Gespannt war ich nach Essen gekommen, um am JMStVCamp teilzunehmen. Der Ort war schon mal gut gewählt: das Unperfekthaus. Nomen est Omen fiel mir bei dem Gedanken an den gescheiterten JMStV ein. Die Sessionplanung begann mit einer persönlichen Vorstellung der TeilnehmerInnen, die sich fast ausschließlich aus Piraten, SPDlern, GRÜNEN und MedienpädagogInnen zusammensetzten. Ich wunderte mich schon, dass meine KollegInnen aus dem Bundestag nicht da waren – einige von ihnen hätten es nicht so weit gehabt wie ich. Die FDP war genau so wenig vertreten wie die CSU, soweit ich das überblicken konnte. Dafür war ein CDU-Mitglied da: @stecki (Malte Steckmeister). Von ihm lese ich auf Twitter regelmäßig: Nun kann ich dem Namen auch eine Person zuordnen. Viele kannten sich, meist digital, und viel Applaus bekam @pornoanwalt Marko Dörre bei seiner Vorstellung.

Ich besuchte die Session zu den beiden Studien KIM und JIM, die sich mit der Frage beschäftigen wollte „Was wollen Kinder wirklich?“ und einen Workshop zu Strategien der Eltern in Bezug auf Jugendmedienschutz. Spontan schloss ich mich mit Alvar Freude für die Leitung einer Session zusammen, um für die Enquete Handlungsempfehlungen zu erarbeiten.

Man kann die Diskussionen in den Sessions damit zusammenfassen, dass vor allem der Frage nach Verantwortung gegenüber Kindern und Jugendlichen nachgegangen wurde. Der Vergleich mit dem Straßenverkehr- wurde immer wieder herangezogen: Es müsse Altersdifferenzierungen geben, denn auch auf der Straße dürften kleinere Kinder nicht allein auf den Spielplatz gehen. Die Straße dürfe von allen benutzt werden, aber in einen Beate-Uhse-Laden kämen Minderjährige auch nicht rein. Besondere Rücksichtnahme und Verantwortung gegenüber Kindern wird von allen Verkehrsteilnehmern erwartet. Und klar ist auch, dass man nicht jedes Risiko ausschließen kann. Letztlich zeigt diese Debatte, dass das Internet nicht als ein Medium betrachtet werden kann, sondern tatsächlich die digitale Erweiterung unseres öffentlichen Raumes ist. Und genau das macht es auch so schwierig, diesen öffentlichen Raum zu regeln. Genau deshalb funktioniert der Jugendmedienschutz hier nicht so wie bei linear ausgestrahltem Rundfunk oder Schriften.

Stärkung von Medienkompetenz war natürlich eine zentrale Forderung, insbesondere der Erziehenden und Lehrenden. Immer wieder kam die Sprache darauf, dass die Eltern die besondere Pflicht hätten, die Kinder auf das Internet vorzubereiten, sie zu begleiten und zu kontrollieren. Problematisch sei hierbei aber vor allem, dass man an bestimmte Schichten (die sogenannten bildungsfernen) gar nicht herankomme und viele Eltern selbst keine Ahnung vom Internet hätten.

Diese Auffassung widerstrebt mir immer etwas. Es gibt nicht „die“ Eltern, von denen man sagen kann, sie könnten eh nicht mit dem Internet umgehen. Und es ist meiner Meinung nach auch nicht richtig, die gesamte Verantwortung allein den Eltern aufzuladen. Auch wenn Eltern eine ganz entscheidende Rolle haben, ob ihre Kinder sich – bleiben wir beim alten Vergleich – selbständig im Straßenverkehr bewegen können und die Gefahren kennen, müssen auch alle anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber Kindern besonders rücksichtsvoll sein. Kinder- und Jugendschutz ist eine Aufgabe, der sich die gesamte Gesellschaft stellen muss. Dieser gesellschaftliche Konsens sollte nicht aufgegeben werden. Und man sollte die Eltern nicht allein lassen und ihnen die Möglichkeiten geben, ihren Aufgaben auch nachkommen zu können.

Kinder und Jugendliche beginnen immer früher, sich im Netz zu bewegen. Das fängt schon mit Hausaufgaben an, die sie in der Grundschule bekommen. Dabei wollen die Kinder gern selbständig sein. Sie wollen auch allein im Netz ihre Freunde treffen und dabei nicht kontrolliert werden. Kinder haben wie Erwachsene das Recht auf Privatsphäre und Briefgeheimnis und sie fordern diese Rechte auch ein. Das gilt ebenso für Chats und Mails.

Unklarheit und Uneinigkeit bestand in der Frage, welche Wirkungen Inhalte auf Kinder haben, die für ihre Augen und Ohren nicht bestimmt sind. Wie sieht eine Entwicklungsbeeinträchtigung wirklich aus? Was fehlte, war eine fundierte Übersicht über Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie und Medienwirkungsforschung.

So beschränkte sich die Suche nach Handlungsempfehlungen, die wir mit in die Enquete nehmen, auf die Fortbildung von Eltern, Lehrenden und Erziehenden und auf Bildung als Grundvoraussetzung. Bundeseinheitliche Standards für die Entwicklung von Medienkompetenz wie auch die europa- wenn nicht gar weltweite Verständigung auf gemeinsame Ziele zum Schutz von Kindern waren ebenfalls Forderungen. Nur kurz kam die Diskussion darauf, dass wir unsere Gesellschaft ganz grundlegend verändern müssten, um Kindern die bestmöglichen Entwicklungsmöglichkeiten zu gewährleisten und gleichzeitig die Freiheit des Netzes nicht einschränken zu müssen.

Erhellend fand ich den Vorschlag eines Teilnehmers, den Eltern doch Werkzeuge an die Hand zu geben wie Jugendschutzprogrammen mit black lists. Letztlich schlug er damit genau das vor, was in der gescheiterten JMStV-Novelle geregelt werden sollte. Wird die Debatte letztlich doch auf das hinauslaufen, was mit der Reform des JMStV beabsichtigt worden war? Ich bin jedenfalls gespannt, wie die Diskussion weitergeführt wird.

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