Wie wir heute Mittag ja bereits berichteten, debattiert der Bundestag nach einer über zweijährigen Diskussion, etlichen Anhörungen und einem insgesamt viel zu langem Vorgehen heute Abend endlich über den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, der umsetzt, was die Opposition seit Anfang der Legislatur immer wieder fordert: Unter TOP 14 der Tagesornung wird über ein von der Bundesregierung vorgelegtes  „Gesetz zur Aufhebung von Sperr­regelungen bei der Bekämpfung von Kinderpornogra­phie in Kommunikationsnetzen“ debattiert. Dies ist ein großer Erfolg all derjenigen, die sich in den letzten Jahren gegen das Placebo-Instrument Netzsperren ausgesprochen haben und ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer wirklich effektiven Strategie zur Bekämpfung von sexuellem Missbrauch, der auch im Netz dokumentiert wird. Nun ist die Bundesregierung in der Pflicht, sich von einer einseitig geführten Debatte abzuwenden und sich endlich einer mehrdimensionalen Strategie, die das Problem des sexuellen Missbrauchs von Kindern an der Wurzel packt, anzugehen. Ich freue mich auf die anstehenden Diskussionen in den Fachausschüssen des Bundestages.

An dieser Stelle dokumentiere ich die Rede, die ich heute Abend zu Tagesordnungspunkt 14 zu Protokoll gegeben habe. Über Eure Kritik, Anmerkungen und Anregungen freue ich mich.


Protokollrede Dr. Konstantin von Notz (TOP 14)


Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

nun ist es also endlich soweit: Nach einer über zweijährigen Diskussion debattieren wir hier heute in erster Lesung über ein längst fälliges „Gesetz zur Aufhebung von Sperr­regelungen bei der Bekämpfung von Kinderpornogra­phie in Kommunikationsnetzen“.

Ursula von der Leyens kontraproduktive Initiative zur Schaffung von Stoppschildern bzw. Internetsperren aus den letzten Tagen der Großen Koalition kommt so zu einem längst überfälligen Ende. Meine Fraktion und ich begrüßen den Schritt der Bundesregierung, sich endlich von dem Placebo-Instrument Netzsperren zu verabschieden, ausdrücklich – auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass dieser Schritt sehr viel früher erfolgt wäre und wir keine wertvolle Zeit im Kampf gegen derartige Darstellungen im Netz vertan hätten. Denn das haben wir leider.

Am Ende der vergangenen Legislatur von der schwarz-roten Koalition auf den Weg gebracht, war allen schnell bewusst, dass der von der damaligen Ministerin von der Leyen eingeschlagene Weg, entsprechende Inhalte im Netz nicht konsequent zu löschen, sondern diese lediglich hinter einem leicht zu umgehenden Stoppschild zu verstecken, nicht nur nicht zielführend, sondern letztendlich für eine wirkliche effektive Bekämpfung dieser Straftaten, kontraproduktiv ist. So haben wir es als Grüne begrüßt, dass die schwarz-gelbe Koalition sich am Anfang der Legislatur dazu durchgerungen hat, zunächst keine entsprechenden Sperren vorzunehmen.

Was wir jedoch scharf kritisiert haben, war der Weg, den die Koalition hierfür wählte. Ein vom Deutschen Bundestag ordnungsgemäß verabschiedetes,  vom Bundespräsidenten unterschriebenes und im Bundesgesetzblatt veröffentlichtes Gesetz per Moratorium einfach nicht anzuwenden, es quasi par ordre du mufti für ein Jahr auszusetzen, ist ein Vorgang, der aus verfassungsrechtlicher Sicht unhaltbar war und eine schwarze Stunde für das Hohe Haus darstellte. Auch aus diesem Grund haben wir, wie alle anderen Oppositionsfraktionen auch, unmittelbar nach Beginn der Legislatur einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem wir die Bundesregierung aufforderten, das Gesetz, das sich als in hohem Maße kontraproduktiv erwiesen hat, auf verfassungsrechtlich sauberem Wege zu begraben.

Nachdem sich die Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen in diesem Haus bereits einig waren, dass man sich statt Netzsperren nun tatsächlich effektiven Instrumenten zuwenden wollte, haben die Vertreter der Union, statt sich auf europäischer Ebene konsequent gegen einen entsprechenden Passus auszusprechen, den Entwurf einer Richtlinie der Europäischen Kommission dazu genutzt, die eigentlich längst zugunsten einer tatsächlichen Bekämpfung  derartiger Darstellungen im Netz beendete Diskussion wieder aufzunehmen und plötzlich auch wieder in Deutschland über die Sinnhaftigkeit von Netzsperren zu diskutieren. Dies führte letztendlich dazu, dass sich auch das Hohe Haus, nachdem eigentlich bereits alle Argumente zu Beginn der Legislatur ausgetauscht waren, noch einmal intensiv mit dieser Thematik beschäftigte.

So führten  neben dem Petitionsausschuss, in dem eine Anhörung durch die Petition von Franziksa Heine angestoßen wurde, welche mit über 133.000 Mitunterzeichnerinnen und  –unterzeichnern die bislang zweiterfolgreichste in der Geschichte des Bundestages war, auch der Unterausschuss Neue Medien und der Rechtsauschuss des Bundestages entsprechende Anhörungen durch.

Während im Unterausschuss von beinahe allen Sachverständigen unisono betont wurde, dass Netzsperren nicht nur wenig zielführend sind, sondern letztendlich sogar dazu führen, dass der dringend notwendige internationale Austausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden eingestellt wird, wurde im  Rechtsausschuss, selbst von den Sachverständigen von CDU und FDP, massiv das Vorgehen der Koalition bei der Aussetzung des Gesetzes par ordre du mufti kritisiert.

Als Grüne haben wir uns in einem weiteren Antrag und in einer Artikel 23 – Stellungnahme klar gegen das Ansinnen der Europäischen Kommission ausgesprochen. Nachdem selbst unter Federführung einer konservativen Berichterstatterin im Europäischen Parlament keine Mehrheit für eine die Mitgliedsstaaten verpflichtende Regelung erzielt werden konnte, wurde der entsprechende Passus aus der Richtlinie entfernt und – auch durch den Einsatz engagierter Abgeordneter des Europäischen Parlaments wie meines Kollegen Jan Phillip Albrecht – die bestehenden Regelungen sogar im Vergleich zum bisherigen Status Quo aus bürgerrechtlicher Sicht noch verbessert.

Durch das Wegfallen der verpflichtenden Regelung zu Netzsperren in der Kommissions-Richtlinie fiel es auch den Netzsperren-Befürwortern, die trotz der in den verschiedenen Anhörungen von allen Seiten immer wieder geäußerten vielfältigen Bedenken, nach wie vor unbeirrt an dem nutzlosen Instrument festhielten, zusehends schwerer, dies zu begründen.

Schließlich sah sich das BKA längere Zeit auch angesichts völlig schwammiger Vorgaben der Koalition, kaum in der Lage, die Statistiken zur Evaluierung der Löscherfolge zu führen. Dies könnte auch mit den gerade einmal 6,3 Vollzeitstellen zusammenhängen, die im BKA mit der Aufgabe direkt betreut wurden. Allerdings verwundert die Tatsache, dass es dem Bundesinnenministerium, in dessen Zuständigkeit das BKA liegt, trotz wiederholter Aufforderung bis heute nicht gelingt, den Mitgliedern der betreffenden Ausschüsse die Evaluierungs-Statistiken regelmäßig zur Verfügung zu stellen. Auch gelang es uns Abgeordneten erst nach mehrfacher Aufforderung, das zwischenzeitlich zwischen dem BKA und den Beschwerdestellen ausgehandelte Harmonisierungspapier zur Bewertung  vorgelegt zu bekommen.

Trotz dieser widrigen Umstände steht heute fest, dass sich die nach den Anhörungen durchgeführten Verbesserungen der Zusammenarbeit aller Akteure – auch auf internationaler Ebene – ausgezahlt hat. Dies bestätigten auch gerade wieder die vom eco vorgelegten Zahlen.

Die Diskussion um Netzsperren war viel zu lange eine über ein Placebo-Instrument, das den Herausforderungen des Themas schlicht nicht ansatzweise gerecht wurde. Umso froher bin ich, dass wir hier heute endlich über die tatsächliche Aussetzung der sinnlosen Netzsperren diskutieren können. Ich bin froh darüber, da wir nun, nachdem endlich auch der Letzte begriffen haben dürfte, dass es jetzt ein für allemal an der Zeit ist, sich endlich effektiven Instrumenten und Strategien zuzuwenden, uns nunmehr dem tatsächlichen Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern zuwenden können. Hierzu fordern wir Grünen die Koalition seit Anfang der Legislatur auf.

Und ich muss es leider so hart sagen: Bisher haben sich ihre Aktivitäten darin erschöpft, sich einseitig auf das Netz zu konzentrieren und sich über das Placebo-Instrument Netzsperren auszutauschen, den wichtigen Kampf gegen den sexuellen Missbrauch, der zwar im Netz dokumentiert, jedoch in der realen Welt tagtäglich geschieht, jedoch nicht richtig aufgenommen haben.

So fehlt ihnen heute, auch aufgrund der Tatsache, dass in den letzten zwei Jahren wertvolle Zeit vergeudet wurde, ein Kompass, wie sie sich dieser gesellschaftlichen Herausforderung, dem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, der jeden Tag an Schulen, in Kirchen, Sportvereinen und Familien stattfindet, entgegen stellen wollen.

Trotz oder gerade wegen der zweijährigen Diskussionen über nutzlose Netzsperren haben sie hier bisher nichts, aber auch rein gar nichts geliefert. So haben sie bis heute keine, mehrdimensional angelegte Strategie zur Bekämpfung sexuellen Missbrauchs und sexualisierter Gewalt erarbeitet, wie wir es am Anfang der Legislatur zum ersten Mal und seitdem kontinuierlich von Ihnen gefordert haben.

Daher nutze ich auch diese Debatte noch einmal dazu, Ihnen das zu sagen, was wir Ihnen bei jeder Gelegenheit in den letzten Monaten bereits gesagt hab: Wenden sie sich endlich einer mehrdimensional angelegten Strategie zu, die sowohl den gesellschaftlichen Herausforderungen als auch den Besonderheiten des Netzes gerecht wird. Dies ist zweifellos eine größere Herausforderung, als die zur Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes seit nunmehr zwei Jahren vorliegenden Gesetzesentwürfe der Oppositionsfraktionen einfach zu kopieren. Sie können jedoch auf wichtige Vorarbeiten zurückgreifen.

Als Oppositionsfraktion haben wir Grünen bereits vor Monaten ein sehr ausführliches Eckpunktepapier zur Bekämpfung der Verbreitung von Darstellungen sexueller Gewalt und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen vorgelegt. In unserem Papier haben wir Ihnen sehr konkrete Vorschläge unterbreitet, wie Prävention und Opferschutz gestärkt sowie das Löschen von Internetseiten auch im internationalen Kontext effektiver gestaltet und die Strafverfolgung verbessert werden kann.

Zu einer solchen Strategie gehören der Auf- und Ausbau sowie die solide Finanzierung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten für Betroffene und ihre Familien. Ich bitte Sie, schauen Sie in unser Papier und schreiben Sie notfalls einfach ab. Nutzen Sie den unter Rot-Grün auf den Weg gebrachten „Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung“ als Vorlage und legen Sie diesen schnellstmöglich wieder auf. Auch hierzu fordern wir sie seit langem auf.

Zum Löschen von Missbrauchsdarstellungen muss die Zusammenarbeit zwischen Internet-Beschwerdestellen und Bundeskriminalamt weiter verbessert werden. Auch müssen die personellen und technischen Ressourcen bei den Strafverfolgungsbehörden aufgestockt werden. Letztendlich bedarf es einer völkerrechtlichen Vereinbarung zum Löschen von Missbrauchsbildern und –filmen. Die entsprechende Konvention muss in einem ersten Schritt auf europäischer Ebene geschlossen und danach auch international – zum Beispiel durch bilaterale Verträge – ausgeweitet werden.

Ich gebe nach wie vor die Hoffnung nicht auf, dass Sie nun endlich erkennen, dass es nicht hilft, sich weiter hinter Placebo-Instrumenten und Scheindebatten zu verstecken. Es ist zwar spät, aber nicht zu spät! Da dieses Thema so wichtig ist, möchten wir Ihnen nochmal die konstruktive Mitarbeit unserer Fraktion versichern. Ich bin mir sehr sicher, dass wir dies auch für die gesamte Opposition tun können, sofern Sie endlich den Willen zeigen, tatsächlich tätig zu werden.

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