, oder öffentliche Kampagnen, die Verstöße gegen das Urheberrecht mit schweren Verbrechen gleichsetzen, verstärken diesen Trend nur weiter. Gleichzeitig hat sich in den letzten Jahren ein System des Abmahnwesens etabliert, dass diesen Akzeptanzverlust verstärkt. Es setzt falsche Anreize und führt zu Massenabmahnungen, die häufig auch Unschuldige treffen. Daher wollen wir das System des Abmahnwesens, gerade im Bereich von Urheberrechtsverletzungen, grundlegend verändern. Vorschläge über die Streitwertherabsetzung, die Abschaffung der Kostenerstattung für die erste Abmahnung, die Herabsetzung von Regelstreitwerten, die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstands oder eine Verbesserung der vorgesehenen Kostendeckelung für einfach gelagerte Fälle sind notwendig und werden von uns unterstützt und weiter verfolgt.

Mit der Digitalisierung von Kulturgütern stellen sich neue Chancen, aber auch neue Herausforderungen, was die Verfügbarkeit von Inhalten und die Nutzungsgewohnheiten von UserInnen angeht. Konnte früher die Vinyl-Platte nur am heimischen Plattenspieler oder bei FreundInnen abgespielt werden, so werden Werke heute auf dem Handy, Tablet, Notebook oder auch in der Cloud gespeichert und auf unterschiedlichsten Geräten wiedergegeben. Diesen Mehrgewinn an Nutzungserrungenschaften wollen wir schützen und stärken und streiten daher für das Recht auf digitale Privatkopie und die Möglichkeit der Wiederveräußerbarkeit von Immaterialgütern, die wir verbraucherrechtlich verankern wollen. Die digitale Privatkopie darf weder durch technische Maßnahmen, namentlich vor allem Digitales Rechte Management (DRM), oder durch juristische Einschränkungen unterbunden werden. Eine solche Kopie zur privaten Nutzung und das Recht, diese Kopie auf eigene Geräte, sei es dem Laptop, dem MP3-Player, dem Tablet-PC oder dem Smartphone zu übertragen, beinhaltet jedoch nicht automatisch das Recht, diese auch öffentlich mit anderen zu teilen. Die digitale Privatkopie wird dabei genauso durch eine entsprechende Vergütung kompensiert, wie die analoge Privatkopie.

Remix-Kultur und transformatorische Nutzung

Die Digitalisierung erlaubt es, Inhalte mit verhältnismäßig einfachen technischen Mitteln und Kosten selbst zu produzieren, gemeinsam zu nutzen und im Internet einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So können NutzerInnen auch teilweise selbst zu Kreativen werden und dabei zu Teilen auch urheberrechtlich geschützte Inhalte für ihre Schöpfungen verwenden. KünstlerInnen, die mit ihren Arbeiten auf digitale Inhalte anderer Kreativer aufbauen, sind somit wiederum selbst in der Nutzerrolle. Im Internet entstehen kreative Nutzungsgewohnheiten und Formate, die es schwierig machen, auch bei unterstelltem guten Willen, fremde Urheberrechte zu beachten.

Das Urheberrecht sollte im Hinblick auf seine Kompatibilität zu neuen Nutzungs- und Lizensierungsmöglichkeiten und hinsichtlich seiner Verständlichkeit für NutzerInnen und UrheberInnen verbessert werden. In einer Gesellschaft, in der die technischen Möglichkeiten sowohl der Erstellung als auch der Bearbeitung von Inhalten nahezu Jeder und Jedem gegeben sind, muss das Urheberrecht auch diese Potentiale erschließen, indem es verständlicher und einfacher ausgestaltet wird.

Der emanzipierte, nachhaltige Umgang mit eigenen kreativen Inhalten, aber auch der faire Umgang mit den Inhalten Dritter muss eine Zielvorstellung für die notwendige Umgestaltung des Urheberrechts sein. Das Urheberrecht darf die Potentiale der Digitalisierung weder ignorieren noch behindern. Genausowenig dürfen aber auch die Rechte der KünstlerInnen beschnitten werden.

Deshalb wollen wir, vergleichbar zu Fair-Use Regelungen im US-amerikanischen Recht, eine urheberrechtliche Schranke zur Ermöglichung nicht-kommerzieller Nutzungsformen einführen, die auf die Weiterentwicklung und Bearbeitung vorhandener Werke zielt. Kreatives Schaffen darf nicht an einem restriktiven Urheberrecht scheitern. Die vorhandenen Restriktionen im Urheberrecht wollen wir verändern, indem wir alternative Lizenzformen, wie z.B. Creative Commons, fördern und auch selber stärker nutzen, die deutlich zwischen dem Ansatz der kommerziellen und nicht-kommerziellen Nutzung unterscheiden.

Um eine Kultur der transformatorischen Nutzung zu ermöglichen, ist es Ziel unserer Politik, soviel Wissen und kulturelle Güter wie möglich zur freien Nutzung bereitzustellen. Deswegen wollen wir, dass Verwertungsgesellschaften Creative Commons Lizenzen zulassen, damit die Künstler freier wählen können, welche Verwertungswege sie einschlagen wollen. Eine deutliche Verkürzung bzw. Flexibilisierung der Schutzfristen z.B. auf fünf Jahre muss mit der Möglichkeit der Neuverhandlung einhergehen. Das bedeutet: Eine fünfjährige Schutzfrist ab Veröffentlichung mit anschließender, gebührenpflichtiger mehrmaliger Verlängerungsoption. Wir wollen eine Schrankenausweitung für Blinde, so dass sie leichter in den Genuss von Büchern kommen können.

Eine besondere Verantwortung für die Förderung freien Wissens und kultureller Güter, sehen wir im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Hier wird durch die Gemeinschaft, mit erheblichen Mitteln, eine Vielfalt an Werken finanziert, die unserer Ansicht nach unter freien Lizenzen, digitalisiert zur erneuten Nutzung in frei zugänglichen Archiven bereitgestellt gehören. Wir sehen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Teil unserer digitalisierten Welt und stellen uns daher gegen die derzeitigen künstlichen Gängelungen und willkürlichen zeitlichen Restriktionen. Die Verpflichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch gesetzliche Regelungen zur De-Publizierung von Inhalten widerspricht unseren Vorstellungen von Vielfalt und digitaler Teilhabe. Die Regelung, einen erheblichen Teil der Inhalte nach sieben Tagen aus den Mediatheken entfernen zu müssen, ist falsch und wird von uns abgelehnt.

In den Filmarchiven der Bundesrepublik lagert ein reiches und historisch relevantes Filmerbe. In der Digitalisierung dieses Erbes liegt eine große Chance und immer mehr auch eine Notwendigkeit. Die Haltbarkeit der Filmrollen ist auch bei guten Lagerbedingungen begrenzt. Wir setzen uns für eine digitale Langzeitarchivierung ein, damit das Filmerbe auch zukünftig lebendig und für ein breiteres Publikum zugänglich bleibt. Eine breitere Digitalisierung des Filmerbes kann auch neue Wege des Zuganges über Internet oder DVD eröffnen.

Auch die Wissenschaft hat alle Chancen von den neuen digitalen Realitäten ganz erheblich zu profitieren, wenn wir die politischen Rahmenbedingungen hierfür schaffen. Viele der derzeitigen urheberrechtlichen Regelungen entsprechen nicht den Anforderungen und der Praxis des wissenschaftlichen Arbeitens, des akademischen Diskurses und der Weiterverbreitung von Wissen in Forschung und Lehre. Im wissenschaftlichen Kontext unterstützen wir das Open-Access-Prinzip, dem freien Zugang zu Publikationen und anderen Informationen. Wir streben an, dass in Zukunft alle Forschungsergebnisse und Daten, die durch öffentliche Finanzierung ermöglicht wurden, der Öffentlichkeit kostenfrei dauerhaft zugänglich gemacht werden. Vor dem Hintergrund internationaler Erfahrungen wollen wir prüfen, welche Wege und Instrumente – etwa entsprechende Klauseln bei öffentlichen Mittelzuweisungen – besonders geeignet sind, um dieses Ziel zu erreichen. Auch das Urheberrecht muss so gestaltet werden, dass es wissenschaftliche Beiträge als Open-Access-Publikationen ermöglicht und erleichtert. WissenschaftlerInnen benötigen Rechtssicherheit, wenn sie im Open-Access-Prinzip publizieren, beispielsweise über ein unabdingbares Zweitverwertungsrecht für wissenschaftliche Zeitschriften- und Sammelbandbeiträge, sofern diese im Rahmen mit öffentlichen Mitteln finanzierten oder teilfinanzierte Lehr- und Forschungstätigkeit entstanden sind. Zudem muss ein zeitgemäßes Urheberrecht praktikable und rechtssichere Schrankenregelungen zugunsten der Wissenschaft enthalten, auch im Sinne des Fair Use. Dies betrifft vor allem die Arbeit mit digitalen Dokumenten auf Lehr- und Lernplattformen, in Seminaren und Forschungsumgebungen sowie die digitale Langzeitarchivierung und den digitalen Kopienversand.

Pauschalvergütung

Auch im Bereich der privaten Nutzung bedarf es zukunftsfähiger neuer Lösungen, um den geforderten Interessensausgleich zwischen UrheberInnen und NutzerInnen zu ermöglichen. Die zunehmenden Verfolgung von NutzerInnen, die Einschränkung ihrer Nutzungsmöglichkeiten und die ausufernden Eingriffe in die Privatsphäre, wie sie in Frankreich oder Großbritannien der Fall sind, widersprechen unserem Ziel einer offenen Wissensgesellschaft. Wir lehnen sie ausdrücklich ab – sie sind unverhältnismäßig und kontraproduktiv. Unser Ziel ist die angemessene Vergütung der nicht-kommerziellen Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke, deren Nutzung weder straf- noch zivilrechtlich verfolgt werden kann.

Um dabei den Ausgleich zwischen Nutzung und Anspruch auf finanzielle Entlohnung zu wahren, setzen wir mit der Pauschalvergütung auf die Fortsetzung eines etablierten Systems im digitalen Zeitalter. Seit über 40 Jahren wird in Deutschland im Bereich der nicht-kommerziellen Nutzung vergütet statt verfolgt. So werden Abgaben auf Leerträger wie CD- oder DVD-Rohlinge, Fotokopierer oder Speichermedien erhoben.

Dieses System wollen wir auf den Internetanschluss übertragen und monatlich eine pauschale Summe erheben, die sich an der Bandbreite orientiert. Das Gutachten des Instituts für Europäisches Medienrecht im Auftrag der Bundestags- und Europafraktion aus dem Jahr 2009 zeigt, dass ein solcher Ansatz rechtlich umsetzbar ist, auch wenn es bestehende Strukturen des Vertriebs und der Verwertung von Kulturgütern radikal verändern würde. Diesen Ansatz wollen wir zu einem konkreten Konzept weiter entwickeln, ihn diskutieren und somit letztendlich eine Informations- und Wissensgesellschaft ermöglichen, die nicht von Kriminalisierung, Abmahnungen, Bürgerrechtseinschränkung, Verfolgung und Sperrung von Internetanschlüssen geprägt ist. Diese Politik ist Teil unseres grünen neuen Gesellschaftsvertrages, da sie sich am Ziel ausrichtet, die Veränderungen in unserer Welt politisch in neuen Zusammenhängen zu denken.

Motor für Innovationen und Fortschritt

Die Offenheit des Internets ermöglicht auch wirtschaftlich neue Impulse und unterstützt die sozial-ökologische Transformation. Investitionen ins Internet oder im Internet sind allgegenwärtig, es ist zu begründen, wieso man dies heute nicht mehr vornimmt, da die positiven Abstrahleffekte von Investitionen in diesem Bereich weitreichend sind. Freie und Offene Software wird global fortentwickelt. Menschen planen in kleinen Start-Ups innovative Ideen weiter und schaffen damit viele neue Arbeitsplätze. Die Sicherung dieses Innovationspotentials darf nicht durch Einschränkungen des Zugangs zum Internet unterbunden werden. Internetunternehmen zählen zu den wertvollsten Marken unserer Zeit, dies rechtfertigt jedoch nicht die Abschottung von Märkten für wenige große Konzerne. Im Gegenteil: Wir wenden uns auch im Internet gegen die Bildung von Monopolen und Oligopolen. Wir streiten auch weiterhin im Sinne der NutzerInnen für Vielfalt und effektive VerbraucherInnenrechte.

In den Fokus gehören daher Wirtschaftsmodelle, die sich unserem Ziel einer offenen Wissensgesellschaft besonders verpflichtet fühlen. Open Business Modelle und sozial-ökologische Geschäftsideen setzen auf den Ansatz des Teilens, der Offenheit und des Miteinanders und tragen somit außerordentlich zu einem Wohlstandsgewinn für alle bei. Die Zeit der Abschottung muss überwunden werden. Wir streiten für Offenheit statt Patentkriege und unterstützen freie und offene Software (FOSS) auf allen Ebenen, da die Nutzung entsprechender Angebote auch ein politisches Statement für Offenheit und gegen Monopole ist. Für unsere Internetwirtschaft sollten daher die Rechte der NutzerInnen besonders im Fokus stehen. Datenschutz und gelebte VerbraucherInnenrechte sind hierbei ganz zentrale Punkte.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich daher für offene Standards, die ein reibungsloses Zusammenspiel verschiedener Software (Interoperabilität) ermöglichen und ein Verbot von Softwarepatenten ein. Wir wollen Netzwerkexternalitäten und Lock-In-Effekten von Sozialen Netzwerken, die bspw. verhindern dass Jede und Jeder einfach soziale Netzwerke wechseln und entstandene Kontakte und Inhalte portieren kann, entgegenwirken und diese öffnen, in dem wir Möglichkeiten für Trennungsgebote prüfen. Netze oder Plattformen sollen so losgelöst von der Speicherung oder Einspeisung von Daten bzw. Informationen funktionieren.

Aus innovationspolitischer Sicht wäre das Ende der Netzneutralität ein herber Rückschlag. Unternehmerische Kreativität und Ideen würden gehemmt, wenn der freie Zugang zum Endkunden ohne zusätzliche Kosten nicht mehr möglich wäre oder Plattformen im Internet andere Angebote aussperren könnten.

Die von uns verfolgte Offenheit als Wirtschaftsmotor muss aber auch gesellschaftlich wirken. Das Internet ist heute ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und die Erfolge der letzten Jahre zeigen, dass Wohlstand und neue Arbeitsplätze mit entsprechenden Angeboten geschaffen werden. Wir wollen eine GründerInnenkultur unterstützen, die kreative Start-Ups fördert, ihnen Unabhängigkeit zubilligt und die gesellschaftliche Akzeptanz für diesen Schritt in die Selbstständigkeit und das UnternehmerInnentum im Internet als solches steigert. Wir setzen uns dafür ein, die Möglichkeiten zu verbessern, an Risikokapital zu gelangen, da Venture Capital elementar ist, um Start Ups im Bereich der Internetwirtschaft zu fördern. Deutschland hat sich als Land der IngenieurInnen einen weltweiten Namen gemacht und kann mit innovativen Unternehmensideen zum attraktivsten Standort für junge und kreative Internet Start-Ups außerhalb Nordamerikas werden. Dieses Ziel wollen wir politisch unterstützen. Der Transfer zwischen Wissenschaft und Netzökonomie muss gestärkt werden.

Grüne IT-Politik hat immer auch eine soziale Ebene, national wie international. In Deutschland sind viele Beschäftigte im IT Bereich und der Kreativwirtschaft – zumindest zu Beginn ihres Berufsleben – prekär beschäftigt. Nicht zuletzt die „Generation Praktikum“ ist hier besonders stark vertreten. Auch den unsteten projektbasierten Arbeitsverhältnissen Selbstständiger wollen wir durch eine bessere soziale Absicherung entgegen treten. Damit Sozialversicherungsbeiträge permanent bezahlt werden können und unstete Lebensverläufe nicht zum Risikofaktor bei der Arbeitsagentur oder den Sozialversicherungen werden, setzen unsere arbeitsmarktpolitischen Konzepte gerade bei dieser Zielgruppe an. Zudem werden gerade in der IT-Wirtschaft neue Modelle von flexibleren, familiengemäßeren Arbeitszeiten und Mitarbeiterbeteiligung vorgelebt, die weiter gefördert gehören.

Aber auch international gibt es eine hohe Verantwortung der IT-Wirtschaft, sei es bei den Produktionsbedingungen oder der Abfallbeseitigung. Wir setzen auf nachhaltige IT- und Kommunikationslösungen im Sinne von fairer und grüner Informationstechnologie (Fair IT/Green IT), statt auf kurze Lebenszyklen und ein überdimensioniertes Mehr an Leistung, Speicher und Pixeln. Die Produktion von Elektronik muss den Grundsätzen der Nachhaltigkeit folgen und unter menschenwürdigen Bedingungen stattfinden. Schadstofffreiheit, Recyclingfähigkeit und niedriger Stromverbrauch müssen als Qualitätsmerkmale moderner Elektronik in allen Einsatzgebieten gefördert werden. Gerade internationale Konzerne, aber auch die öffentliche Hand, sind hier gefragt, um sich für entsprechende Arbeits- und Umweltbedingungen in ihren eigenen Unternehmen aber auch bei ihren Zulieferern einzusetzen. Nicht zuletzt der Konflikt um seltene Erden macht deutlich, dass auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit ein Umdenken stattfinden muss. Informationstechnologie bietet auch Potentiale zur besseren Gestaltung unserer ökologischen Zukunft: Chancen und Herausforderungen, „grün durch Informationstechnologie“ zu werden, sehen wir z.B. im Bereich der Telearbeit, bei der Entwicklung intelligenter Stromnetze und nachhaltigem städtischen Umwelt- und Verkehrsmanagement.

Mit grünen Werten die Digitalisierung gestalten

Netzpolitik tangiert nahezu alle Bereiche unserer Gesellschaft und Politikfelder, Wissenschafts- wie Kulturpolitik, Rechts- wie Innenpolitik, Kinder- wie Jugendpolitik, Wirtschafts- und Verbraucher, Umwelt- wie Arbeitsmarktpolitik – die Aufzählung ließe sich für alle Ressorts durchdeklinieren. Die Netzpolitik ist das große Querschnittsthema unserer Zeit. Das Internet selbst ist für uns nicht nur ein technisches Instrument, sondern eine sozialer Ort, den es für mehr demokratische Mitbestimmung zu nutzen gilt. Genauso muss es aber auch immer möglich sein, ohne digitale Kompetenz umfassend an den gesellschaftlichen Prozessen mitwirken zu können. Unsere Netzpolitik ist sozial inklusiv und auf Teilhabe aller ausgerichtet. Der Prozess, die digitale Zukunft national wie international politisch zu begleiten, wird multiple Lösungswege erfordern, den einen richtigen Ansatz gibt es nicht. Es ist ein globaler Prozess, der die Diskussion mit zahlreichen Akteuren notwendig macht, in dem Lobbyinteressen immer stärker zu Tage treten und Interessenskonflikte vorprogrammiert sind. Der Grüne Ansatz richtet sich dabei an unseren Werten und nicht an tagespolitischer Effekthascherei aus. Für uns stehen die Interessen und Rechte der Nutzerinnen und Nutzer im Vordergrund, nicht die Interessen weniger. Gemeinsam mit einer interessierten Öffentlichkeit, in einer Kultur, die Transparenz, die Bürgerrechte und Offenheit lebt und die individuelle Entscheidungen respektiert, wollen wir unsere netzpolitischen Konzepte fortlaufend fortentwickeln und weiterhin für eine progressive Netzpolitik mit ihren vielfältigen Chancen streiten.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind sich bei der Erarbeitung ihrer netzpolitischen Konzepte neben ihrer Verantwortung gegenüber allen NutzerInnen des Internets auch ihrer Verantwortung denjenigen gegenüber bewusst, die nicht am Internet teilhaben wollen und deshalb nicht abgehängt werden dürfen. In einer offenen Wissensgesellschaft muss ein partizipatives Leben im, aber eben auch außerhalb des Internets möglich sein.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellen sich der Herausforderung, online wie offline, den Umbruch vom 20. in das 21. Jahrhundert, mit all seinen neuen und spannenden demokratischen Möglichkeiten, mit zu gestalten. Diese Herausforderung nehmen wir Grünen an.

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