Ohne sie ernsthaft überprüft zu haben, will die Bundesregierung die Anti-Terrorgesetze verlängern und sogar noch verschärfen. Datenschutz und individuelle Bürgerrechte kommen dabei unter die Räder. Da machen wir Grüne im Bundestag nicht mit.

Die Attentate des 11. September jähren sich zum zehnten Mal. Wir werden der Opfer gedenken, die die Anschläge auf das World Trade Center, das Pentagon und eine Passagiermaschine forderten: fast 3.000  Männer, Frauen und Kinder, unzählige Verletzte. Über 3.000 Kinder haben ihre Eltern verloren. Unser Mitgefühl ist bei den Hinterbliebenen, die noch heute unter den Folgen leiden.

Diese Anschläge von einem zuvor unvorstellbaren Ausmaß lösten weltweit Trauer und Entsetzen aus. Was folgte, war eine tiefgreifende Verunsicherung der gesamten westlichen Welt. Es war das Ziel der islamistischen Fanatiker, eben diese Verunsicherung und Ohnmacht zu erzeugen, die sich mit „Nine Eleven“ in unser kollektives Gedächtnis eingegraben hat.

Die Verunsicherung der westlichen Welt brachte unmittelbare Folgen in der internationalen Politik mit sich

Bereits am 12. September verabschiedeten die Vereinten Nationen (UN) die Resolution 1368, die das Selbstverteidigungsrecht der UN-Charta auf Terrorangriffe ausdehnte. Am selben Tag verkündete die NATO den Bündnisfall. Damit wurde praktisch über Nacht ein Paradigmenwechsel im Völkerrecht eingeläutet: Die Mittel und die Sprache des Krieges als Antwort auf die maßlose Dimension dieser Anschläge und auf eine Bedrohung, von der zu dem Zeitpunkt nur eine vage Vorstellung bestand.

Dass der Zweck die Mittel heilige, ist seither oft die Devise. So wurde es möglich, den auf Terrorlisten von UN und EU geführten Personen oder Organisationen auf Verdacht und ohne Rechtsschutz jegliche finanziellen Mittel zu sperren – bis der Europäische Gerichtshof eingriff. In den USA wurde ein Sonderstrafrecht für „Feinde“ erwogen, die Diskussion schwappte bis nach Europa. Und in Guantanamo nahmen die USA die Missachtung der Menschenrechte und des humanitären Kriegsrechts als legitimes Mittel im Kampf gegen den Terror für sich in Anspruch.

Rechtlosigkeit hatte Rechtsstaatlichkeit ersetzt

Auch die deutsche Innenpolitik ist seither von der Unsicherheit über Art und Ausmaß der terroristischen Bedrohung und die richtige Sicherheitspolitik geprägt. Wir Grüne haben uns 2001, zu Zeiten der rot-grünen Regierungskoalition, unserer Verantwortung gestellt. Um der Bedrohung zu begegnen, haben wir trotz großer Bedenken das erste Anti-Terrorpaket  mit beschlossen. Bereits damals haben wir aber auch auf die damit verbundene Gefahr für unseren Rechtsstaat hingewiesen. Die Gefahr, dass seine Prinzipien und Grundrechte Schritt für Schritt aufgeweicht und verwässert werden. Mit der Begründung, dass eine Bedrohung ja nie gänzlich auszuschließen ist. So real wie die Anschlagsgefahr ist auch die Gefahr, dass die Grundrechte massiv Schaden nehmen. Das Gefühl absoluter Sicherheit kann dagegen nur eine Illusion bleiben.

Aus diesem Grund haben wir uns im Bundestag immer dafür eingesetzt, neue Befugnisse der Sicherheitsbehörden rechtsstaatlich einzugrenzen. Es war 2001 ein grüner Verhandlungserfolg, dass Befristungs- und Evaluierungsklauseln in die Anti-Terrorgesetze eingefügt wurden. Wir betrachten solche Überprüfungen von Sicherheitsgesetzen als ein rechtsstaatlich notwendiges Instrument zur Selbstkontrolle des Gesetzgebers. Auf einer soliden Wissensgrundlage kann man dann weitere politische Entscheidungen treffen oder falsche auch wieder revidieren. Dass der Gesetzgeber dazu aus dem Grundgesetz heraus verpflichtet ist, bestätigt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der letzten Jahre. Das Instrument einer unabhängigen, grundrechts- und rechtsstaatsorientierten Expertenevaluierung wollen wir nach den Vorgaben und unter der Kontrolle des Parlaments fortentwickeln. Einen entsprechenden Antrag (BT-Drs. 17/3687) haben wir im Bundestag eingebracht.

Wir schlugen eine unabhängige, grundrechts- und rechtsstaatsorientierte Expertenevaluation der bestehenden Sicherheitsgesetze vor – die Koalition lehnte sie ab

Der schwarz-gelben Koalition fehlt ganz offensichtlich der Kompass der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit, den wir an moderne Sicherheitspolitik anlegen. Die Debatten rund um den zehnten Jahrestag des 11. September und nach dem Terrorakt von Oslo zeigen das deutlich. So sollen Befugnisse der Nachrichtendienste, die die große Koalition 2007 erweitert hatte, verlängert werden. Die Grundlage dafür bildet eine methodisch völlig indiskutable Evaluierung. Während die Bundesjustizministerin die Chuzpe hat, von einer Trendumkehr zu sprechen, wird sogar noch draufgesattelt: Einen Zugriff auf zentrale Flugbuchungssysteme und auf den staatlichen Pool der Kontostammdaten sollen die Nachrichtendienste in Zukunft bekommen. Was als „Effizienzsteigerung“ verkauft wird, ist eine verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Verschärfung der Sicherheitsgesetze. Eine dicke Kröte, die die FDP da schluckt, um sich die vage Zusage für ein wenig mehr Kontrolle und das Auslaufen einiger unbedeutender Eingriffsbefugnisse zu erkaufen. Noch dicker kommt es aber mit der stolz präsentierten „unabhängigen Regierungskommission“ – ein Widerspruch in sich. Sie soll alle laufenden und künftigen Evaluierungen ersetzen. Eine aktive Rolle des Parlaments, die demokratische Kontrolle, ist dabei wohl nicht mehr erwünscht. So geht das nicht, nicht mit uns Grünen im Bundestag. Wir wollen eine solide Sicherheitspolitik. Die Befugnisse der Sicherheitsbehörden müssen zielgenau auf die Bekämpfung von Terrorismus und andere Formen der Kriminalität zugeschnitten, verhältnismäßig und verfassungskonform sein.

Grüne Sicherheitspolitik sucht grundrechtsfreundliche Wege


Nicht alles, was gerade eben noch vor dem kritischen Blick des Bundesverfassungsgerichtes besteht, ist rechts- und grundrechtspolitisch auch wünschenswert. Im Zusammenhang mit der Terrorbekämpfung steht auch die anlasslose Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten (TK-Daten). Sie wurde vom Bundesverfassungsgericht im März 2010 gekippt. Es ist absurd, dass CDU/CSU und SPD nun auf die erneute Umsetzung dieser alten EU-Richtlinie zur Vorratsspeicherung drängen – wo doch die Europäische Kommission unter dem Eindruck von drei vernichtenden verfassungsgerichtlichen Urteilen in den EU-Mitgliedstaaten derzeit eine datenschutzfreundliche Neuregelung ausarbeitet und ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur alten Richtlinie bevorsteht.

Wir stehen auch weiterhin für ein komnsequentes Nein zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten


Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist unverhältnismäßig und würde einen Paradigmenwechsel im Sicherheitsrecht zulasten der Bürgerrechte einläuten. Auch die auf EU-Ebene geplante Vorratsspeicherung von Fluggastdaten lehnen wir strikt ab. Ihre Notwendigkeit konnte ebenso wenig nachgewiesen werden wie die von Telekommunikationsdaten. Die dazu geplante EU-Richtlinie verstößt – so sagt es sogar der juristische Dienst des Rates der EU – gegen das EU-Grundrecht auf Datenschutz aus der EU-Grundrechtecharta. Eine Umsetzung im Einklang mit dem Grundgesetz ist ebenfalls kaum vorstellbar.

Rechtsstaatliche Prinzipien und die Grund- und Menschenrechte sind für uns als grüne Fraktion der Kompass unseres politischen Handelns. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgegeben, bei sämtlichen Überwachungsmaßnahmen das Gesamtbild der Grundrechtswirkungen im Blick zu behalten. Es hat uns auch aufgegeben, die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen und mit ihnen das Verbot der totalen Erfassung und Registrierung. Denn dieses ist ein Bestandteil der verfassungsrechtlichen Identität Deutschlands im europäischen Rahmen. Absolute Sicherheit können wir nicht gewinnen. Aber den Rechtsstaat des Grundgesetzes können wir verlieren. Dann hätten die Attentäter vom 11. September doch noch ihr Ziel erreicht.

Nachdem wir in dieser Legislatur bereits mehrere parlamentarische Initiativen vorgelegt haben, werden wir auf der heute beginnenden Herbsklausur der grünen Bundestagsfraktion ein umfassendes Papier zur grünen Sicherheitspolitik verabschieden.

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