Wir dokumentieren an dieser Stelle das mit Untertitel versehene Video und das Wortprotokoll des Expertengesprächs im Unterausschuss Neue Medien. Tabea Rößner, die grüne Obfrau im Unterausschuss, hat aufgrund vieler unbeantworteter Fragen im Nachhinein noch einmal um einen Sachstandsbericht der Ministerien gebeten. Darin soll inbesondere geklärt werden, welche Rolle die Barrierefreiheit im IT-Planungsrat der Bundesregierung spielt und wie der Arbeitsplan für die Umsetzung der am 22.9. verabschiedeten neuen Barrierefreien Informationstechnik Verordnung (BITV 2.0) im Ministerium für Arbeit und Soziales aussieht. Wir werden Euch darüber weiter auf gruen-digital informieren.

Das Video der Ausschusssitzung mit Untertitel kann man aus der Mediathek des Deutschen Bundestages herunterladen.

Das Wortprotokoll des Expertengesprächs findet Ihr hier. Da wir nicht absehen können, ob das PDF hunderprozentig barrierefrei erstellt worden ist, folgt ebenfalls ein sehr langer Blogpost des Textes.

Die Stellungnahme Thomas Hänsgens hatten wir bereits auf gruen-digital online gestellt. Die weiteren Texte finden sich, wiederum als PDF-Dokumente, auf der Seite des Unterausschusses:

Deutscher Bundestag

17. Wahlperiode
Protokoll Nr. 17/13

Unterausschuss Neue Medien (22)

Wortprotokoll *

13. Sitzung

Berlin, den 19.09.2011, 13:00 Uhr

Sitzungsort: Paul-Löbe-Haus

Konrad-Adenauer-Straße 1

10557 Berlin

Sitzungssaal: E.800

Vorsitz: Sebastian Blumenthal, MdB

TAGESORDNUNG:

Einziger Tagesordnungspunkt

Öffentliches Gespräch mit Sachverständigen zu dem Thema „Aktuelle Chancen und Probleme der Barrierefreiheit im Internet“

Experten:

Thomas Hänsgen, Stiftungsratsvorsitzender „barrierefrei kommunizieren!“, Berlin

Klemens Kruse, Geschäftsführer Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit, Berlin

Niels Rasmussen, Vorsitzender der ARD-Projektgruppe „Barrierefreier Rundfunkzugang“, NDR, Hamburg
Klaus-Peter Wegge, Leiter Accessibility Competence Center, Siemens AG, Paderborn

* Redaktionell überarbeitete Abschrift der Tonaufzeichnung

Anwesenheitsliste*
Mitglieder des Ausschusses

Ordentliche Mitglieder des Ausschusses

CDU/CSU
Brandl, Dr. Reinhard
Jarzombek, Thomas

SPD
Dörmann, Martin
Klingbeil, Lars

FDP
Blumenthal, Sebastian
Schulz, Jimmy

Molitor, Gabriele a. G.

DIE LINKE.
Sitte, Petra, Dr.
Stüber, Sabine a. G.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rößner, Tabea
______________________________________

*) Der Urschrift des Protokolls ist die Liste der Unterschriften beigefügt.

Bundesregierung

Schäfer                                                                     BMI

Krupatz                                                                     BMI

Hüppe                                                                      Beauftragter der Bundesregierung

Bundesrat

Schwetje                                                                   LV Thüringen

Ommen                                                                     LV Niedersachsen

Fraktionen und Gruppen

Kannapin                                                                   DIE LINKE.

Rod Riguez                                                               SPD

Scheele                                                                     DIE LINKE.

Göllnitz                                                                     FDP

Dobeneck                                                                 B90/GRÜNE

Leberl                                                                       CDU/CSU

Kollbeck                                                                   SPD

Friebel                                                                       SPD

Sauer                                                                        FDP

Einziger Tagesordnungspunkt

Öffentliches Gespräch mit Sachverständigen zu dem Thema „Aktuelle Chancen und Probleme der Barrierefreiheit im Internet“

Der Vorsitzende: Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, liebe Gäste. Ich bitte zunächst die kleine Zeitverzögerung zu entschuldigen. Die Obleuterunde, die unmittelbar zuvor getagt hat, um die Ausschusssitzung vorzubereiten, hatte ein wenig Zeitverzug, wofür ich um Nachsicht bitte. Die 13. Sitzung des Unterausschusses Neue Medien ist hiermit eröffnet.

Ich begrüße zum einen den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Herrn Hubert Hüppe, und zum anderen die anwesenden Sachverständigen, die ich gleich im Einzelnen namentlich vorstellen werde. Gestatten Sie mir eingangs einige Hinweise zum Verfahren, auf das wir uns vorab verständigt haben. Es steht ein Zeitfenster von 90 Minuten für die heutige Sitzung zur Verfügung. Die Sitzung findet öffentlich statt und wird aufgezeichnet. Wir setzen Gebärdensprachdolmetscher ein und werden die Aufzeichnung der heutigen Sitzung ab Mittwoch in der Mediathek des Deutschen Bundestags abrufbar machen. In der Obleuterunde hatten wir uns darauf verständigt, dass die Sachverständigen jeweils mit drei Minuten Eingangsstatements zu den zehn Fragen, die wir ihnen vorab zugeschickt haben, in das Thema einführen. Jeder von Ihnen erhält also drei Minuten Zeit für eine Einführung. Die Zeit danach wollen wir dann nutzen, Fragen der Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten aus den einzelnen Fraktionen mit Ihnen zu debattieren. Gestatten Sie mir einen weiteren Hinweis zu der heutigen Sitzung: Wir haben heute auch einige Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss für Arbeit und Soziales unter uns. Das heißt, es sind nicht nur die Mitglieder des Unterausschusses Neue Medien anwesend, sondern auch Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales, die ihren fachlichen Schwerpunkt zu diesem Thema gesetzt haben, um sich hier mit allen Beteiligten auszutauschen.

Die Sitzung wird heute, wie gesagt, aufgezeichnet und es wird ein Wortprotokoll erstellt und ins Internet eingestellt werden. Das bedeutet, dass sich ein jeder über den Ablauf, die einzelnen Statements und den Verlauf der Diskussion noch einmal einen Eindruck verschaffen kann. Findet dieses Verfahren das Einverständnis der Fraktionen und der Sachverständigen? Das sehe ich so, dann können wir auch entsprechend verfahren.

Wir haben heute eingeladen zum einen als Sachverständigen Herrn Thomas Hänsgen, Vorsitzender des Stiftungsrats und Geschäftsführer von „barrierefrei kommunizieren!“, Berlin. Herzlich willkommen hier an dieser Stelle. Wir haben eingeladen Herrn Klemens Kruse. Er ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Bundeskompetenzzentrums Barrierefreiheit in Berlin. Wir haben eingeladen Niels Rasmussen, Vorsitzender der Projektgruppe „Barrierefreier Rundfunkzugang“ der ARD, Hamburg. Und wir haben eingeladen Herrn Klaus-Peter Wegge, direkt Betroffener, der seit seinem dritten Lebensjahr blind ist. Er wird uns hier heute mit seinem Sachverstand in der Debatte zur Verfügung stehen, auch in seiner Funktion als Leiter des Accessibility Competence Center der Siemens AG, Paderborn.

Die Stellungnahmen der einzelnen Sachverständigen liegen Ihnen allen vor. Eine Stellungnahme kam etwas verspätet, sie ist erst heute morgen eingetroffen. Sie liegt aber als Tischvorlage aus. Das heißt, man kann auf jeden Fall die einzelnen Stellungnahmen der Sachverständigen schriftlich dokumentiert noch einmal nachlesen. Wir würden dann gerne auch gleich mit den Eingangsstatements beginnen.

Abg. Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Der Vorsitzende ist so schnell durch die Formalia gegangen, dass ich an dieser Stelle doch noch einmal kurz einhaken möchte, denn er gratuliert normalerweise den Ausschussmitgliedern immer zum Geburtstag. Und jetzt soll der Vorsitzende nicht vergessen werden, denn er selbst hatte in der Sitzungspause am 4. August Geburtstag. Lieber Sebastian, ich gratuliere Dir ganz herzlich im Namen des Ausschusses und hoffe, die ganz wenigen, aber vereinzelt erkennbaren grauen Strähnen kommen nicht von unserem Ausschuss, sondern haben andere Gründe. Alles Gute für das neue Lebensjahr.

Der Vorsitzende: Von Rührung ergriffen sage ich danke für den Mut, den Du mir zusprichst, die grauen Haare mit Fassung zu tragen. Vielen Dank für die Glückwünsche. Er werden sicher mehr graue Haare werden. Soweit der Vorrede und der Formalia. Ich würde vorschlagen, dass wir direkt in die Einführungen der Sachverständigen einsteigen und dabei alphabetisch vorgehen. Deswegen würde ich zunächst Herrn Thomas Hänsgen bitten, mit seinem Eingangsstatement zu beginnen und das Wort zu ergreifen. Bitte schön, Herr Hänsgen.

Thomas Hänsgen (Stiftungsratsvorsitzender „barrierefrei kommunizieren!“, Berlin): Meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst herzlichen Dank zunächst für die Einladung. Ich möchte darauf verweisen, welche Chancen die Nutzung des Internets für Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen grundsätzlich bietet, und zwar nicht nur im Bereich der Bewältigung des Alltags. Wenn man sich anschaut, welche Möglichkeiten das Netz bietet, sei es zur Informationsbeschaffung, sei es zum Buchen von Reisen oder zum Einkaufen, so kann man eine Menge Schwierigkeiten, die eine Behinderung an der einen oder anderen Stelle mit sich bringt, durchaus gut ausgleichen. Die Nutzung des Internets hat aber auch viele Potentiale wenn es darum geht, behinderten Menschen berufliche Perspektiven zu eröffnen. Das bedeutet, dass heutzutage nicht nur nahezu jeder Arbeitsplatz mehr oder weniger mit der Nutzung des Internets verbunden ist, sondern es auch Möglichkeiten gibt, dass Menschen mit Behinderung es zwecks selbstständiger Erwerbsarbeit zu nutzen wissen. Unabhängig davon, von wo aus man dies tut, ob zu Hause oder andernorts, die Technik bietet heute eine Vielzahl an Möglichkeiten.

Dazu bedarf es aber an verschiedenen Stellen vor allem der Sensibilisierung der Akteure und des Aufzeigens von Vorteilen, die die Programmierung von barrierefreien Webseiten und der Einsatz zahlreicher Technologien bieten, die es heute bereits möglich machen, trotz Behinderungen und Einschränkungen das Internet zu nutzen. Wichtig an dieser Stelle scheint mir noch einmal zu erwähnen, dass es nicht nur um das World Wide Web, also um das Internet als solches geht, sondern dass es auch darum geht, damit verwandte Dinge mit zu betrachten. Ich denke hier insbesondere an Intranetlösungen und Groupwarelösungen, die es in großen Unternehmen betriebsintern notwendig machen, sich Informationen zu verschaffen. Es gilt, sich in Bezug auf Barrierefreiheit allerdings nicht mit derartigen Lösungen zu begnügen, sondern auch Software barrierefrei zu gestalten. Denken Sie doch nur einmal an die Vielzahl von Lernsoftware, sei es in der beruflichen Weiterbildung oder sei es Bildungssoftware im schulischen Bereich. Hier muss es aus meiner Sicht darum gehen, diese bei der barrierefreien Gestaltung mit in den Blick zu nehmen.

Man sollte ebenfalls nicht vergessen, dass die Nutzung von Intranet- oder Internetangeboten allein nicht ausreicht, sondern darüber hinaus spezielle Hilfsmittel erforderlich sind, um überhaupt ins Internet zu kommen. Ich meine damit eine Vielzahl an Techniken und Technologien, beispielsweise spezielle Zeigegeräte oder etwas ähnliches wie Mäuse, mit denen man, auch ohne die Arme zu benutzen, Computer steuern kann. All diese Dinge scheinen mir wichtig. Die Stiftung „barrierefrei kommunizieren“ hat hierzu eine Datenbank unter www.barrierefrei-kommunizieren.de errichtet und aktualisiert diese regelmäßig. Dort kann man sich ansehen, welche Möglichkeiten es gibt. Diese müssen nur genutzt werden und es sollte darauf geachtet werden, dass Menschen mit Behinderungen es sich finanziell auch leisten können, derartige Geräte zu beschaffen und sie zu unterhalten. Leider haben Krankenkassen und andere Kostenträger unter Umständen ein großes Problem damit, die Abgrenzung zwischen beruflichem Hintergrund, was oftmals auch eine Voraussetzung ist, und der Nutzung in der Freizeit vorzunehmen. Ich denke, hier gibt es politischen Nachbesserungsbedarf. Das gilt nicht nur für den IT-Bereich und in Bezug auf das Internet. Wenn man sich mit aktuellen Chancen und Problemen der Barrierefreiheit im Internet beschäftigt, muss man das an dieser Stelle auch noch einmal erwähnen.

Insgesamt denke ich, dass die technischen Möglichkeiten gerade auch was die Frage von mobiler Internetnutzung betrifft, heute so weit fortgeschritten sind, dass eine Vielzahl von behinderungskompensierten Techniken, Hard- und Softwarelösungen schon von Natur aus mit vielen Geräten gegeben sind. Wichtig ist aber, dass man sie bekanntmacht, nicht nur für Menschen mit Behinderungen, sondern auch anderen Menschen und den Arbeitgebern vor allem. Denn es sind manchmal ganz banale Dinge, wenn es um Chancen am Arbeitsplatz geht, einen Schreibtisch austauschen zu müssen, weil es einen anderen Lichteinfall gibt und viele andere Dinge mehr. Aber es muss tatsächlich darüber geredet werden, denn dann können wir die Chancen, die das Internet bietet, auch nutzen. Vielen Dank.

Der Vorsitzende: Vielen Dank, Herr Hänsgen. Wir fahren fort mit Herrn Kruse. Bitte schön.

Klemens Kruse (Geschäftsführer Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit, Berlin): Sehr geehrter Herr Blumenthal, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete. Auch ich bedanke mich ganz herzlich für die Möglichkeit, hier Stellung zu nehmen. Ich kann mich in wesentlichen Dingen den Ausführungen meines Vorredners anschließen. Der barrierefreien Gestaltung des Internets kommt für eine gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am öffentlichen Leben eine herausragende Stellung zu. Das liegt zum einen natürlich an der zunehmenden Bedeutung des Internets für die Gesellschaft insgesamt, aber das liegt eben auch daran, dass das Internet im großen Maße dazu beitragen kann, die Benachteiligung behinderter Menschen abzubauen.

Informationen können in barrierefrei zugänglichen Formaten bereitgestellt werden. Das betrifft die barrierefreie Programmierung der Seiten, aber das gilt zum Beispiel auch für das Zurverfügungstellen von Gebärdensprachvideos und Informationen in leichter Sprache. Das Internet blendet im Übrigen zunächst die Behinderung in der Kommunikation aus, diese wird nicht sichtbar und man kann sich auf diese Art und Weise vorurteilsfrei und diskriminierungsfrei miteinander austauschen. Schließlich, das war ja auch die letzte Frage in Ihrem Fragenkatalog, können über das Internet und begleitende Technologien, Informationen über die Barrierefreiheit von Einrichtungen zielgenau zur Verfügung gestellt werden, was für die selbstbestimmte Mobilität von Menschen mit Behinderungen von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Im Großen und Ganzen liegt darin ein großes Potential und geht es darum, etwas daraus zu machen und die Angebote zu nutzen.

Die Barrierefreie Informationstechnikverordnung 2.0 (BITV 2.0), die jetzt kurz davor steht, verabschiedet zu werden, ist auf dem Weg zu einem barrierefreien Internet ein wichtiger Meilenstein. Die Anstrengungen müssen dahin gehen, dass wir diese Festlegung einheitlich in die einzelnen Bundesländer bekommen und auch öffentliche Unternehmen dazu bewegen, die Standards anzuwenden. Aber nicht nur, auch das ist schon angeklungen in der Vorrede, der öffentlich organisierte Lebensbereich ist für die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen enorm wichtig, sondern darüber hinaus auch der privatwirtschaftlich organisierte Bereich. Ich möchte nur ein Beispiel nennen: Der Onlinehandel bietet für die Teilhabe zwar erhebliche Möglichkeiten, aber leider sind gerade hier noch erhebliche Defizite festzustellen. Ich würde an diesem Punkt die größten Anforderungen in Bezug auf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonventionen sehen und kurz die entsprechende Anforderung zitieren: Es heißt dort: „Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass private Rechtsträger die Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit offenstehen oder für sie bereit gestellt werden, alle Aspekte der Zugänglichkeit, und dazu gehört natürlich auch das Internet, für Menschen mit Behinderungen berücksichtigen“.

Ich möchte bezweifeln, ob das, was wir bislang in diesem Bereich an Instrumentarium haben, ausreicht, diesem Auftrag gerecht zu werden.

Letzter Punkt. Die europäische Vereinheitlichung von Normierungen, wie sie etwa über das Mandat 376 der EU-Kommission an die europäischen Normierungsinstitutionen für das öffentliche Beschaffungswesen erfolgen kann, ist begrüßenswert. Wir müssen dabei aber darauf achten, dass wir nicht hinter die Standards, die wir jetzt auch mit der BITV 2.0 erreicht haben, zurückfallen. Und es wäre wünschenswert, wenn sich die Bundesrepublik Deutschland in diesen Normierungsprozess einschalten würde und dabei auch die Beteiligung der anerkannten Behindertenverbände gewährleisten würde. Vielen Dank.

Der Vorsitzende: Vielen Dank, Herr Kruse. Wir fahren dann fort mit Herrn Rasmussen. Bitte schön.

Niels Rasmussen (Vorsitzender der ARD-Projektgruppe „Barrierefreier Rundfunkzugang“, NDR, Hamburg): Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren. Sie haben gefragt, welche Potentiale das Internet für Menschen mit Behinderung bietet. Grundsätzlich: Es ist ein nichtlineares Medium, d.h., der Rezeptionszeitpunkt und auch die Geschwindigkeit können selbst gewählt werden. Und es ist vom eigenen Computer – der mit assistiven Technologien ausgestattet werden kann – mit seiner Vielzahl an Informationen erreichbar. Das unterscheidet es grundlegend von anderen Medien. Das Internet kann es für Menschen vereinfachen, an Informationen zu gelangen, beispielsweise von Behörden, aber auch, sich an der gesellschaftlichen Kommunikation zu beteiligen. Insofern sehe ich ein sehr großes Potential.

Nachbesserungsbedarf sehe ich einerseits auf der Seite der Anbieter. Es gibt heute zwar eine Menge technische Möglichkeiten, Online-Angebote weitgehend barrierefrei zu gestalten, diese werden aber häufig nicht sehr gut eingesetzt. Das heißt, nicht alle Seiten sind im Hinblick auf die Nutzung von assistiven Technologien optimiert.

Ein zweites Problem erleben wir auf der Clientseite. Ein Technologiewechsel erfolgt im Internet oftmals sehr zügig, eine neue Browserversion setzt sich unter Umständen innerhalb weniger Wochen oder Monate im Internet durch. Bei den Betroffenen ist allerdings die Software häufig sehr viel länger im Einsatz, weil Updates teuer und aufwendig sind. Insofern laufen da Prozesse auseinander, und das, was wir an Barrierefreiheit erreichen könnten, wird im Alltag noch nicht immer erreicht.

Zweiter Punkt: Sie hatten um eine Bewertung von BITV 2.0 gebeten. Aus meiner Sicht setzt die BITV 2.0 sehr viele richtige und wichtige Schwerpunkte. Sie stellt allerdings auf sehr statische Angebote von Institutionen und Behörden ab. Wenn es darum gehen soll, den Geltungsbereich auf andere Angebote auszuweiten, dann werden Anbieter, deren Angebote sich regelmäßig wandeln, rein strukturell gesehen in Schwierigkeiten kommen. Das können entweder Medienanbieter mit aktueller Berichterstattung sein, es können aber auch Plattformen mit Nutzerinhalten sein, bei denen der Anbieter in Bezug auf den Content selbst gar nicht die Möglichkeit hat, ihn barrierefrei einzustellen. Am Beispiel der ARD festgemacht bedeutet dies, dass wir nach der BITV 2.0 zu jedem Beitrag der Tagesschau sowohl eine Textfassung als auch eine Audiodeskription und eine Untertitelung anbieten müssten. Die Untertitelung würden wir schaffen, mit den anderen Angeboten hätten wir aber große Probleme. Dies nur, um Ihnen mögliche Schwierigkeiten deutlich zu machen: Für so manche Redaktion, insbesondere im aktuellen Bereich ist dies nicht einfach zu realisieren. Wir werden die BITV 2.0 auf jeden Fall prüfen und weitgehend umsetzen, das haben wir bereits bei der BITV 1.0 so gemacht.

Sie haben ferner danach gefragt, wie sich das Angebot im Internet im Hinblick auf Barrierefreiheit insgesamt entwickelt hat. Meiner Auffassung nach positiv, aber nicht primär aus Gründen der Barrierefreiheit. Die allgemeine technische Entwicklung hat vieles einfacher gemacht. Beispielsweise erfolgt bei Internetseiten heute eine Trennung von Layout und Inhalt. Damit verbesserte man die Möglichkeiten zum Einsatz assistiver Technologien. Das hat aber in der Regel wenig mit guten Vorsätzen zur Barrierefreiheit zu tun. Auch haben Usability-Überlegungen unter anderem im Hinblick auf die steigende Zahl an älteren Nutzern zu positiven Effekten geführt.

Der letzte Punkt, auf den ich noch eingehen möchte, ist die Frage, ob eine Anpassung der Mediengesetze in den Ländern notwendig ist, um die Barrierefreiheit stärker zu verankern. Für die ARD, das ZDF, die öffentlich-rechtlichen und Anbieter von bundesweit verbreiteten Rundfunkprogrammen ist das meines Erachtens bereits geregelt. Im Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist unter § 3 Abs. 2 eine entsprechende Regelung enthalten. Die ARD kommt dieser Vorgabe seit 2004 im Rahmen ihrer technischen und finanziellen Möglichkeiten nach. Uns ist das Thema extrem wichtig: Die ARD hat in der vergangenen Woche bekanntgegeben, dass sie ab 2013 das Erste Deutsche Fernsehen weitgehend mit Untertiteln anbieten werden und auch im Bereich der Audiodeskription das Angebot ausdehnen wird. Warum sage ich das hier? Ich erwähne es, weil dieser Schritt dazu führen wird, dass diese Audio- und Videobeiträge, wenn wir sie in den Mediatheken bereitstellen, ebenfalls untertitelt bzw. audiodeskribiert angeboten und damit leichter zugänglich werden. Aus unserer Sicht ist – auch im Hinblick auf die Programmautonomie – kein weiterer Regelungsbedarf gegeben. Die ARD ist dabei, die Barrierefreiheit konsequent voranzutreiben. Vielen Dank.

Der Vorsitzende: Vielen Dank, Herr Rasmussen, und wir fahren fort mit Herrn Wegge.

Klaus-Peter Wegge (Leiter Accessibility Competence Center, Siemens AG, Paderborn): Guten Tag meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Vorsitzender, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Klaus-Peter Wegge ist mein Name. Ich bedanke mich für die Einladung und möchte gerne ein ganz klein wenig die Vorstellung meiner Person ergänzen. Ich arbeite für das Unternehmen Siemens und leite dort das sogenannte Accessibility Competence Center. Darüber hinaus stehe ich dem Ausschuss Barrierefreiheit der BITKOM vor und bin beim Deutschen Institut für Normung, DIN, im Grundlagenausschuss für Barrierefreiheit Vorsitzender. Gestatten Sie, dass ich ein bisschen über den Tellerrand gucke.

Sie waren sicherlich dieses Jahr auf der IFA oder haben zumindest die Berichte gesehen. Da konnte man die eindeutige Tendenz feststellen, dass die verschiedenen Technologien getrieben durch verschiedene Entwicklungen, sei es das Stichwort Ambient Assisted Living oder Energieverwaltungsersparnis, alles wird smart und alles ist Internet, zusammenwachsen. Wir haben Internet über das TV-Gerät, steuern die Waschmaschine mit dem Internet und all das ist leider nicht barrierefrei. Warum ist das so? Das Internet wird plötzlich degradiert und missbraucht, um andere Dinge draufzusetzen. Es kommen andere Technologien zum Tragen, die durch Webcontentaccessibility Guidelines in dieser Form nicht abgedeckt sind. Das heißt, man bekommt teilweise falsche Ergebnisse und eine verzögerte Entwicklung in Deutschland, wie die BITV 2.0, die drei Jahre zu spät kommt, und aus meiner Sicht eigentlich überflüssig ist. Viele andere Staaten, wie z. B. Österreich, Italien, übernehmen direkt die international abgestimmten Webcontentaccessibility Guidelines in ihre Gesetzgebung und haben damit ein relativ einheitliches Verhalten in ihren Ländern. Es gibt allerdings auch andere Länder, wie zum Beispiel Spanien, Schweden oder Irland, die, ähnlich wie Deutschland, eigene Dinge erfinden. Ist das sinnvoll? Ich meine nein, denn es erhöht die Kosten und es ist aus Sicht des Nutzers eigentlich nicht zu verstehen, warum unter Barrierefreiheit in den einzelnen Ländern etwas unterschiedliches verstanden wird.

Es gibt weitere Entwicklungen, wie beispielsweise mit dem neuen Telekommunikationsgesetz. Hier hatte der Branchenverband BITKOM angeregt, das Thema Barrierefreiheit mit aufzunehmen. Dieser Wunsch ist leider ignoriert worden und man findet keine entsprechenden Passagen. Ähnlich ist das leider auch bei dem neuen elektronischen Personalausweis, wo das Thema Barrierefreiheit gegen den Aspekt der Sicherheit vom Tisch gefallen ist. In Bezug auf Europa gibt es das Mandat 376, das bei der öffentlichen Beschaffung nach amerikanischem Vorbild die Barrierefreiheit als verpflichtendes Vergabekriterium vorsieht. Ich arbeite in einer der Arbeitsgruppen mit und konnte mit Freude feststellen, dass es hier plötzlich einen europäischen harmonisierten Ansatz gibt, über den ich auf Wunsch im Detail gerne berichte. Im Rahmen der Beschaffungsrichtlinien Europas wird das Ausstrahlung auf uns haben und wahrscheinlich die BITV 2.0 binnen zwei Jahren überflüssig machen.

Wo stehen wir bezüglich der mobilen Anwendung? Mit der Miniaturisierung der Geräte schafft man theoretisch neue Barrieren. Andererseits sind die Anwendungen für die mobilen Endgeräte besser strukturiert. Ich benutze zum Beispiel auf meinem heimischen Computer häufig die Mobilseiten, also Apps, weil sie einfacher, übersichtlicher und übrigens auch schneller sind. Es gibt in diesem mobilen Umfeld sehr viele erfreuliche Entwicklungen, aber auch sehr viele unerfreuliche Entwicklungen und es ist momentan nicht vorauszusehen, wohin die Entwicklung am Ende wirklich geht.

Im Bereich der Forschung fehlen bei uns in Deutschland einige Ansätze. Man könnte sich z. B. vorstellen, wie es in anderen Ländern der Fall ist, dass man eine automatische Generierung von Gebärdensprache in die Forschung aufnimmt. In einigen Ländern ist das in der Zwischenzeit, natürlich hochgradig abhängig von der Sprache, schon gelungen. Es gilt zu bedenken, dass wir auch bei der synthetischen Sprachausgabe einmal mit nicht besonders akzeptablen Lösungen angefangen haben.

Im Umfeld der EU-Kommission gibt es eine Reihe von Forschungsprojekten, die sich mit der Anwendung des Internets, zum Beispiel zur Unterstützung der Mobilität behinderter Menschen, beschäftigen. Hier mangelt es an einer Beteiligung Deutschlands. Auf der anderen Seite gibt es einige Forschungsprojekte im deutschen Umfeld, bei denen ich teilweise auch in Beiräten engagiert bin, wo mir schlicht und ergreifend die Vernetzung mit den internationalen Stakeholdern, also den Wissensträgern, fehlt. Wir forschen hier so vor uns hin, ohne das zu erwähnen geschweige denn zu veröffentlichen. Gestatten Sie mir abschließend noch ein Statement. Es kann nicht sein, dass bei uns Studenten die Universität verlassen und nicht einmal das Wort Barrierefreiheit buchstabieren können. Danke.

Der Vorsitzende: Vielen Dank, Herr Wegge. Das waren klare Aussagen. Ich danke zunächst einmal im Moment für die Einleitungen und würde jetzt das Wort an Herrn Hüppe geben. Danach kommen wir direkt zur Aussprache mit den Abgeordneten der Fraktionen. Bitte schön, Herr Hüppe.

Hubert Hüppe (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen): Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Abtgeordnete und Sachverständige, meine Damen und Herren. Erst einmal herzlichen Dank für die Einladung und herzlichen Dank, dass heute diese Anhörung stattfindet und man die Sachverständigen fragt. Einige politische Forderungen sind bereits angeführt und auf eine sogenannte inklusive Gesellschaft und die daraus folgende Teilhabe für Menschen mit Behinderung verwiesen worden. Diese ist natürlich in vielfältiger Weise auch verbunden mit der Nutzung der neuen Medien und des Internets, den öffentlichen ebenso wie den privatrechtlichen Medien. Vieles von dem, was ich sagen wollte, ist schon gesagt worden. Ich denke, neben der BITV 2.0, von der wir uns vieles erhoffen, geht es grundsätzlich um gesellschaftliche und auch politische Teilhabe. Wie kann man beispielsweise, wenn man körperlich dazu kaum mehr in der Lage ist, zu irgendwelchen Veranstaltungen über das Thema Inklusion gehen, um sich an der Diskussion zu beteiligen? Kann man über das Internet oder andere Dinge die Möglichkeit nutzen und sich dann doch beteiligen? Inklusive Gesellschaft bedeutet, dass auch Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf eine solche Chance haben müssen.

Was mir bislang noch ein bisschen zu kurz gekommen ist, ist die sogenannte einfache Sprache. Auch die gehört zur politischen Teilhabe. Ich habe immer die Forderung erhoben, dass wenigstens eine Sendung pro Tag in einfacher Sprache stattfinden sollte, am besten eine Nachrichtensendung, denn ich glaube, dass eine Vielzahl von Menschen die Fachsprache in den Nachrichten nicht versteht. Mich beeindruckte ein Beispiel, das auch wieder zeigte, dass es nicht nur für Menschen mit Behinderung nützlich sein kann, wenn eine einfache Sprache gesprochen wird. Es handelte sich um den Evangelischen Kirchentag. Dort gab es einen Gottesdienst in einfacher Sprache, an dem nahezu 12.000 Menschen teilnahmen, die man längst nicht als geistig behindert oder lernbehindert anzusehen hatte, sondern denen wahrscheinlich die Komplexität der Sprache nicht so geläufig war und sie sie deshalb nicht verstanden. Ich glaube, auch im politischen Bereich gibt es die eine oder andere Möglichkeit einer verbesserten Teilhabe.

Gestatten Sie, dass ich es an dieser Stelle auch noch einmal sage, Herr Hänsgen hat darüber gesprochen, inwieweit kann ich Produkte einkaufen, Herr Wegge auch. Es gibt inzwischen viele Menschen, das ist meine Lebenswirklichkeit, die nicht mehr mit der Bahn fahren, nicht, weil sie nicht auf den Bahnsteig gelangt oder nicht in den Zug einsteigen können, weil sie im Rollstuhl sitzen, nein, sondern weil sie nicht mehr wissen, wie sie an eine Fahrkarte gelangen sollen. Ich denke, es wird auch unsere Aufgabe sein, eine Lösung zu finden, wie wir die Menüführung so vereinfachen, dass mehr Leute sie nutzen können. Wie können wir Automaten vereinfachen und ebenso die Sprache vereinfachen. Mir wäre wichtig, die verschiedenen Aspekte der Barrierefreiheit zu betrachten. Es gibt Menschen, die blind sind, eine Sehbehinderung haben oder gehörlos sind. Immer wieder hört man dann in der Öffentlichkeit, wieso es Gebärdenvideos gebe muss, wo diese Menschen doch lesen könnten. Es ist so, dass das stattfindet. Als ich so etwas einmal auf meiner Internetseite hatte, nämlich einen Film ohne Ton als Gebärdenvideo, war ich als dämlich hingestellt worden, weil man nicht erkannt hatte, dass es eine behindertengerechte Darstellung war. Ich denke, auch hier gilt es, Aufklärungsarbeit zu leisten. Wichtig wäre für mich, dass eben auch die politischen Konsequenzen gezogen werden, die das Bewusstsein verändern. Konkrete politische Forderungen, die habe ich am meisten bei Herrn Wegge herausgehört. Ich fand das schon eine ganz wichtige Frage, inwieweit wir das Rad neu erfinden müssen, wenn weltweit bereits Standards vorhanden sind. Wenn man diese überall einführen würde, könnte man die Mittel sicherlich in dem einen oder anderen Bereich besser verwenden. Das dazu erst einmal. Vielen Dank.

Der Vorsitzende: Vielen Dank, Herr Hüppe. Wir kommen dann zur Aussprache und den Fragen. Zunächst hat das Wort die CDU/CSU-Fraktion, und zwar Herr Kollege Brandl, bitteschön.

Abg. Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Sehr geehrte Sachverständige, vielen Dank für Ihr Kommen auch von Seiten der CDU/CSU-Fraktion. Meine ersten beiden Fragen sind zwei kurze Fragen. Erstens vielleicht an Herrn Hänsgen, bzw. an Herrn Kruse. Wir haben nur allgemein über Behinderungen gesprochen. Ich würde Sie darum bitten, das noch etwas differenzierter auszuführen. Mich interessiert, für welche Menschen mit Behinderungen das Internet die größten Chancen bietet, wo die geringsten Möglichkeiten zu sehen sind und wo Sie Bedarf sehen, nachzusteuern, weil die Nachsteuerungen je nach Art der Behinderung wohl sehr unterschiedlich sind.

Meine zweite Frage geht an Herrn Wegge. Sie haben gerade den internationalen Kontext erwähnt und die internationale Regulierung. Mich würde noch interessieren, wie da eigentlich das Angebot zu sehen ist im internationalen Vergleich. Wenn man beispielsweise englische oder amerikanische Websites näher betrachtet, sind diese barrierefreier und gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen den Ländern, die dann auch auf Regulierung usw. zurückzuführen sind. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das Angebot, das Ihnen über das Internet zur Verfügung steht, noch einmal etwas genauer differenzieren würden. Herzlichen Dank.

Der Vorsitzende: Wir fahren fort mit der Fraktion der SPD. Für die SPD Herr Klingbeil, bitte.

Abg. Lars Klingbeil (SPD): Auch von unserer Seite herzlichen Dank für Ihr Kommen und den Input, den Sie gegeben haben. Zwei Fragen von mir an Herrn Kruse und Herrn Hänsgen. Das eine: Ich will auch noch einmal auf die unterschiedlichen Arten von Barriere eingehen, wenn sie dazu noch einmal ein paar Hinweise geben könnten. Es gibt ja unterschiedliche Arten von Barrieren, Sehen, Hören und wir haben ja gerade gehört, dass eine einfache Sprache gewünscht wird. Diesbezüglich hätte ich noch einmal die Frage, ob es für die unterschiedlichen Arten an Barrieren ausreichende technische Hilfsmittel im Internet gibt und diese für die Hersteller und Nutzer zugänglich und bezahlbar sind. Das zweite ist die Auffindbarkeit von barrierefreien Angeboten. Wenn Sie dazu noch einmal etwas sagen könnten, auch was Suchmaschinen angeht, was Sie da als Probleme bzw. Herausforderungen sehen. Vielen Dank.

Der Vorsitzende: Es schließt sich an die Fraktion der FDP. Frau Kollegin Molitor, bitte.

Abg. Gabriele Molitor (FDP): Vielen Dank. Meine Frage richtet sich an Herrn Rasmussen, und zwar mit Blick auf das, was jetzt im Zuge der Reform der Rundfunkgebühren ins Haus steht. Also die Grenzen zwischen Internet und Rundfunk beispielsweise verschwinden ja zunehmend. Und auf Menschen mit Behinderungen wird ja dann demnächst auch eine Rundfunkgebühr zukommen und insofern interessiert mich, welche Konsequenzen das für Sie auch mit sich bringt, inwiefern Sie sich darauf einstellen und dann natürlich im Hinblick auf Ihr Programm sowohl im Internet, als auch im Rundfunk barrierefreie Angebote zu unterbreiten. Ich weiß von Menschen mit Behinderungen, dass sie ein großes Bedürfnis haben, auch durch Informationssendungen unterstützt zu werden und dass hier noch erheblicher Nachholbedarf besteht, sowohl was das Gebärdensprachdolmetschen anbelangt, als auch andere barrierefreie Möglichkeiten. Deswegen würde mich interessieren, wie sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf diese Problematik vorbereiten.

Der Vorsitzende: Für die Fraktion DIE LINKE. Frau Kollegin Stüber, bitte.

Abg. Sabine Stüber (DIE LINKE.): Danke auch meinerseits. Danke noch einmal für Ihre Einführungen. Ich denke, Sie haben uns allen noch einmal klar gemacht, wo wir heute stehen. Ich hätte Fragen an Herrn Hänsgen. Herr Rasmussen hat ja gesagt, dass die BITV 2.0 stark auf statische Angebote ausgerichtet ist. Sehen Sie die Notwendigkeit, etwas zu verbessern, gerade auch mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention? Und eine zweite Frage: Wir haben ja eine Vielzahl an Angeboten. Sie haben auch gesagt, dass behinderte Menschen gerne im Internet einkaufen und dort handeln. Haben Sie eine Verbesserung der Websites der betreffenden Plattformen feststellen können? Danke.

Der Vorsitzende: Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Kollegin Rößner, bitte.

Abg. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, auch von Seiten meiner Fraktion herzlichen Dank für Ihr Kommen und für Ihre Einschätzungen und die Vorabberichte. Ich habe zwei Fragen, eine an Herrn Hänsgen und eine an Herrn Hüppe. Die erste Frage bezieht sich auf das, was Sie sagten, Herr Hänsgen, dass es jenseits des Web 2.0 noch großen Handlungsbedarf gibt. Und es wurde auch darauf hingewiesen, dass es andere Länder gibt, bei denen das besser aussieht. Da stellt sich für uns natürlich die Frage, was die anders und besser machen. Es interessiert uns, welchen Handlungsbedarf Sie ggf. sehen und wie Sie die Umsetzung von Barrierefreiheit als Kriterium z.B. bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand einstufen. Welche Verbesserungen da möglicherweise hilfreich wären, ist von Interesse. Meine zweite Frage geht an Herrn Hüppe. Es gibt übrigens eine Nachrichtensendung in einfacher Sprache, nur, die wird im Kinderkanal gesendet und nicht im Vollprogramm, was wir immer bedauert haben, denn ich habe da früher ja dran gearbeitet. aber darauf wollte ich gar nicht eingehen. Ich wollte Sie nach dem Sachstand der BITV 2.0 fragen. Es gibt da dem Vernehmen nach eine Arbeitsgruppe, aber Herr Wegge hat ja eben darauf hingewiesen, dass die BITV 2.0 möglicherweise schon veraltet ist, so sie denn in Kraft tritt eines Tages. Wie ist da genau der Sachstand, können Sie uns dazu etwas Aktuelles sagen?

Der Vorsitzende: Wir schließen damit die erste Fragerunde ab. Ich schlage vor, dass wir wieder im bewährten Format alphabetisch die Sachverständigen und anschließend Herrn Hüppe aufrufen. An jeden von Ihnen sind ja Fragen gerichtet worden. Wir beginnen dann mit Herrn Hänsgen.

Thomas Hänsgen (Stiftungsratsvorsitzender „barrierefrei kommunizieren!“, Berlin): Sehr geehrter Herr Dr. Brandl. Zu Ihrer Frage, sinngemäß für welche Arten von Behinderungen das Internet die größten Chancen bietet, würde ich gerne wie folgt antworten. Wir haben als Vision die inklusive Gesellschaft und inklusiv bedeutet, dass wir die Gesellschaft so verändern, dass sie für alle Menschen, ganz gleich welche Voraussetzungen, welche Potentiale, welche Herausforderungen sie bieten, die gleichen Chancen haben. Und ich denke, es muss im politischen Raum darum gehen, dass wir die Situation so verändern, dass wir die Frage gar nicht mehr stellen müssen, spezielle Anpassungen zu machen, sondern dass es uns gelingt, tatsächlich alles so zu organisieren, dass jeder in der Tat das für sich so bearbeiten kann, entsprechend den Voraussetzungen, die er hat. Das bedeutet natürlich, und jetzt komme ich zu Ihrer Frage, dass wir schauen müssen, dass wir die Barrieren abbauen. Ich will jetzt hier keinen abschließenden Katalog an Barrieren im Internet aufzählen, das steht mir auch gar nicht zu, weil die auch unterschiedlich wahrgenommen werden, aber ich möchte ein paar Schlagworte nennen: Beispielsweise ist es wichtig zu trennen zwischen Layout und Inhalt. Es ist wichtig, Bilder zu untertiteln, so dass sie von entsprechenden Screenreadern gelesen werden können. Es ist genauso wichtig, dass Überschriften als solche auch identifizierbar sind und insofern denke ich, geht es darum, dass dies bei der Programmierung von Anfang an berücksichtigt wird. Da kann man dann entsprechend auch Kosten sparen bzw. Mittel effizient einsetzen. Das ist ähnlich, wie wenn Sie ein Gebäude bauen und einen Fahrstuhl nachrüsten, das ist um ein Vielfaches teurer, als wenn Sie von vornherein Barrieren beim Bau weglassen. So ist es natürlich auch im Onlinebereich.

Das bedeutet, dass es heute eine Vielzahl von Hilfsmitteln gibt, die meistens entstehen, wenn Sie sich den Hard- und Softwarebereich anschauen, wenn sich jemand aus einer persönlichen Betroffenheit mit diesen Themen beschäftigen muss oder im Rahmen von Forschungsvorhaben im Rahmen von Promotionen oder im Rahmen von Studienabschlussarbeiten. Wichtig scheint mir, dass man diese tatsächlich publik macht. Es gibt eine Vielzahl von Projekten. Es gibt viele Behindertenverbände, die entsprechend der Klientel, die sie vertreten, Hilfsmittel auch publik machen. Wir haben versucht, mit der vorhin schon einmal erwähnten Datenbank, einen herstellerunabhängigen Überblick zu bieten. Es ist so, dass sich die ganze Technologie sehr schnelllebig entwickelt und wir immer hoffen, dass wir tatsächlich auf dem Laufenden sind und hinterherkommen.

Was die Bezahlbarkeit betrifft, ist es in der Tat sehr unterschiedlich. Es gibt Dinge, die sind auf der Basis von Open-source-Software programmiert, d. h. da kann jeder darauf zugreifen. Es gibt aber auch Dinge, die sind sehr teuer, weil es Einzelanfertigungen sind und dadurch ein hoher Anteil von Personalkosten entsteht. Ich denke, man muss in der Zukunft darüber nachdenken, wie so etwas auch finanziell in Richtung von Förderungen unterstützt werden kann. Hier hat man das von mir vorhin schon einmal erwähnte Problem, dass die meisten Unterstützungssysteme in der Tat an das Modell Arbeit gekoppelt sind, aber wenn Sie sich anschauen, dass heute eine Vielzahl von Jobs beispielsweise nur vergeben werden, wenn Sie sich online bewerben oder sich an einem Online-Bewerbungsverfahren beteiligen oder an einem Online-Ausbildungsverfahren, denke ich, ist die Politik gefordert, hier noch einmal nachzudenken, das System zu verändern. Schließlich geht es auch darum, wenn etwas in Bezug auf Arbeit gefördert wird, der Nachweis anzutreten ist, dass es dafür und nur dafür genutzt wird. Das wird in der Regel nicht immer möglich sein.

Was die Frage der BITV 2.0 betrifft, denke ich, ist hier ein größeres Hindernis darin zu sehen, dass sie immer noch nicht da ist, denn dann könnte man auch über inhaltliche Punkte diskutieren und sagen, was gut und was schlecht ist. Grundsätzlich bemängele ich an dieser BITV, dass sie sich ausschließlich an öffentliche Einrichtungen wendet, die Privaten etwas außen vor lässt und nach wie vor keine wirksamen Sanktionsmöglichkeiten aufweist, so dass die Frage ist, was man mit denjenigen macht, die sie konsequent ignorieren. Insofern nützt sie den Menschen mit Behinderung nicht wirklich. Also hier muss man drüber reden, wie man über die Sensibilisierung und das Überreden zum Guten hinaus noch etwas in der Gesellschaft bewirken kann.

Zur Frage der Internetauftritte kann ich sagen, dass es mehr geworden ist. Es ist tatsächlich auch ein Thema für größere Konzerne geworden, so dass ich glaube, dass wir noch lange nicht da sind, wo wir eigentlich sein müssten. Ich denke, ein großer Schlüssel ist hier tatsächlich die Sensibilisierung, aber auch das Aufzeigen von Vorzügen, denn es ist ja nicht so, dass barrierefreie Webseiten irgendwelche Nachteile bieten oder per se teurer sind, sondern geeignet sind, den Menschen die Vorzüge von Barrierefreiheit auch im Internet zu gewährleisten.

Auf die Frage der Sanktionen eingehend und den Aspekt, was man machen kann, wenn ein Unternehmen sehr renitent ist und sich eben nicht mit der Barrierefreiheit im Web beschäftigt, kann ich antworten, dass nicht alles gut ist, was aus Amerika kommt, jedoch teilweise Regelungen übernommen werden können. Ich denke dabei an diese Geschichte, dass ein Unternehmen von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen ist, wenn es bestimmte barrierefreie Kriterien nicht berücksichtigt. Ich denke, das wäre ein Weg, über den man nachdenken muss, denn nur so kann es gelingen, dass am Ende sich tatsächlich eine Menge bewegt, und das wäre eine Sache, die ich mir hier gut vorstellen könnte. Vielen Dank.

Der Vorsitzende: Als Nächster Herr Kruse, bitte. Da gab es Fragen von den Kollegen Dr. Brandl und Klingbeil.

Klemens Kruse (Geschäftsführer Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit, Berlin): Herr Dr. Brandl, Sie fragten danach, wer profitiert von einer barrierefreien Programmierung? Herr Hänsgen hat schon gesagt, wir haben die Vision der inklusiven Gesellschaft. Dennoch will ich versuchen, darauf einzugehen. Es sind natürlich blinde Menschen, denen ich die Inhalte so programmieren muss, dass sie sie aufrufen können. Das heißt, ich muss insbesondere alle Informationen per Tastendruck auch bekommen, um sie dann im Screenreader oder auch auf der Braillezeile zu haben. Es sind sehbehinderte Menschen, die sich Informationen vergrößern können. Es sind aber auch körperbehinderte Menschen. Gerade diese Tastaturbedienbarkeit kann für bestimmte Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit hilfreich sein, wenn ich sie dann nutzen kann. Es sind aber auch gehörlose Menschen. Herr Hüppe hat es vorhin noch einmal unterstrichen und deutlich gemacht, dass allein die schriftliche Information für gehörlose Menschen nicht immer zugänglich ist, denn deren eigentliche Muttersprache ist die deutsche Gebärdensprache, d. h. sie hantieren da mit einer Fremdsprache, die sie erst erlernen müssen, und wenn man sich überlegt, dass über das Internet eine große Breitenwirkung erzielt werden kann, ist das aus meiner Sicht ein enormes Potential gegenüber einzelnen Übersetzungen von Büchern oder dergleichen.

Es profitieren sicherlich auch lernbehinderte Menschen, wobei ich zugeben muss, dass ich gar nicht weiß, wie stark dieser Personenkreis das Internet nutzt. Wir haben in einem anderen Zusammenhang als Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit auf die Bedienbarkeit von Automaten für diesen Personenkreis abgestellt und dabei vor allen Dingen festgestellt, dass der Einstieg besonders schwierig ist. Ich erwähne das deshalb, weil die Aufbereitung, d. h. die Strukturierung, die Verständlichkeit einer Seite gerade für diesen Personenkreis besonders wichtig ist. Dann ist man auch wieder bei der Feststellung, dass Barrierefreiheit allen dient. Ich glaube, wir sind alle schon auf Webseiten gewesen, die wir gar nicht sofort erschließen konnten, d. h. eine möglichst strukturierte klare, verständlich geschriebene Seite hilft jedermann.

Die zweite Frage von Herrn Klingbeil betraf die unterschiedlichen Arten der Barrieren. Im Grunde kann man das reziprok sagen. Die Personenkreise, die davon besonders profitieren, weisen auf die Barrieren hin, die vorhanden sind. Was die Frage der Auffindbarkeit von barrierefreien Angeboten anlangt, muss ich ein bisschen passen. Ich würde denken, es läuft schlicht und ergreifend nach dem Prinzip try and error, d. h. ich probiere, ob ich diese Seite nutze oder nicht. Mir ist nicht bekannt, dass es spezielle Suchsysteme gibt, sich barrierefreie Angebote anzusehen.

Der Vorsitzende: Vielen Dank, Herr Kruse. An Herrn Rasmussen gab es eine Frage der Kollegin Molitor.

Niels Rasmussen (Vorsitzender der ARD-Projektgruppe „Barrierefreier Rundfunkzugang“, NDR, Hamburg): Sie hatten gefragt, inwieweit sich das geänderte Beitragsmodell auf unsere Überlegungen zur Barrierefreiheit auswirkt. Vielleicht einmal grundsätzlich vorab: Der Rundfunkbeitrag ist ein Beitrag zur Gesamtveranstaltung Rundfunk und nicht zweckgebunden für bestimmte Ziele. Wir haben das Thema unabhängig davon schon sehr lange auf der Agenda und bereits zur BITV 1.0 für unsere Onlineangebote Selbstverpflichtungserklärungen abgegeben, die sehr weitgehend waren. Überall da, wo wir dies mit vertretbarem finanziellen und technischen Aufwand erreichen konnten, haben wir unsere Angebote barrierefrei gemacht. In der Regel war es so, dass die nichtbarrierefreien Inhalte primär Übernahmen aus dem linearen Programm waren. Ein nichtuntertiteltes Video ist dann eben in der Mediathek auch nicht untertitelt. Aber wir haben uns trotzdem das Ziel gesetzt, online 90 Prozent an Barrierefreiheit zu schaffen. Wenn die BITV 2.0 kommt, werden wir sie prüfen, dazu haben wir uns auch schon verpflichtet und alles, was für uns als aktuelle Redaktion machbar ist, umsetzen. Ein anderer Punkt ist, wie barrierefrei unsere Angebote im Fernsehen und Hörfunk sind. Das wirkt sich dann ja online nachgelagert auch aus, wie ich eingangs schon beschrieben habe. Wir haben uns insbesondere im Fernsehen sehr viel vorgenommen: Es gibt sehr ambitionierte Pläne für die Zeit ab 2013, wir werden das Erste fast komplett untertiteln. Sowohl auf dem Bildschirm, was ja der Hauptaspekt ist, als auch nachgelagert in den Mediatheken. Es wird einzelne Fälle geben, wo dies organisatorisch schwierig ist. Aber das Ziel ist, dass wir das Erste weitgehend untertiteln. Auch die einzelnen Landesrundfunkanstalten haben sich Ziele gesetzt, bei der Untertitelung auch mehr anzubieten. Und wir werden die fiktionalen Formate am Hauptabend weitgehend mit einer Audiodeskription anbieten. Hinzu werden noch Natur- und Tierfilme kommen, das war den Verbänden ein besonderes Anliegen. Damit, so hoffen wir, können wir im Ersten den Hauptabend weitgehend audiodiskribiert anbieten. Ausnahmen sind dabei immer Gesprächsformate, die sich mit ihrem hohen Textanteil für Audiodeskription genauso wenig eignen, wie das meiner Ansicht nach bei aktuellen Berichten der Fall ist. Denn wenn ich wenig Lücken in einem Tagesschaubeitrag habe, dann habe ich auch wenig Möglichkeiten, sie zu audiodeskribieren. Aber da wo es möglich ist, gerade im Fiktionalen am Hauptabend, werden wir uns engagieren. Und für die Online-Angebote sind wir schon seit Jahren aktiv und werden uns auch weiterhin bemühen, die Barrierefreiheit konsequent umzusetzen.

Der Vorsitzende: Und wir fahren fort mit Herrn Wegge. Die Fragen kamen vom Kollegen Dr. Brandl und von Frau Rößner.

Klaus-Peter Wegge (Leiter Accessibility Competence Center, Siemens AG, Paderborn): Dankeschön für die Fragen. Ich will einmal versuchen einen ganz kurzen, vielleicht vereinfachten Abriss über die internationale Situation zu geben. Es gibt eine, von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie, die mir in der Vorabversion vorliegt, die noch nicht veröffentlicht ist, wo wir festgestellt haben, dass in Europa die Situation in den Ländern relativ ähnlich ist. Sie ist zweigeteilt. Die meisten Länder basieren schon auf der WCAG 2.0. Einige wenige basieren noch auf eigenständigen Versionen oder auf der Vorgängerversion WCAG 1.0.

Die Schätzung, die sich auch so ein bisschen mit meiner privaten Erfahrung decken, ist, dass ungefähr zehn Prozent wirklich als barrierefreie Seiten eingeschätzt werden können. Das gilt für den öffentlichen Bereich ebenso wie für die Wirtschaft. Beide Bereiche liegen relativ nah beieinander. Der Fehler, der häufig gemacht wird, ist, daraus den Umkehrschluss zu ziehen. 10 Prozent sind barrierefrei und 90 Prozent sind nicht zugänglich. Das ist so nicht richtig, sondern von diesen 90 Prozent ist ein hoher Prozentsatz auch zugänglich, nicht effizient zwar, aber aufgrund der neuen Technologien auch in Bezug auf Hilfsmittel durchaus hilfreich zu nutzen. Es dauert eben nur wesentlich länger.

Schauen wir ganz kurz über „den Teich“. Section 508 wurde kurz angesprochen. Das ist eine Situation, die sicherlich viel bewirkt hat. Für diejenigen, die vielleicht nicht vertraut damit sind. In den USA sagt man schon seit 2002, dass Barrierefreiheit ein Kriterium bei öffentlichen Ausschreibungen zu sein hat, mit einem etwas komplizierten Regelwerk, was fatalerweise nachher vor den Gerichten enden kann. Insofern ist mir schon etwas unwohl bei dem Gedanken, dass letztendlich Gerichte über das Thema Barrierefreiheit als Faktum entscheiden. Nichtsdestoweniger wird der Ansatz, von staatlicher Seite nur Dinge zu kaufen, per öffentlicher Ausschreibung, die barrierefrei sind, in Europa nunmehr implementiert und da erwarte ich einen wesentlichen Fortschritt, eine Harmonisierung, eine bessere Vergleichbarkeit, eine effizientere Umsetzung. Ich habe nicht gesagt, dass die BITV 2.0 veraltet ist, sie wird nur überreguliert durch den europäischen Ansatz und ich sehe keine großen Dinge, die wir vergeben, außer die beiden Aspekte.

Leichte und einfache Sprache, dieser Aspekt ist eigentlich nur in Deutschland sehr dominant zu sehen, in anderen Ländern im Grunde genommen eher nicht. Wobei in der mir vorliegenden Version der BITV 2.0 diese beiden Begriffe leichte und einfache Sprache verwechselt worden sind. In englischsprachigen Staaten ist das Thema „Dyslexia“ aufgeschlagen. Es gibt nämlich sehr viele Menschen, die einfach Probleme haben, Sprache, Gedachtes in Schrift umzusetzen und umgekehrt Schriftliches zu verstehen. Da scheint sich in der letzten Zeit einiges gewandelt zu haben. Das geht natürlich auch so ein bisschen in Richtung der „leichten Sprache“. Das sind so im wesentlichen verkürzt dargestellt die Entwicklungen in Europa. Vielleicht noch ein Kommentar: Herr Obama hat ausgerufen, dass die USA die Führerschaft im Bereich der assistive Technology, also der Hilfsmittel in den nächsten zwei Jahren erreichen wollen. Schön, dass wir von dieser Seite des Atlantiks belehrt werden.

Der Vorsitzende: Vielen Dank, Herr Wegge. Den Abschluss macht Herr Hüppe mit einer Sachstandsfrage, die von Frau Kollegin Rößner kam.

Hubert Hüppe (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen): Ja, Frau Abgeordnete Rößner, leider kann ich Ihnen das nicht genau beantworten, weil ich nicht Teil der Bundesregierung bin. Ich bin zwar Beauftragter, deswegen irritiert das immer, weil viele dann denken, der muss dann immer den Menschen mit Behinderung erklären, was die Bundesregierung alles Gutes tut. Das mache ich oftmals auch sehr gerne, aber in diesem Fall gehöre ich zu denen, die einfordern, dass es möglichst schnell geht. Insofern hoffe ich, dass es in der Kürze der Zeit möglich wird, diese Richtlinien zu bekommen. Auch deswegen, weil ich damit die Hoffnung verbinde, dass dann auch die Länder mitmachen, denn, wie gesagt, in der Tat ist die BITV 2.0 eigentlich nur für den Bund verbindlich, aber wichtig wäre, dass der gesamte öffentliche Bereich ihre Regelungen übernehmen würde, damit die Verordnung das entfalten kann, was wir wollen.

Ich achte im Übrigen auch darauf, wenn ich das an dieser Stelle noch bemerken darf, wir haben auch bei der Bundesregierung noch das eine oder andere nachzubessern. Die neuen Dinge kommen alle gut rüber, soweit ich das gehört habe. Jedenfalls wurde nicht viel Kritik laut. Im Hinblick auf barrierefreie Angebote im Internet, will ich darauf hinweisen, dass es immer noch alte Bestände im Netz gibt, wo eigentlich nachgesehen werden sollte, inwieweit sie den jetzigen Anforderungen entsprechen.

Allzu gerne hätte ich relativ schnell die neue Richtlinie. Man sollte aber auch dafür sorgen, dass man im Nachhinein flexibel sein kann, damit man nicht wieder Jahre warten muss, bis dann die BITV 3.0 kommt.

Der Vorsitzende: Wir können jetzt einsteigen in die zweite Fragerunde. Und beginnen mit der CDU/CSU Fraktion, Herr Dr. Brandl, bitte.

Abg. Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Vielen Dank für die Antworten. Ich habe noch eine Frage an Herrn Rasmussen. Und zwar interessiert mich, wie das Nutzungsfeedback auf Ihre Angebote hin aussieht. Besteht da ein enger Austausch auch mit den Kunden oder mit dem Rezipienten? Ihre Nutzer, melden die sich und inwieweit bauen Sie das auch mit in die Verbesserung der Angebote ein?

Meine zweite Frage geht wieder an die Herren Hänsgen bzw. Kruse, je nachdem wie sie es sich aufteilen. Und zwar, welche Bedeutung Ihrer Einschätzung nach das Thema Barrierefreiheit für die großen Anbieter von Software- und Hardwarelösungen hat. Also insbesondere, ich sage jetzt mal, Microsoft-Entwicklungen, zukünftige Microsoft-Windowsversionen im Vergleich vielleicht auch zu Linux. In Bezug auf Apple haben wir ja gehört und Ihren schriftlichen Stellungnahmen entnommen, dass es mit dem iPod und dem iPad einen Fortschritt zu verzeichnen gab. In anderen Bereichen, bei anderen Herstellern dagegen nicht. Ist das eher Zufall oder ist es Ihrer Einschätzung nach eine wirkliche Strategie, die manche Anbieter verfolgen und andere Anbieter eben nicht? Herzlichen Dank.

Der Vorsitzende: Für die SPD Fraktion Frau Zypries.

Abg. Brigitte Zypries (SPD): Herr Hänsgen, ich habe mal ein bisschen auf ihrer Seite geblättert und festgestellt, dass die Schrifttypengrößen, die Sie anbieten, wirklich sehr klein sein, so dass das für Menschen mit Behinderung, glaube ich, schwierig ist. Also für mich ist das große „A“ gerade so, dass ich es lesen kann mit Brille. Ich wollte aber noch einmal fragen, inwieweit diese Vernetzung stattfindet zu anderen Vereinen und Verbänden, die mit Behinderungen zu tun haben. Also Sie wissen, ich bin Vorsitzende vom Kuratorium des Deutschen Behindertensportverbandes. Es gibt beispielsweise inzwischen auch Radios, die im Internet senden und die von Sportveranstaltungen berichten. Inwieweit gibt es von da Verbindungen zu solchen Seiten wie Ihren und vernetzt man sich? Weisen Sie auf Radio4Handicaps hin und teilen mit, dass dies über Sie zu empfangen ist und Ähnliches mehr? Das fände ich nämlich ganz gut, weil es sich nicht von alleine erschließt, wenn man auf die Seite geht.

Der Vorsitzende: Für die Fraktion der FDP der Kollege Jimmy Schulz.

Abg. Jimmy Schulz (FDP): Ich habe ein Frage. Also ganz wichtig scheint mir bei dieser ganzen Thematik zu sein, dass wir uns von dieser Schnittstelle Mensch-Maschine etwas lösen bzw. von der klassischen Schnittstelle Tastatur-Maus-Monitor hin zu anderen Schnittstellen, die kompatibler sind. Ich weiß gar nicht an wen ich genau die Frage stellen soll. Vielleicht an Herrn Hänsgen und/oder Herrn Kruse, inwieweit spielt denn da zum Beispiel die Technologie VoiceXML eine Rolle? Ist das etwas, was heute schon Anwendung findet? Ist das eine der möglichen Lösungsszenarien, die Sie sich vorstellen können?

Der Vorsitzende: Für die Fraktion DIE LINKE. Frau Stüber.

Abg. Sabine Stüber (DIE LINKE.): Danke, ich habe eine Frage an Herrn Hänsgen und eine an Herrn Wegge. Zunächst an Herrn Hänsgen. Wie bewerten Sie den Stand der Aufbereitung von Dokumenten durch öffentliche Stellen hinsichtlich der Barrierefreiheit? Können Sie neuere Verfahren oder offene Dateiformate empfehlen, mit denn das aufwendige Nacharbeiten per Hand leichter oder kostengünstiger zu realisieren ist, damit eine leichtere Teilhabe von Menschen mit Behinderung an der politischen Meinungsbildung möglich ist?

Und an Herrn Wegge: Welche Möglichkeiten und Probleme bieten die neusten mobilen Zugangsgeräte zum Internet für die Verbesserung der Barrierefreiheit? Wie barrierefrei sind Multitouch-Technologien und spezielle Apps, wie sie bei den neueren Smartphones und Tablets zum Zuge kommen. Danke.

Der Vorsitzende: Und dann noch Frau Rößner für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Abg. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine erste Frage richtet sich auch an Herrn Hänsgen, und zwar betrifft sie Förderprogramme. Die rot-grüne Bundesregierung hat seinerzeit einige Förderprogramme aufgelegt. Wie beurteilen Sie die Maßnahmen der jetzigen Bundesregierung und wie steht es um auslaufende Projektmitteln? Wie schaffen wir da eine Nachhaltigkeit in der Förderung? Das ist die erste Frage und bei der zweiten Frage weiß ich nicht, wer mir da besser Auskunft geben kann, Herr Wegge oder Herr Hüppe. Da geht es um den IT-Planungsrat der Bundesregierung. Welche Rolle spielt da die Barrierefreiheit Ihrer Erfahrung nach gerade auch im Hinblick auf die Koordination zwischen dem Bund und den Ländern. Die wurde ja gerade angesprochen von Herrn Hüppe. Ich weiß nicht, wer von Ihnen beiden diesbezüglich besser antworten kann. Danke.

Der Vorsitzende: Wir kommen zur Beantwortung der Fragen und beginnen mit Herrn Hänsgen.

Thomas Hänsgen (Stiftungsratsvorsitzender „barrierefrei kommunizieren!“, Berlin): Vielen Dank. Also zunächst zu der Bedeutung der Barrierefreiheit für große Unternehmen, insbesondere IT-Unternehmen. Es ist tatsächlich so, dass Sie große Schlachtschiffe genannt haben, die alle aus den Vereinigten Staaten kommen: Microsoft, Apple und andere. Es ist tatsächlich festzustellen, dass die barrierefreien Angebote, die Möglichkeiten, sich auf Barrierefreiheit einzustellen, von Seiten der großen Anbieter immer mehr zugenommen haben, in den letzten Jahren. Wir haben, gerade bei Windows von Microsoft Features, die dann entsprechend eingestellt werden können. Was wir immer mal wieder beobachten ist tatsächlich, dass es einen Unterscheid gibt zwischen dem, was in Amerika angeboten wird und was dann bis nach Deutschland herüber schwappt. Insofern würden wir uns tatsächlich wünschen, dass manchmal noch mehr gute Beispiele aus Amerika hierher kommen.

Dann, Frau Zypries, war die Frage nach der Schriftgrößenverstellung. Das mag am iPad liegen. Wir werden gerne versuchen, das zu optimieren. Tatsächlich funktioniert es bei Microsoft oftmals ein bisschen anders. Wir haben aber an die Schriftvergrößerung gedacht. Ich nehme das als Kritik gerne mit. Das finde ich auch völlig richtig, denn tatsächlich haben wir nicht jede Seite mit den unterschiedlichen Systemen abgeglichen, das tun wir aber gerne noch einmal.

Was die Vernetzung betrifft, die findet unsererseits schon statt. Wir promoten das immer mal wieder. Die Idee ist seinerzeit entstanden zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen 2003 und da haben wir auch die Möglichkeit gehabt, eine Broschüre herauszugeben. Wir haben die auch immer breit verteilt. So eine Broschüre ist natürlich in dem Moment, in dem sie herauskommt, leider bereits wieder veraltet in so einem Technologiebereich. Es ist auch nicht möglich, das rein über die Privatwirtschaft zu finanzieren, weil man sich dann von irgendwelchen Herstellern abhängig macht. es gibt grundsätzlich eine Vielzahl von Unternehmen, die bereit wären, dafür eine Menge Geld zu geben. Das haben wir bisher immer abgelehnt, weil wir gesagt haben, wir wollen wirklich herstellerunabhängig beraten und nicht denjenigen, der das meiste Geld gibt, nach vorne nehmen. Das korrespondiert so ein bisschen mit der Frage nach den Fördermitteln. Es ist richtig. Es gab eine Vielzahl von Modellen, die seinerzeit aufgelegt wurden, zu einer Zeit, als man dachte, mit Internet noch die Welt heilen zu können. Das ist heute nicht mehr so. Ich würde mir aber trotzdem wünschen, dass noch einmal darüber nachgedacht wird, weil die Anpassung zwischen den technischen Möglichkeiten und der Schwere der Behinderung und den Chancen, die sich daraus ergeben, schon relevant ist. Das, glaube ich, kann man nicht rein privatwirtschaftlich organisieren, weil es ansonsten bereits eine Menge Unternehmen gegeben hätte. Wichtig ist, dass wir durch die Stiftung, durch die Unternehmen, die diese Stiftung mit gegründet haben, versuchen, viel ohne öffentliche Förderung zu machen. Aber auch hier würde ich mir wünschen, dass es noch einmal zu einem Nachdenken kommt.

Ich muss gestehen, dass ich Ihnen als Nichtinformatiker schlecht beantworten kann, was VoiceXML ist.

Anders verhält es sich mit der Frage nach den Dokumenten im Internet. Richtig ist, dass die meisten Dokumente im Internet als PDF hinterlegt werden und wichtig ist dabei auch, dass man von vornherein darüber nachdenkt, diese Dokumente perspektivisch barrierefrei zu hinterlegen. Das wird in der Praxis leider eben nicht immer gemacht und führt dann dazu, dass viele PDF-Dokument eben nicht barrierefrei sind. Insofern ist es für mich immer ein Postulat, das eben auch, aber nicht nur, für das Internet zutrifft. Es gilt, von vornherein daran zu denken, dass es auch Menschen gibt, die Schwierigkeiten haben. Herr Hüppe hat ja so ein Beispiel benannt, dass viele Leute nicht mehr mit der Deutschen Bahn fahren, weil sie Schwierigkeiten haben, sich eine Fahrkarte zu besorgen. Das kann ja auch andere Ursachen haben, aber trotzdem glaube ich, dass es wichtig ist, dass man es von vornherein bedenkt und das wäre mir an dieser Stelle sehr wichtig. Vielen Dank.

Der Vorsitzende: Als Nächster Herr Kruse, da gab es ja kombinierte Fragen an Herrn Hänsgen und an Sie von den Kollegen Schulz und Dr. Brandl. Also das, was noch offen ist und wo Sie auch noch einen Beitrag leisten möchten, bitte.

Klemens Kruse (Geschäftsführer Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit, Berlin): Ja, also ich kann jetzt auch nicht direkt sagen, ob nun Apple stärker die Barrierefreiheit im Blickpunkt hat als MS-Office. Da gibt es sicherlich unterschiedliche Stärken und Schwächen. Ich würde mal generell sagen, wir haben kein technologisches Defizit, sondern es wird das gemacht, was der Markt nachfragt. Wir haben eher ein Umsetzungsdefizit.

Was VoiceXML anlangt, haben Sie sicher gemerkt, habe mich auch noch einmal technisch rückversichert, denn als Jurist bin ich eben kein Informatiker. Ich kann zu der Frage nach der Technik selbst leider nichts beitragen. Was die Seite der Nutzer anlangt, muss man sagen, ob das nun per Spracheingabe geschieht oder jemand per Tastatur eingibt, ist einfach auch eine individuelle Frage. Also, ob das jetzt alles über die Sprachausgabe zieht, da vermute ich, dass das hinter dieser Technik steht, und da würde ich jetzt nicht denken, dass das sozusagen der Königsweg ist.

Der Vorsitzende: Bei VoiceXML wird es ja um Schnittstellen und Verknüpfungen von Applikationen gehen. Ich weiß nicht, Herr Wegge, dürfen wir Sie überfallen mit der Frage? Ich weiß, Sie sind Informatiker und könnten vielleicht da noch einen Beitrag leisten, auch wenn die Frage nicht direkt an Sie ging. Dann würde ich sagen, Herr Wegge, dass Sie das gleich mit aufnehmen, wenn Sie dran sind und ich würde zunächst Herrn Rasmussen aufrufen wollen.

Niels Rasmussen (Vorsitzender der ARD-Projektgruppe „Barrierefreier Rundfunkzugang“, NDR, Hamburg): Herr Dr. Brandl, Sie hatten nach dem Austausch gefragt, dem Feedback und der Optimierung. Wir stehen regelmäßig im Austausch mit den Verbänden und optimieren auf dieser Grundlage die Qualität. Wir sind ausgesprochen dankbar für Feedback. Ich hatte ein Beispiel vorhin schon einmal erwähnt: Die Erklärung der ARD, Tier- und Naturdokumentationen, die wir am Montagabend senden, in unseren Maßnahmenplan für die Barrierefreiheit mit aufzunehmen, geht auf eine explizite Interessenbekundung der Verbände zurück. Die Formate hatten wir redaktionell zunächst gar nicht im Fokus. Insofern haben wir von dem Input und von der Rückmeldung profitiert und sie auch entsprechend eingeplant.

Wir halten auch regelmäßige Treffen mit den Betroffenen ab. Beispielsweise aus dem NDR kann ich berichten, weil ich dort direkt damit betraut bin, dass wir uns von Zeit zu Zeit mit den Vertretern aller norddeutschen Behindertenverbände, also den Blinden, den Schwerhörigen und den Gehörlosen austauschen, wo wir Schwerpunkte setzen sollten und was die Erwartungen sind. Dies hilft uns, zu erkennen, wo wir am meisten tun können und – was sehr wertvoll ist für unsere Redaktion – wo inhaltliche Schwächen gesehen werden. Auch das ist ein wichtiges Feedback, damit wir Verbesserungen erreichen können. Meines Wissens verfahren andere Rundfunkanstalten ähnlich und betreiben diesen Austausch ebenfalls von Zeit zu Zeit.

Der Vorsitzende: Herr Wegge, Sie haben das Wort.

Klaus-Peter Wegge (Leiter Accessibility Competence Center, Siemens AG, Paderborn): Gut, dann möchte ich einmal versuchen, kurz das tolle Wort VoiceXML auseinander zu nehmen. Das ist im Grunde genommen die Möglichkeit, auf einer Internetseite sowohl die Aussprache von Texten als auch die Spracheingabe zu spezifizieren. Dieses Format spielt teilweise im Industriebereich bei Telefonansagesystemen, wie Sie sie kennen, durchaus eine Rolle. Im alltäglichen Internet aktuell dagegen überhaupt keine. Wobei einige Screenreader in der Lage wären, die Kommandos zumindest auf der Sprachausgabeseite zu nutzen und halbwegs vernünftig zu interpretieren. Interessanter ist eigentlich, und das möchte ich ganz gern in diesem Zusammenhang ergänzen, dass einige Firmen dazu übergegangen sind, aus ihren Wordprozessorsystemen das sogenannte DAISY-Format zu exportieren. Das DAISY-Format ist ein, ursprünglich für Blindenhörbüchereien entwickeltes Audiotextformat, das Dinge miteinander verknüpft. Das hat mittlerweile in die kommerzielle Welt hinein expandiert und es gibt erste Ansätze, wo dieses Format als direkter Export von Wordprozessorsystemen genutzt wird.

Als Faustregel kann man aber auch sagen, Näheres entnehmen Sie bitte meiner schriftlichen Stellungnahme, wenn man in dem Ursprungsdokument etwas nicht genannt hat, dann kann man es mit dem besten Filter auch nachträglich nicht erzeugen.

In Bezug auf Mobiltelefone gab es die Fragestellung, was diese erreichen können, wo wir diesbezüglich stehen. Das ist ein ganz schwieriges Thema, weil es momentan auf dem Markt sechs grundsätzlich unterschiedliche Ansätze für mobile Endgeräte mit sechs unterschiedlichen Betriebssystemen gibt. Barrierefreiheit ist entscheidend abhängig von dem Betriebssystem und den dort implementierten Basisstrukturen. Wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten, ob ein Touchscreen für Blinde nutzbar ist, hätte ich mit voller Überzeugung nein gesagt. Ich muss einräumen, dass ich durch eine Firma aus den USA eines anderen belehrt wurde. Diese Firma hat ein Telefon herausgebracht, das beim Berühren des Bildschirms keine direkte Funktion auslöste, sondern über mehr oder minder intuitive Gesten zu steuern ist. Ein schönes Beispiel, wie Touch funktionieren kann, wozu auf Nutzerseite aber sicherlich einiges an Training erforderlich ist. Wir bieten interessierten Kunden ein Basistraining an, mit modernen Smartphones umzugehen. Wir stellen mit Erstaunen fest, dass die Hemmschwelle zunächst sehr hoch ist. Ein Telefon mit lediglich zwei Schaltern bzw. zwei Tasten weckt Zweifel. Unsere Erfahrung ist dann allerdings, dass die meisten sehr schnell den Nutzen dieses Systems erkennen und es auch mit einer gewissen Effizienz nutzen. Die restriktive Programmpolitik des Marktführers bei Smartphones führt dazu, dass die Programmierregeln eingehalten werden müssen. Apps müssen von vornherein in einem gewissen Maß barrierefrei sein. Es ist allerdings auch zu beobachten, dass in der letzten Zeit einige dieser Vorgaben geschickt umgangen werden, was man auf der IFA hier in Berlin teilweise sehen konnte. Eine ganz interessante Beobachtung in diesem Umfeld ist, dass die Sprachausgabe dieses Systems nicht für Blinde allein tauglich ist. Auf jedem Gerät ist a priori alles installiert in bis zu 16 Sprachen und es gibt sehr viele Nutzer, die erkannt haben, wenn sie an der richtigen Stelle mit der visuellen Gestensteuerung und so weiter angekommen sind, dann können sie sich den Rest einfach vorlesen lassen. Es ist erstaunlich, wie plötzlich das Thema Sprachausgabe mehr Akzeptanz bei allen Nutzern gefunden hat. Wie man Touchbedienung nicht verstehen sollte, sehen wir an den neuen Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn. Da wird, obwohl es viel, viel besser geht, für Blinde extra so etwas wie ein Viereckmenü mit Touch definiert. Da kann ich einfach nur sagen, dass die Entwicklung vielleicht gut gemeint war, aber an der Nutzerklientel vorbeigeht.

Ich möchte noch einen Vorteil der Mobiltelefonapplikationen nennen. Das ist das Konzept der Einfachheit. Jeder mobile Nutzer ist gehandicapt aufgrund der Größe des Bildschirms. Das heißt, die Leute, die die Seiten designen, machen sich intensive Gedanken darüber, was als wichtig anzusehen ist. Auf der anderen Seite hat man bei den Standardinternetseiten den Effekt, dass die Seiten immer komplexer, immer dynamischer und komplizierter werden. Sie sind vielleicht noch immer 100 Prozent barrierefrei, aber aus den 500 angebotenen Links den richtigen zu finden, das dauert einfach. Und die mobilen Applikationen konzentrieren sich immerhin auf das Wichtige. Das finde ich eine ganz interessante Entwicklung.

Der Vorsitzende: Vielen Dank, Herr Wegge. An Frau Rößner gerichtet würde ich gerne nachfragen, ob die Frage in Zusammenhang mit dem IT-Planungsrat auch an Herrn Wegge gerichtet war. Er signalisiert, dass er dazu nichts sagen kann, dann würde ich die Frage an Herrn Hüppe weitergeben. Bitte schön.

Hubert Hüppe (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen): Also dazu habe ich genauso wenig zu sagen, weil ich da nicht beteiligt bin. Allerdings ist es wie bei der Musterbauordnung. Wir treffen uns mit den Landesbehindertenbeauftragten und ich werde dieses Thema einfach einmal dort ansprechen. Ich nehme das ja heute unter anderem auch mit, um selbst Anregungen zu bekommen, damit wir ggf. auch eine Stellungnahme dazu erstellen, um das zu vereinheitlichen. So ähnlich haben wir das mit Erfolg beim vorletzten Treffen gemacht und ich hoffe, dass wir hier einen ähnlichen Erfolg haben werden.

Der Vorsitzende: Wir hätten damit dann die beiden vorgesehenen Fragerunden abgeschlossen. Uns bleiben aber noch 10 Minuten. Deswegen die Frage an die Kolleginnen und Kollegen, ob es noch weitere Fragen gibt, dann nehmen wir das gerne als Gelegenheit wahr. Frau Rößner hat sich gemeldet.

Abg. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich würde noch einmal nachfragen zum Thema Rundfunk, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, angesichts der Umstellung der Rundfunkgebühr. Die ARD ist da schon weit vorangeschritten schon und hat sich auch ambitionierte Ziele gesetzt. Das ZDF hat Ähnliches vor. Aber wie beurteilen sie das in Gänze? Ist das schon mal durchgerechnet worden? Würde sich das dann auch lohnen? Ein Drittel der Rundfunkbeiträge soll ja in die Barrierefreiheit gesteckt werden, so ist das, glaube ich, formuliert worden in dieser Protokollerklärung. Wie kann dieses Geld tatsächlich für die Barrierefreiheit eingesetzt werden? Mich würde interessieren, wie die Öffentlich-Rechtlichen insgesamt dazu stehen. Sie haben jetzt vor allen Dingen für die ARD gesprochen, aber da wird es ja sicherlich eine Abstimmung geben, auch bei den anderen Sendern. Wie ist es beispielsweise beim Deutschlandfunk?

Der Vorsitzende: Gibt es noch weitere Fragen, die wir sammeln könnten? Dem ist nicht so. Dann Herr Rasmussen haben Sie gleich das Wort. Für alle Sachverständige gilt, dass Sie natürlich auch die Gelegenheit haben, losgelöst von dem Fragekatalog, den wir Ihnen mitgegeben haben, Erwartungen an den Deutschen Bundestag zu adressieren. Haben Sie also keine Scheu, die Abgeordneten auch in dieser Hinsicht anzusprechen. Zunächst Herr Rasmussen bitte.

Niels Rasmussen (Vorsitzender der ARD-Projektgruppe „Barrierefreier Rundfunkzugang“, NDR, Hamburg): Ich kann nur einen Teil der Frage beantworten, weil ich in der Tat nur für die ARD sprechen kann. Wir haben uns sehr ambitionierte Ziele gesetzt. Allerdings – mit Verweis auf die Programmautonomie – geht es jetzt hier sicher nicht um die Frage, wie viel kostet dies oder wie viel erlöst jenes, weil jeder Haushaltsbeitrag ein Beitrag zum Rundfunk insgesamt ist. Aber wenn wir 100 Prozent des Ersten untertiteln wollen, dann ist das ja schon sehr weitgehend. Wir haben uns da tatsächlich sehr weitgehende Ziele gesetzt und auch in anderen Programmen noch mehr vor. Es gibt natürlich auch Programme, wo wir keinen Schwerpunkt setzen werden. Das muss man auch klar sagen. Wir setzen unsere Schwerpunkte dort, wo die Menschen sind. Wir wollen die Barrierefreiheit in den reichweitenstarken Programme weiter ausbauen. Das ist unser Ziel und insofern denke ich, dass wir insgesamt auf einem sehr guten Weg sind. Aber wie gesagt, für das ZDF und das Deutschlandradio kann ich hier an dieser Stelle nicht sprechen.

Der Vorsitzende: Ja, soweit Herr Hüppe hat sich nochmal gemeldet. Bitte schön.

Hubert Hüppe (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen): Ja, wenn Sie schon sagen, man hat noch Zeit, etwas sagen zu dürfen, dann würde ich mich freuen. Wir haben, ja vielleicht kennen Sie es schon, auch eine Inklusionslandkarte. Diese können Sei unter www.inklusionslandkarte.de aufrufen und gute Beispiele für inklusive Arbeit ansehen. Wir haben diese dort dargestellt, damit auch andere davon profitieren, auch um politisch etwas Druck auszuüben. Wenn Sie Beispiele in dieser Hinsicht haben, zögern Sie nicht, uns diese zu melden. Allerdings bewerte ich diese dann nicht, sondern das werden die Menschen mit Behinderung machen. Nicht ich bin der Experte, sondern die Menschen mit Behinderung sind das. Als es einmal darum ging, Touchscreens zu bewerten in Bezug auf Gehörlosigkeit bzw. Blindheit und ich darin eine neue Barriere sah, holte ein Mensch mit einer solchen Behinderung sein Handy mit Touchscreen aus der Tasche und zeigte mir, wie toll das ist. Das zeigte mir wieder einmal, wie sinnvoll es ist, wenn man sich bei dieser ganzen Diskussion auf die Menschen mit Behinderung verlässt. Die wissen nämlich am besten, was sie nutzen können. Also wenn Sie da etwas haben, würde ich mich freuen, wenn Sie mich darauf aufmerksam machen würden oder vielleicht Vorschläge hätten. Danke.

Der Vorsitzende: Die Anregungen nehmen sicher alle gerne mit. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Ihnen für Ihre Beteiligung zu danken. Dafür, dass Sie uns hier heute Rede und Antwort stehen konnten. Der Unterausschuss Neue Medien hat sich in der Vergangenheit immer wieder speziell, das legt der Name schon nahe, mit Themen wie dem heutigen beschäftigt. Wir hatten in der Vergangenheit Themen wie Zugangserschwernis, also Internetsperren, Netzneutralität und Datenschutz. Es scheint uns aber auch sehr wichtig zu sein, genau dieses Thema Barrierefreiheit im Internet mit aufzunehmen, damit Themen, die jetzt nicht immer ganz oben in der tagesaktuellen Debatte stehen, hier im Parlament einen gebührenden Raum und Rahmen bekommen. Ich danke Ihnen allen, dass Sie daran mitgewirkt haben.

Wenn Sie weitere Fragen oder auch Anregungen haben, stehen Ihnen die Fraktionen auch unmittelbar zur Verfügung.

Ich wünsche Ihnen allen noch eine gute Heimreise. Die Sitzung für den heutigen Tag ist geschlossen. Die nächste Sitzung des Unterausschusses findet am 24. Oktober statt . Vielen Dank für Ihre Teilnahme.

Schluss der Sitzung: 14:25 Uhr

Sebastian Blumenthal, MdB

Vorsitzender

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