Der Erkenntnis geschuldet, dass die Netzpolitik „bis heute ein weitgehend weißer Fleck in der Parteienlandschaft“ ist und die CSU „schon immer an der Spitze des technischen Fortschritts“ stand, veranstaltet „die einzig wahre Netzpartei“ heute ihren lang erwarteten netzpolitischen Kongress mit dem Titel „In Freiheit und Fairness“ (hashtag: #meininternet). Besonderes „Schmankerl“ der Veranstaltung dürfte der mit Spannung erwartete Vortrag des Vorsitzenden der CSU, Horst Seehofer, mit dem Titel „Mein Internet“ werden. Der „Kongress“ kann per Livestream verfolgt werden.

Um dem eigenen Anspruch, auf dem Gebiet der Netzpolitik eine „Vorreiterrolle“ einzunehmen, gerecht zu werden, hat die CSU einen „Netzrat mit unabhängigen Experten“ eingerichtet.

Dieser hat im Vorfeld der heutigen Veranstaltung ein netzpolitisches Positionspapier verfasst, welches im Rahmen der Veranstaltung feierlich übergeben werden soll. Auch bei netzpolitik.org hat man sich das Positionspapier mal näher angeschaut.

Eine Lektüre des Papiers ist auf jeden Fall lohnenswert. Besonders bemerkenswert ist, dass die CSU ihre bisherige Position zu Netzsperren offenbar aufgegeben hat. Nachdem vor wenigen Tagen noch der Bundestag über die Sinnhaftigkeit von Netzsperren debattiert und die Unionsfraktion sich erneut klar für Sperren ausgesprochen hat, heißt es in dem CSU-Papier nun auf S. 16f in dem Kapitel „Internetsperren als untaugliches Instrument“

„Technische Instrumente sind auf ihre Eignung für die Erfüllung legitimer öffentlicher Aufgaben zu überprüfen. In diesem Zusammenhang bestehen insbesondere erhebliche Bedenken gegen Internetsperren als Instrument im Kampf gegen inkriminierte Inhalte wie Kinderpornografie.“

Weiter heißt es, dass entsprechende Stoppschilder im Netz die Erreichbarkeit solcher Webseiten auf den ersten Blick zwar erschweren mögen, und man als Netzrat zudem das Bestreben all derjenigen an, die sich im Glauben an die Wirksamkeit im Kampf gegen Kinderpornografie für Internet-Sperren eingesetzt haben anerkenne, sperren aber letztendlich „leicht umgangen“ werden könnten und sie über ihr Ziel hinaus schießen würden, weil durch sie auch der Zugang zu legalen Inhalten gesperrt werden könne. Weiter heißt es bezüglich Netzsperren:

Außerdem sind sie kontraproduktiv: Die Sperrlisten können durch spezielleSuchstrategien nachgebildet werden und bieten – einmal ins Netz gelangt – gleichsam „Surftipps“ für die interessierten Kreise. Schließlich stellt sich die Frage, wie man wirksam verhindern kann, dass eine einmal etablierte Sperrinfrastruktur zukünftig auch für andere Inhalte verwendet wird.

Meinungs- und Informationsfreiheit forderten im Internetzeitalter eine freiheitssichernde Infrastrukturgestaltung. Vor allem aber werde durch solche Sperren kinderpornografisches Material nicht entfernt, sondern vielmehr „der trügerische Eindruck erweckt“, dass der damit zugrundeliegende Markt eingedämmt werde. Das verstelle den Blick auf notwendige Ermittlungsmaßnahmen.

„Löschen statt Sperren“ sei das „vorzugswürdige Prinzip“, da es frei von „schädlichen Nebenwirkungen“ sei. Es setze allerdings voraus, dass stärker als bisher grenzüberschreitend versucht werden muss, Kindesmissbrauch nicht nur unter Strafe zu stellen, sondern auch wirksam mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. In praktisch keinem der relevanten Staaten mit entsprechenden Serverstandorten genössen Hersteller und Vertreiber kinderpornografischen Materials einen rechtlichen Schutz, durch den eine wirksame Löschung verhindert werden würde. Beschränke man eine solche „konzertierte Aktion“ auf weltweit geächtete Verbrechensformen wie eben Kindesmissbrauch, könne ein Konsens hergestellt werden, ohne die Freiheit der Internetnutzung in Frage zu stellen. Derartige Verbrechen, so heißt es in dem Papier weiter, müssten verstärkt „an der Quelle bekämpft werden“. Je stärker der reale Kindesmissbrauch unterbunden werde, um so weniger Bildmaterial entstünde, das diesen im Internet dokumentiere.

Insgesamt sind dies zwar alles längst bekannte Umstände, dennoch auch völlig neue Töne von Seiten der CSU, die man erst einmal honorieren muss. Die nahe Zukunft wird zeigen, ob sich Dorothee Bär und der „Netzrat“ mit dieser Neubestimmung der bisherigen Position parteiintern wird durchsetzen können.

UPDATE:

Laut einer Meldung der dpa hofft nun auch die FDP auf Bewegung im koalitionsinternen Streit über den Umgang mit Kinderpornografie im Netz.

So verwies FDP-Generalsekretär Lindner auf das Positionspapier des CSU-Netzrates und gab der Hoffnung Ausdruck, dass sich in der Union eine Debatte andeute, die hoffentlich zur Veränderung der bisherigen Position führe. Lindner weiter: Der Koalition bliebe eine sehr kräftezehrende Debatte erspart, wenn CDU/CSU selbst ihre Position in dieser Frage pragmatisch korrigieren würden.

Auch die dpa vermutet jedoch, dass es innerhalb der CSU-Spitze bei dem Thema nach wie vor deutliche Meinungsverschiedenheiten gäbe. So beharrten laut dpa mehrere führende CSU-Politiker am heutigen Montag auf der bekannten CSU-Forderung, Seiten mit entsprechenden Inhalten sowohl zu löschen als auch zu sperren.

Wenn man entsprechende Seiten nicht löschen könne, dann müsse man diese zumindest sperren können, argumentierten die bayerische Justizministerin Beate Merk und der Vorsitzende der CSU-Grundsatzkommission, Manfred Weber.

Es hat sich also bewahrheitet, was wir eben bereits vermutet hatten. Der CSU interne Streit über die Sinnhaftigkeit von Netzsperren ist voll entbrannt.

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