Ob es im Internet Kapazitätsengpässe gebe, die mittels Differenzierung, Quality of Service oder Netzwerkmanagement gelöst werden sollten, wird von Experten unterschiedlich beurteilt. So kam auch die Anhörung der Enquete-Kommission „Internet und Digitale Gesellschaft“ am 4. Oktober 2010, über die wir hier bereits gebloggt hatten, zu keinem einheitlichen Ergebnis. Thema der Anhörung waren Fragen nach der Auslastung von Netzen, der Notwendigkeit von Netzwerkmanagement und Zielvorstellungen zur künftigen Gestaltung des Internet. Die Aufzeichnung der kompletten Anhörung könnt Euch Ihr hier noch einmal anschauen. Die Liste der eingeladenen Sachverständigen, an die im Vorfeld der Sitzung einige zwischen allen Fraktionen abgestimmte Fragen gerichtet wurden, findet Ihr hier.

Keine Kapazitätsengpässe
„Es herrscht kein Mangel an Kapazität im Internet.“ Sowohl die Vermittlungstechnik als auch der Netzausbau hätten bisher in allen Fällen mit der Nachfrage nach Kapazität Schritt gehalten, äußerte sich Tim Mois, SIPGate GmbH, in seiner schriftlichen Stellungnahme. Aus diesem Grund könne davon ausgegangen werden, dass es auch zukünftig keine Engpässe im Festnetzbereich geben werden. Grundsätzliche Priorisierung von Datenpaketen sei eine gezielte Störung, die weitreichende Fragen auch nach der grundsätzlichen Bedeutung des Internets für die Gesellschaft aufwerfe.
Auch Thomas Aidan Curran von der Deutschen Telekom AG äußerte sich dahingehend, dass es beim Festnetz keine Engpässe gebe. Anders sehe es aber in Bezug auf den Mobilfunk-Access aus. Mit Quality of Service – also die Güteanforderungen an einen Dienst aus Anwendersicht- und Netzwerkmanagement- das heisst, die Verwaltung, Betriebstechnik und Überwachung von IT-Netzwerken- ließen sich diese Engpässe aber beseitigen. Thema der Diskussion solle daher nicht sein, ob es ein Netzwerkmanagement geben dürfe, sondern wie dieses ausgestaltet sein solle.

Priorisierung ist immer auch Diskriminierung
Die Priorisierung eines bestimmten Dienstes sei ohne gleichzeitige Diskriminierung eines anderen Dienstes nicht vorstellbar, sagte Falk Lüke von der Verbraucherzentrale Bundesverband. Paketvermittelnde Dienste seien ein großer Zugewinn gegenüber leitungsvermittelnden Netzen. Aus Verbrauchersicht sei es daher nicht günstig, zu einer Leitungsvermittlung zurückzukommen. Das Best-Effort-Modell – also die freie Weiterleitung aller Pakete, solange im Netz freie Übertragungskapazität vorhanden ist – solle daher erhalten bleiben.

Deep-Packet-Inspection ist ein No-Go
Netzwerkmanagement mittels Deep-Packet-Inspection, also die Überwachung und Filterung von Datenpaketen, sei aus Datenschutzgründen inakzeptabel und verletze die Netzneutralität, so Andreas Bogk vom Chaos Computer Club. Eine Einschränkung der Netzneutralität gehe immer auch mit einer Einschränkung der Möglichkeit für die Teilnehmer einher, selbst senden und empfangen zu können. Damit werde die gerade stattfindende Demokratisierung und der nicht zuletzt durch die innovationsfördernde Wirkung des Internets erfolgende wirtschaftliche Aufschwung gebremst. Zwar könne es „technische Gründe“ für eine Andersbehandlung geben, doch müsse die „demokratische Vielfalt im Wettbewerb“ erhalten bleiben.

Vorschläge der Sachverständigen
Uneinigkeit bestehe in der Wissenschaft, ob der Wettbewerb zur Wahrung der Netzneutralität reicht, so Rechtsanwalt Simon Schlauri. Um zu verhindern, dass durch die Netzbetreiber Monopolstrukturen aufgebaut werden, sei als erster Schritt die Herstellung von Transparenz wichtig, sagte Schlauri, der an der Universität Zürich zum Thema Netzneutralität habilitiert wurde. Maßnahmen des Netzwerkmanagements müssten offengelegt werden, sodass es auch die Verbraucher verstehen und nachvollziehen können. Eine Zulassung der Priorisierung ohne entsprechende Regulierung trage immer auch das Risiko in sich, „dass Provider anfangen, priorisierte Leitungen zu verkaufen oder Exklusivverträge mit Anwendungsanbietern zu schließen.“ Weiterhin schlug er vor, Anbieter zu verpflichten, einen „Best-Effort-Kanal“ freizuhalten. Bogk ergänzte die Regulierungsvorschläge dahingehend, eine Peering-Pflicht, also eine Pflicht zum Zusammenschluss von IP-Netzwerken zum direkten Datenaustausch, einzuführen. Auch könne darüber nachgedacht werden, eine Mindestbandbreite zu garantieren, etwa wie es die finnische Regelung vorsehe.

Wie geht es nach der Anhörung nun weiter?
Direkt nach der Anhörung hat die Projektgruppe Netzneutralität der Enquete-Kommission, eine der ersten drei eingesetzten Arbeitsgruppen, die Ergebnisse der Anhörung beraten und erste Textvorschläge diskutiert. Diese werden dann zwischen den einzelnen Fraktionen beraten und anschließend zur Abstimmung in die Enquete geben. Wir halten Euch über das weitere Verfahren auf dem Laufenden.

Update: Nun ist auch ein Kurzprotokoll der Anhörung (PDF) veröffentlicht worden.

Update II vom 27. Oktober 2010: Die Stellungnahmen der Sachverständigen und das Video der Anhörung sind nun online abrufbar

Stellungnahme Dr. Simon Schlauri

Stellungnahme Dr. Tobias Schmidt

Stellungnahme Udo Schäfer

Stellungnahme Tim Mois

Stellungnahme Falk Lüke

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